Das Vermögen, sehr leise, dabei gleichmäßig weich, am besten noch in Kombination mit sehr schnell und staccato spielen zu können, ist für mich so ziemlich die größte Kunst beim Klavierspiel.
hallo Mindenblues,
diese Ansicht hast Du gelegentlich schon formuliert, und es gibt tatsächlich in der Klavierliteratur Stellen, die ein sehr hohes Tempo, piapianissimo und eine non legato Spielweise erfordern:
z.B. viele Abschnitte aus
- Ravel
Ondine
- Mussorgski
Bilder einer Ausstellung (Kükenballett)
- Liszt
Mephisto-Walzer
Notenbeispiel 1 aus Ondine
ein ganz extremes Beispiel dürften die ppp-Glissandi in Ondine sein, denn sie sollen so leise wie möglich ausgeführt werden. Das erste Glissando im Notenbeispiel ist auf den weissen Tasten, und natürlich wird man es auch "vorne" auf den Tasten spielen :) - der Zeigefinger liegt weich auf den Tasten, und zwar mit seiner rechten Seite (sic), die Tasten sind fast halb eingedrückt, und wenn man nun über die Klaviatur gleitet, werden die Tasten nicht auf dem Tastenboden ankommen bzw. werden nicht auf diesen gedrückt (die schwarze Tasten Glissandi links dito, rechts mit der liegenden Außenseite des kleinen Fingers)- - - die nachfolgende C-Dur Passage wird mit weichen Fingern gespielt, die ebenfalls nicht spürbar vom Tastenboden abprallen, sondern eher in den Tasten schweben (man spürt da keinen Tastenboden, jedenfalls nicht als Widerstand)
die Tasten sind schon teilweise eingedrückt, das "anschlagen" kommt nicht bis auf den Tastenboden, es ist quasi "schwebend"
--als Vergleichsgröße sind die Glissandi bzgl. Lautstärke und Geschwindigkeit nützlich, denn sie lassen sich ultra-ppp und sehr schnell ausführen (und das ohne Mühe: die Finger tun ja eigentlich nichts)
Notenbeispiel 2 aus Ondine
im Bass ppp eine Gis-Dur Tonleiter, quasi glissando - und das ist auch die Bewegungsidee: wieder sind die "weichen" Finger schon in den Tasten, und wieder kommen sie nicht ganz unten an - sie imitieren fast reglos ein Glissando, und mit etwas üben gelingt es dann auch so (ebenso leise und sehr schnell) - hierbei spielen sie nicht legato, sondern non legato
Notenbeispiel 3 aus Ondine
die schöne Spielfigur in der rechten Hand muss ppp gespielt werden, damit sie keinesfalls die pp-Melodie der l.H. übertönt. Da sie Tonrepetitionen und Doppelgriffe enthält, muss sie sehr non legato / leggierro gespielt werden, und weil das sehr schnell ist (Achtel 120-128 ungefähr) kann man das ppp staccato bezeichnen.
hier sind die Finger aktiver, wimmeln quasi mit akribischem Ameisenfleiß auf den Tasten, sind sehr flink, aber auch sehr elastisch und "weich" genug, um kaum in den Tastenboden zu kommen (der Tastenboden wird hier nur in den Doppelgriffen gespürt, nach genügend Training nicht einmal mehr das)
trainiert wird so etwas über das Reduzieren: erst forte mit stacc. abprallenden Fingern, dann den Abprall immer mehr reduzieren, bis man feinmotorisch das stacc. abprallen auch allein am Tastenauftrieb fühlt, also gar nicht ganz unten ankommt - klar, dass parallel die nötige Reduktion der Lautstärke erfolgt
Notenbeispiel 4 aus dem Mephistowalzer
die klein gestochenen Noten der r.H. sehr sehr leise, sehr schnell und wegen der Repetiononen staccato
Notenbeispiel 5 aus dem Mephistowalzer
stacc. Doppelgriffe ppp, sehr schnell
Je nach Erfordernis, kommt der ppp Anschlag mehr aus den Fingern oder mehr quasi aus dem Handgelenk (die Doppelgriffe im Mephistowalzer, oder die Akkorde im Kükenballett) - es ist eine Frage des taktilen Feingefühls und der Feinmotorik, das Abprallen allein vom Tastenwiederstand zu fühlen (also stacc bzw. non legato "schwebend" zu spielen) und im Fall von Doppelgriffen/Akkorden auch zu diffenrenzieren, aber das kann man trainieren. Müßig ist sicher die Frage, ob ein glissando eher non leg. oder leg. ist - es geht einfach zu schnell, um das hörend zu unterscheiden; und je schneller man spielt, umso mehr rücken die Töne zusammen, sodass man auch nicht hört, ob das stacc oder legato ist -
aber man hört, ob klar oder verwaschen gespielt wird, und klares Spielen wird bei dem Problem
sehr leise und sehr schnell eher legg. / non legato / stacc. erreicht. Damit ist also im Fall von
schnell und leise non legato eine Voraussetzung.
(((um Missverständnissen vorzubeugen: die Bögen zeigen Zusammenhänge in den Notenbeispielen, sie sind nicht mit der Spielanweisung legato zu verwechseln)))
Natürlich ist es eine individuelle Frage, was man selber als besonders schwierig empfindet, und natürlich hängt die jeweilige subjektive Antwort auch von den eigenen Erfahrungen ab. Mir geht es genau andersherum: ich finde sehr schnell und laut, und das auch noch differenzierend, viel anstrengender.
für das leise spielen ist es unerheblich, wo man die Taste berührt - denn wenn es schnell sein soll, ist der kürzeste und natürlichste Weg zwischen den Anschlägen der vernünftigste (vgl. das ppp-Glissando). Wenn infolge von Akkordgriffen nahe am Holz angeschlagen werden muss, dann macht man das halt, aber z.B. ultraleise Griffe auf den weissen Tasten (z.B. am Anfang von Debussys versunkener Kathedrale) würde ich nie und nimmer ganz nah am Holz anschlagen!! - - -
über das Fühlen wird man sehr sehr leise und differenziert spielen können
liebe Grüße, Rolf