Das "Konzert für Klavier und Streicher" von Alfred Schnittke ist mit Abstand die interessanteste Musik,
die ich bis jetzt in meinem Leben gehört habe!
Bei diesem Beitrag musste ich etwas schmunzeln, denn tatsächlich war es eben dieses Stück, welches vor circa 8 Jahren mein Interesse an "zeitgenössischer Musik" weckte. Damals war ich noch weit davon entfernt jemals Musik auf professionellem Niveau betreiben zu können, und hatte von allem nach 1900 auch keine Ahnung. Skrjabin, Messiaen und "noch späteres" war für mich alles gleichermaßen seltsam (wenn auch interessant).
Damals war es so, dass ich einen guten Freund (der Orchesterleitung studierte) nach Tipps für modernere Musik fragte, und er mir als Antwort einfach einen relativ hohen Notenstapel aus der Hochschulbibliothek vorbeibrachte. Darunter waren Etüden von Ligeti, Stücke von Takemitsu und eben Aphorismen von Schnittke.
Schnittke fand ich dann irgendwie interessant und so stieß ich schnell auf sein Klavierkonzert. Der Stilmix dieses Werkes löste in mir auch sehr faszinierende Emotionen aus, sodass ich gewissermaßen angefixt war und mir dachte, dass es noch mehr an moderner Musik geben muss, welche mich so packen kann.
Mittlerweile mag ich Schnittke nicht mehr so gerne, da ich finde, dass seine Mittel etwas zu... naja... einfach und grob sind. Aber sie funktionieren sehr gut! Ein Stück von ihm, dass ich auch sehr mag ist sein erstes Concerto Grosso:
View: https://www.youtube.com/watch?v=M3Xehs1rHfM
Jetzt im Nachhinein, wo ich auf die letzten Jahre zurückblicken kann, in denen ich mich zu jemandem entwickelt habe, der mit am liebsten Modernes und Zeitgenössisches auf dem Klavier spielt, kann ich meine Erkenntnisse ein wenig zusammenfassen:
1.) Die Entdeckung eines neuen Komponisten ist im Grunde so ähnlich, wie wenn man mit ans Licht gewöhnten Augen in einen dunklen Raum geht. Am Anfang erscheint vieles irgendwie "ungewohnt" und die Pluralität der Empfindungen ist noch nicht so ausgeprägt, und man sieht gewissermaßen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Man muss sich auf jede neue Klangsprache auch erstmal einlassen, Stücke mehrmals hören und auf das achten, was die Musik in einem auslöst. Dafür wird man mit ganz neuartigen Empfindungen belohnt. Mir kommt es immer so vor, als ob jemand, der immer nur europäische Küche gewohnt ist, sich auf einmal auf einem thailändischen Nachtmarkt einfindet. Am Anfang stinkt alles ganz furchtbar nach Fischsoße, udn alles wuselt umher... Aber wenn das Gehirn gelernt hat, die vielen Eindrücke zu sortieren, ist es auf einmal lebendig, schön, wohlschmeckend und ganz anders als in Europa.
2.) Es gibt viel "mittelmäßiges" in der zeitgenössischen Musik. Der Drang zum Experiment und dazu, dass "jeder Komponist irgendwie das Rad neu erfinden soll" befördert meines Erachtens auch oft Mittelmäßigkeit. Hier braucht es viel Zeit, bis man selbst genug ästhetisches Selbstbewusstsein und Erfahrung hat, dass man benennen und bewerten kann, welche Aspekte der Musik einem gefallen und welche nicht, und was man auch einfach schlecht findet. Bevor man so weit ist, kann es durchaus vorkommen, dass man etwas schlecht findet (was auch nicht so gut ist) was ähnlich "klingt" wie gute Sachen und dadurch auch die guten Dinge mitabwertet. Z.B. fände ich es riskant Ligetis Werk nur anhand von Volumina zu bewerten. Dass man dann einen schlechten Eindruck von Ligeti bekommt, liegt auf der Hand.
Ich habe das Gefühl, dass über die zeitgenössische Musik der "historische Filter" noch nicht ausreichend angewendet wurde. Ich meine, aus der "Epoche der Klassik" werden zur Zeit eigentlich nur Beethoven, Haydn und Mozart gespielt. Das ist wirklich absolutes "Cherrypicking". In der heutigen Zeit ist da alles noch etwas unüberschaubarer, was natürlich auch nicht schlecht ist!
3.) Zeitgenössische Musik ist nach meiner Erfahrung viel mehr als ältere Musik auf eine gute Musikwiedergabe angewiesen. Da Aufführungskonventionen hier (naturgemäß) weniger existieren, müssen die Interpreten die Musik nachvollziehen und verstehen können oder sogar gewissermaßen "nachkomponieren" können. Weiter ist die Klangqualität oft SEHR entscheidend. Ich war z.B. mal sehr überrascht, als ich die kompletten Vingt Regards von Messiaen live im Konzert gehört habe. Ich war absolut beeindruckt von der Farbenvielfalt und Feinsinnigkeit dieser Musik! Zuhause wollte ich es mir anhören, und auf meinen Lautsprechern war von diesen Klangfarben und diesem Feinsinn irgendwie nicht mehr viel zu hören und es klang doch sehr nach Lärm...
Ah und hier noch ein schöner Hörtipp ("Rain Tree Sketch 2 in Memoriam Olivier Messiaen" von Takemitsu):
View: https://www.youtube.com/watch?v=8lTPZ7u4mlk