Barratt
Lernend
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Bleiben wir bei der Sprache. Die Grammatik, die Satzlehre, die Lautbildung alles interessante Fachgebiete, aber um zu sprechen, Texte -informative, literarische, rhetorische usw.- zu verfassen, werde ich mitnichten den Wust von Theorie bewusst bei der Wortwahl und dem Satzbau bemühen, sondern kann sofort angemessen formulieren.
Nur wenn man es gelernt hat. Die "Theorie" läuft unbewusst mit. Literarische Sprachgestaltung entstand in der voralphabetisierten Zeit als Merkhilfe, ganz simpel. Als ungebundener Prosatext lernt ein vielgesängiges Epos sich schlechter auswendig.
Man erinnert sich fatalerweise meistens nicht daran, dass bzw. wie man die Muttersprache gelernt hat, denn der korrekte muttersprachliche Spracherwerb findet in einem möglichst korrekt sprechenden Elternhaus weitestgehend durch Imitation statt, unterfüttert von gelegentlichen Korrekturen.
Alles später (in der Schule) Gelernte oder Korrigierte bekommt beinahe den Charakter einer Fremdsprache. Oft anzutreffen in Online-Plattformen: Der junge Mensch sondert einen Beitrag ohne Punkt und Komma ab, der von Orthographie- und Grammatikfehlern wimmelt. Es ist unglaublich, wie viele Fehler in einem einzigen Satz gemacht werden können. Weist man denjenigen behutsam darauf hin ("Wie, Du bist auf der Oberstufe des Gymnasiums???"), bekommt man zur Antwort "Ich bin doch hier nicht in der Schule, in der Schule gebe ich mir ja Mühe." Das bedeutet, für diese Personen ist der korrekte Gebrauch der Muttersprache ein bewusster Denkakt, die Anwendung eines "Wusts von Theorie". Es kommt eben nicht "automatisch", wenn der Wust von Theorie nicht vollkommen intus ist.
Der philologische Zusatzgenuss liegt nicht darin, dass ein Text korrekt ist und "keine Fehler" enthält, sondern dass man sich der Gestaltung des Texts bewusst ist oder sich diese bei Bedarf zumindest bewusst machen KANN. Literaten (= die Produzenten von Literatur) feilen durchaus so intensiv an einem Text wie Chopin an seinen Noten. Früher oder später will man wissen, was genau in einem literarischen oder Notentext wirklich "passiert".