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Mit den Hervorhebungen noch eine kleine Präzisierung. Ganz wichtig erscheint mir die Verbindung von strukturellen mit musikalischen Gestaltungsmitteln am Beispiel von Etüden und Studienwerken im allgemeinen Sinne. Gegenstand dieser Werkgattung sind in der Regel technisch-musikalische Problemstellungen, deren Übungszweck für den erfahrenden Notenleser sofort erkennbar ist (Doppelgriffe, Repetitionen, Akkordik, Verzierungen, Sprünge, Arpeggien, Intervallik, Geläufigkeit, Phrasierung etc.). Diese Gattung hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und man könnte sich verkürzend eine Typologie unter bestimmten Fragestellungen überlegen: Dominieren technisch-motorische Aspekte (Hanon, Czerny), sollen diese mit gestalterischen Elementen ansprechender gestaltet werden (Burgmüller, Cramer-Bülow, Heller), ist Gleichrangigkeit von Technik und künstlerischer Aussage angestrebt (Chopin, Schumann, Liszt), geht es um das Austesten von technischen Extremen (Alkan, Godowsky)? Generell dominiert bei "Übungsstücken" der späteren Zeit der kreativ-künstlerische Anspruch - so ist mitunter mein Eindruck bei "Etüden" etwa von Skrjabin, Debussy, Bartók, Prokofiew, Rachmaninow. Vielfach wird dann nicht nur ein Problem technisch-musikalisch abgearbeitet, sondern es erscheinen mehrere Probleme in wechselseitiger Verknüpfung wie bei den letztgenannten. Die Grenzen zwischen dieser und anderen Gattungen sind irgendwann vor dem künstlerischen Gehalt nicht mehr präsent - im Falle der Ligeti-Etüden und zuvor etwa bei Lutoslawski sind sie dann wohl endgültig überschritten.je höher dein spieltechnisches Niveau ist, je mehr du Musik mit Noten hörst, umso geschickter und selbstsicherer wird dein Blattspiel. Hohes technisches Niveau ist notwendige Voraussetzung, um sich so schnell wie möglich zurechtzufinden (und nicht über Harmlosigkeiten wie diatonische Läufe, Verzierungen, Arpeggien etc. zu stoplern), warum viel Erfahrung mit Notenlesen beim hören (Strukturen sofort erfassen) nützt muss nicht wiederholt werden.
Warum diese Ausführungen zur Umschreibung einer bestimmten musikalischen Gattung? Ganz klar: Entscheidend für Erkennung und Bewältigung bekannter Muster und Strukturen in unbekanntem Umfeld ist nicht allein die Erarbeitung eines bestimmten klaviertechnischen Kenntnisstandes, sondern die Verknüpfung mit dem geistigen Verstehen und intellektuellen Durchdringen. Denn nur, was verstanden wird, lässt sich vom Gehirn auf den Spielapparat hin übersetzen und mit dem Gehör auf seine klanglichen Eigenschaften hin überprüfen.
Je nachhaltiger die Verinnerlichung und Automatisierung solcher Vorgänge gelingt, desto besser wird auch das Spiel vom Blatt, meint
Rheinkultur