Die Frage nach Mozart oder Chopin ist so formuliert wie: Ketchup oder Majo?, aber sie funktioniert nicht so. Wenn ich Ketchup lieber als Majo mag, dann kann ich das auch so erklären, weil beide für sich genommen einen einzig[artig]en und charakteristischen Geschmack haben – und dafür genügt es, von beidem bloß eine Messerspitze zu probieren.
Wer fragt: Mozart oder Chopin? (oder Corelli oder Schnittke? oder Palestrina oder Skrjabin?, oder, oder, oder...), der setzt im besten Falle voraus, dass der Befragte die Werke beider Komponisten so gründlich und möglichst vollständig studiert hat, um eine begründbare Aussage zu treffen – und dass vor allem die Werke so leichtfertig vergleichbar wären. Allerdings ist es nun einmal nicht so wie bei Ketchup oder Majo, dass ich, wenn ich ein Werk von Mozart gehört habe und eines von Chopin, behaupten kann, den einen besser leiden zu können als den anderen. Was ist, wenn ich zufälligerweise bloß Mozarts Requiem und Chopins Tarantelle kennengelernt habe und nun mein Urteil fälle, dass die Musik Mozarts eine größtenteils ausgesprochen trauervolle sei, wohingegen Chopin vom einen beschwingten Tanze zum nächsten hüpfe..?
Geschmack allein ist kein Vergleichskriterium, zumal wenn es sich um zwei unterschiedliche Künstler handelt, die in unterschiedlichen Kreisen unterschiedliche Werke geschaffen haben mit unterschiedlichen Ansprüchen und unterschiedlichen Hintergründen.
Somit ist die Frage eigentlich haltlos, weil sie nicht einmal eine einigermaßen fundierte Begründung verlangt, sondern weil sie die Namen der Komponisten zu Schlagworten herabwürdigt, mit denen man sinnlos um sich wirft, um sich ein bisschen kultiviert zu profilieren.
Und was soll mit so einer Fragestellung denn eigentlich erreicht werden?
Mozart ist Mozart, und Chopin ist Chopin.
Ich finde, man kann viel mehr Musik genießen, wenn man nicht den Anspruch daran stellt, sie habe so und so zu sein und nicht anders. Wenn ich alle Musik an dem Schaffen Chopins messe, dann wird es mir schwerfallen, ein Madrigal von Monteverdi zu schätzen, oder ein späteres Klavierstück von Schönberg.
Dadurch, dass wir uns in der Situation befinden, alle Musik bis in die Antike nachvollziehen zu können, sollten wir auch unsere Anmaßung ihr gegenüber zurücknehmen und Musik immer auch als das Erzeugnis ihrer eigenen Zeit begreifen, und Mozart nicht einfach missachten, weil er so komponiert hat, wie er komponiert hat, denn so erheben wir uns über das Kunstverständnis einer ganzen geschichtlichen Epoche und verhindern somit, dass wir überhaupt begreifen können, weshalb die Dinge so waren, wie sie waren.
Wenn man sich öffnet für die Geschichte und dafür, dass die Geschichte eine Geschichte aufweist, dann kann man nicht mehr im Ernst Mozart gegen Chopin in den Ring schicken.