Bach - die Dynamik im Wohltemperierten Klavier

Finde auch, dass man Bach auf dem Klavier nicht so wie auf einem Cembalo spielen sollte. Bach hätte sicher dynamisch komponiert, wenn es das Instrument hergegeben hätte. Ob es dann allerdings so bewesen wäre, wie Frau Bruhn vorschlägt, steht in den Sternen.

Hi Rudl,

stimme zu, mit ner Ergänzung: Man KANN Bach nicht auf den heutigen Klavieren oder Flügeln wie auf einem Cembalo oder wie auf einem Clavichord spielen - und auch nicht so klingen lassen.

Die Begründung lässt Frau Bruhn leider in den von ihr genannten 4 Interpretenkategorien außer Acht, sie spricht in der ( maßgeblichen ) Kategorie 4 im WK 00b-pdf lediglich davon, dass diese Pianisten "auf das Arsenal der romantischen Empfindungen", "ermöglicht durch die modernen Instrumente von heute, " zurückgreifen:

Und meiner Ansicht nach tun sie das zu Recht - allerdings ohne meistenteils mit explizit romantischem Gedankengut im Hinterkopf:

Die Sache sieht so aus - wie schonmal andernorts erwähnt:

Wenn jemand versucht, auf einem modernen Instrument Bach wie auf dem Cembalo klingen zu lassen, klappt das nicht. Die Möglichkeiten des Cembalos F E H L E N bei den modernen Klavieren und Flügeln.

Versucht man es also dennoch aus Unverstand, beschneidet man die hervorragenden Möglichkeiten heutiger Klaviere und Flügel - man kann sie also nicht vollständig nutzen, und man kann G L E I C H Z E I T I G nicht die Möglichkeiten eines Cembalos oder Clavichords nutzen. Und zwar gilt das für ALLE Pianisten und Klavierspieler. Und NEIN, auch nicht irgendeine PIANISTIN kann einen Flügel oder ein Klavier wie ein Cembalo klingen lassen. Geht physikalisch nicht. Auf nem Flügel und einem Klavier kann man: Leise, und laut spielen. Abgesehen von den Pedalen für besondere Effekte, die allein aber auf keinen Fall ausreichen. Man müsste schon an der "Hardware" herumschrauben, und selbst dann wirds kein Cembalo.

Daher sollte man m.E. solche Halbheiten sein lassen, und ALLE Möglichkeiten der modernen echten akustischen Klaviere und Flügel nutzen. Oder man spielt auf einem echten Cembalo oder Clavichord, und nutzt die DORT gegebenen Möglichkeiten.

Insgesamt also: Wenn Klavier oder Flügel, dann bei Bach ( und anderen solchen Leuten, wie Scarlatti z.B. ) alle Möglichkeiten, die passen, und die uns die Instrumente bieten, nutzen.

Man wandert ja schließlich auch heutzutage nicht per Ochsenkarren vom Yellowstone-Nationalpark in Amerika über Rio de Janeiro bis nach Zelazowa-Wola in Polen, "weil mans früher mit den damaligen Möglichkeiten mal so gemacht hat", sondern nutzt zeitgemäße Reisemethoden mit allem Komfort, den es heute gibt...

LG, Olli!
 
Die Frage, ob Bach dynamisch notiert hat oder nicht, beantwortet ein Blick auf seine Toccata und Fuge in d-moll. Dieses Stück hat Bach für die Orgel etwa 20 Jahre vor dem WTK komponiert.
 
Aber nicht zur Zeit von Bach.

Es gab natürlich Weiterentwicklungen, so ca. 1780, da ging ein bisschen Anschlagdynamik. Aber sehr mau.

Ohne Bach persönlich zu kennen vermute ich schwer, er hätte dynamisch notiert, hätte er die Möglichkeit gehabt :-D
Wie kommst Du darauf? Jedes Clavichord ist anschlagdynamisch, das geht von der Tonerzeugung her gar nicht anders.
 

Aber ganz sicher! Das Clavichord war in der Tat Bachs liebstes Tasteninstrument. Es ist zwar insgesamt sehr leise, aber in diesem Rahmen sind dynamische Abstufungen und auch ein Vibrato möglich.

Ohne Bach persönlich zu kennen vermute ich schwer, er hätte dynamisch notiert, hätte er die Möglichkeit gehabt.

Die Möglichkeit hatte er natürlich. Im Barock war es aber kaum üblich, dynamische Anweisungen zu notieren. Man ging einfach davon aus, dass die Musiker wussten, wie man zu spielen hat. Notiert wurde Dynamik (meistens) nur, wenn sie von den tradierten Regeln abwich.

LG, Mick
 

Das wäre ja mal ein Argument für ein Digitalpiano. Da drücke ich dann auf "Cembalo" :-)

Das würde ich nicht machen wollen ( jedenfalls nicht freiwillig ). Denn die Cembali - zumindest die, die mir bekannt sind - , haben mehrere mechanische Hebel und Stangen und sowas, und Schieber, - nun weiß ich nicht GENAU wofür die sind, aber immer wenn ich daran was gezogen, gedreht oder geschoben hatte, und zwar auch in mehreren KOMBINATIONEN Dinge änderte, änderte sich der Klang, ( und bei einem Hebel gar die Lautstärke ), und zwar jedes dieser Elemente bedeutend...ich glaube nicht, dass ein Digitalpiano solche Regler und Hebel modelliert bekommt, und vor allem nicht in der KOMBINATION der Änderungsmöglichkeiten - und zwotens fehlen einem Digitalen Instrument - durch mehrere Beschränkungen, wir hatten das schonmal - insgesamt die Möglichkeiten von echten Klavieren und Flügeln UND vom Cembalo.

LG, Olli
 
Jaja, das war jetzt auch nicht ganz so todernst gemeint...:party:
 
Ich habe derzeit 9 Stücke aus dem WTK (1) im Repertoir. Weder im Tempo noch in der Dynamik orientiere ich mich an mir bekannten Einspielungen (die ja auch ganz unterschiedlich sind).
Ich spiele so wie ich sie fühle und durchaus nicht immer gleich.
Auch das begeistert mich an JSBach.

Grüße
Manfred
 
Aber ganz sicher! Das Clavichord war in der Tat Bachs liebstes Tasteninstrument. Es ist zwar insgesamt sehr leise, aber in diesem Rahmen sind dynamische Abstufungen und auch ein Vibrato möglich.



Die Möglichkeit hatte er natürlich. Im Barock war es aber kaum üblich, dynamische Anweisungen zu notieren. Man ging einfach davon aus, dass die Musiker wussten, wie man zu spielen hat. Notiert wurde Dynamik (meistens) nur, wenn sie von den tradierten Regeln abwich.

LG, Mick

Wenn es so ist, dann darf man ja wohl auf dem Klavier voll zulangen.
 
bei den Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier von J. S. Bach ergibt sich für mich und sicherlich auch andere Bachfans das Problem, die Dynamik einer jeden einzelnen Note zu erfassen und die Stücke korrekt zu spielen.
dass Clavichord, Cembalo und Orgel (sic) kein wirklich kontinuierlich anschwellendes Crescendo und umgekehrt Diminuendo gewährleisten können wie es der moderne Flügel oder das große Orchester banal gesagt drauf haben, ist dir sicher bekannt.

Hast du mal die Literatur zur barocken Spielpraxis der Streicher, Bläser konsultiert? Hier wäre mein Tipp, dass du dich in die Literatur zu diesen Instrumenten einliest und ganz besonders zum Gesang!!

Der von dir zitierte Dynamikvorschlag zum 1. Praeludium WTK I ist eigentlich nichts anderes, als eine "normale", also gängige heutige dynamische Ausführung des harmonisch-formalen Spannungsbogens - ich will gar nicht sagen, dass das falsch ist, nein: das ist ok aufm heutigen Klavier.

Die Tasteninstrumente zu Bachs Zeiten verfügten schlichtweg nicht über die dynamischen Möglichkeiten, welche damals Streicher, Bläser und Geang hatten - diese Tatsache sollte allerdings nicht dazu verleiten, zu glauben, Bach und seine Kollegen hätten quasi entweder dynamikslos für Tasteninstrumente oder affektgeladen dynamisch für Streicher, Bläser und Gesang komponiert. Die Musik für Tasteninstrumente ist ebenso dynamisch gedacht/gewollt! Das Instrument damals konnte das halt leider nur ansatzweise...

Kurzum: Phrasierungen, cresc.-dim. etc. sind für barocke Sachen an der ermittelten Praxis der Streicher und des Gesangs zu orientieren, und dazu gibt´s genügend Literatur.

Die Konsequenz daraus ist: ein dynamikarmes oder gar dynamikloses Bachspiel auf dem Flügel wäre völlig daneben.
 
Das Clavichord war in der Tat Bachs liebstes Tasteninstrument. Es ist zwar insgesamt sehr leise, aber in diesem Rahmen sind dynamische Abstufungen und auch ein Vibrato möglich.
Das letztgenannte Phänomen ist unter dem Begriff "Bebung" bekannt: Die Veränderung des Tastendrucks überträgt sich auf die an der Saite anliegende Tangente - bei anderen Tasteninstrumenten existiert diese Besonderheit nicht, bei gezupften Saiteninstrumenten allerdings sinngemäß schon.
 
Ich muss hier auch mal meine 2, 3 ct dazugeben.

Eine schöne Quelle zum Thema ist DVD mit Angela Hewitt "Bach performance on the Piano". Sie äußert sich da u. a. auch zu Dynamik und Ornamentik. Das Buch von Frau Bruhns ist mir in meinem Recherchen auch untergekommen, und ich fand die Analysen von Form und Harmonik hilfreich. An Dynamikanweisungen erinnere ich mich gar nicht.

p mp, mp+ mp+, mp- mp, p mp+, mf+ mf, mp+ mp+, mf- mf, ...
Sowas nennt man auch crescendo.

Mir fallen zur Dynamik bei Bach so folgende, für mich plausible Faustregeln ein:
  • Ist ein Stück eher melodisch/gesanglich, so orientiert man sich bei der Phrasierung am Gesang. Also ganz platt: Stufenweise aufwärts: leichtes crescendo, abwärts umgekehrt, bei der Kadenz abphrasieren, bei natürlichen Atempausen evtl. absetzen. Ähnelt es eher einem Orchestersatz, wird man grundsätzlich eher lauter sein.
  • Haben wir im Satz so etwas wie den Wechsel von Solo und Tutti, so unterstützt man das, indem man das Tutti lauter und das Solo zarter spielt.
  • Wenn die Form eine Steigerung darstellt (häufigere Harmoniewechsel, Modulation in eine andere Tonart, Stretto bei einer Fuge) wird man diese Steigerung wohl auch dynamisch erlebbar machen.
  • Angela Hewitt betont, dass die ganze Bach-Musik eigentlich aus Tänzen kommt. Sie leitet daraus auch ihre Tempi ab, macht aber sehr feine Unterschiede zwischen verschiedenen Varianten eines Tanzes. Hat man dieses umfangreiche Wissen zu barocken Tänzen nicht, hilft ihre Grundregel: Wenn man dazu nicht tanzen kann, ist das Tempo auf jeden Fall schon mal falsch. Hinsichtlich Dynamik leite ich daraus auch die Aufforderung ab, nicht zu sehr zu dramatisieren, sondern eine gewisse Leichtigkeit zu wahren. ff verbietet sich also (meistens), und dramatische Steigerungen sind vielleicht ebenfalls mit Vorsicht zu genießen.
Wenn ich mir jetzt das C-Dur-Präludium in Erinnerung rufe (habe es solbst nie gespielt),
  • so hat man in den ersten vier Takten erstmal die Kadenz. Da kann man in der Mitte ein leichtes crescendo einbauen und zum vierten Takt sich wieder beruhigen, aber eigentlich würde ich sagen, da passiert harmonisch und möglichst auch dynamisch nicht viel. Eine Art Exposition, die uns mit dem bestimmenden Element des Arpeggios vertraut macht.
  • Sodann fängt die harmonische Entwicklung an, also eine Steigerung, wobei sich auch die Lage erstmal nach oben, später auch mal wieder nach unten verschiebt. Man folgt dem mit der Dynamik - in den höheren Lagen ist in meiner Erinnerung vom Stück auch die Harmonik eher strahlend, da kanns auch etwas lauter werden. In den tieferen Lagen wird irgendwo, so meine ich, auch nach Moll moduliert. Da kann es auch schon etwas - naja - geheimnisvoller klingen und ich würde etwas leiser werden. So ergeben sich harmonisch wie auch dynamisch Ruhephasen.
  • Der Schluss plätschert dann mit - aus meiner Sicht - zwar überraschenden, aber keineswegs dramatischen Harmoniewechseln dahin und das Stück läuft langsam aus. Das würde ich mit einem leichten dim unterstützen, ohne dass man es gleich im ppp ausklingen lässt.
So, nun warte ich, dass mir das zerpflückt und als Nonsens bewertet wird:teufel:.

Ciao
- Karsten
 

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