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Schön erklärt!Das stimmt, im marktüblichen Digitalpiano findet man davon aber nichts. Dafür haben die Teile nicht genug Speicherplatz. Ich hab so einen Sample-Satz auf dem Rechner, er ist 50 GB groß. Aktuelle Digis haben, wenn es hochkommt vielleicht ein Hundertstel davon.
Der Ton, der aus einem Digitalpiano nichts mehr mit der Aufnahme auf aus der Sample-Session zu tun. Natürlich werden die Samples von einem DP auch massiv verändert. Es geschieht im einzelnen folgendes:
Zunächst wird das Basissample herausgesucht. Wenn es zur gespielten Taste eines im Speicher gibt, dann wird das genommen. Ansonsten wird ein Sample von einer benachbarten Taste und auf die entsprechende Tonhöhe gebracht. Das geht ganz einfach: Wenn man bspw. eine Tonbandaufnahme mit einem C hat, aber keines mit einem H oder Cis, dann spielt man das Band einfach etwas schneller oder langsamer ab und die Tonhöhe ändert sich automatisch, digital funktioniert das genauso. Bei modernen Digitalpianos gibt es mindestens ein Sample für jeweils drei Halbtöne, es wird also nie mehr als ein Halbton transponiert. Bei den besseren Geräten gibt es für jede einzelne Taste ein eigenes Sample.
Als nächstes wird der zur Anschlagsstärke passende Velocity-Layer ausgewählt. Denn von jedem Sample gibt es Aufnahmen in unterschiedlichen Anschlagsstärken, bei Digitalpianos in der Regel so um die 3 bis 5 von pianissimo bis fortissimo, bei PC-Software können es auch schon mal 20 sein. Und hier kommt jetzt eine Besonderheit zum Tragen: das Velocity-Morphing. Die Digi-Tastaturen sind natürlich viel genauer, sie können in der Regel mehr als 100 Stufen auseinanderhalten. Das Digi nimmt jetzt also zwei Sample-Layer, den leiseren und den lauteren und berechnet daraus nahtlos eine Zwischenstufe, die genau zur Anschlagsstärke des Spielers paßt. Dieser Ton hat jetzt gar nichts mehr mit der Aufnahme-Session zu tun, er ist überhaupt erst im Digi entstanden.
Nach etwa 1-4 Sekunden ist das im Speicher befindliche Sample dann aber schon zu Ende. Nun wissen wir alle, daß eine Klaviersaite deutlich länger nachklingen kann. Deshalb wird vom Digi nun der letzte Teil des Samples einfach wiederholt, während die Lautstärke langsam abgesenkt wird. Das nennt man Looping. Dies ist der größte Schwachpunkt von Digitalpianos und bei standesgemäßer PC-Software mittlerweile abgeschafft.
Die letzte Stufe ist das Postprocessing durch einen digitalen Signalprozessor (DSP). Hier werden Hall und Resonanzen fürs Pedal hinzugefügt. gesampelte Nebengeräusche der Klaviermechanik uvm. Erst damit wird daraus eine runde Sache.
Und hier haben wir ein Problem. Das V-Piano verwendet nämlich gar kein Sampling. Das heißt, alles was ich da oben beschrieben habe, was in den Standard-Digis so drin ist, das gibt es beim V-Piano nicht. Stattdessen steckt dort ein leistungsfähiger Prozessor drin, der ein physikalisches Modell eines Flügels simuliert, oder eines Hochklaviers. Das ist möglich, weil die physikalischen Gesetze zur saitenbasierten Klangerzeugung inzwischen hinreichend bekannt sind.
Man hat es bei Roland also geschafft, eine extreme komplexe Formel zu erstellen, in die hunderte Parameter einfließen, angefangen bei
Länge der Saite
Spannung der Saite
Beschaffenheit des Hammerfilzes
Beschaffenheit des Resonanzbodens
Anschlagsstärke des Spielers
Position des Mikrofons
usw. usf. (Ich kann das natürlich nicht vollständig aufzählen, dann könnte ich ja selber so ein Ding bauen.)
Diese Formel läßt man nun den Prozessor ausrechnen und heraus kommt am Ende ein Ton, der täuschend echt nach einem Klavier klingt. Dieser Ton ist aber nie in der Realität aufgenommen worden, er ist errechnet worden. Das nennt man physikalische Modellierung.
Die physikalische Modellierung geht aber auch nach einem Modell. Ohne dem Klavierton geht faktisch nichts. Das heißt der Ton wurde aufgezeichnet, analysiert und in seine Bestandteile zerlegt, hinterher technisch kopiert und wieder zusammen gesetzt. Nichts anderes als Erdbeerjogurt. Den Kindern schmeckt es besser, wenn keine Erdbeere drinnen ist, sondern das naturidentische Aroma, welches aus dem Chemiebaukasten kommt...
LG
Michael