Ich habe mir ein Klavier gewünscht, seit ich 3 Jahre war. Es war nie möglich, kein Geld, zuviele Umzüge. Irgendwann haben meine Eltern eine Heimorgel angeschafft. Ich konnte Klang und Haptik überhaupt nicht leiden und habe nur ein halbes Jahr gespielt. Das hatte mit dem Instrument, das ich lernen wollte einfach nichts zu tun. Meine Eltern haben daraus fälschlicherweise geschlossen, daß ich es wohl nicht so ernst meine mit dem Klavierspielen.
Naja, das ist doppelt schlecht gelaufen: Erst statt des eigentlich gewünschten Instrumentes einen untauglichen Ersatz anschaffen, und dann das Kind für das Scheitern verantwortlich machen...
Ich habe dann viel später als Erwachsene stattdessen klassische Gitarre gelernt, weil ich mir da ein ordentliches Instrument leisten konnte.
Meine musikalische Biographie ist scheinbar ähnlich -- und doch im Kern ganz anders: Ich war mit fünf, sechs Jahren auch sehr vom Klavier fasziniert. Wenn bei Verwandten eins herumstand, konnte ich dort stundenlang darauf klimpern, ohne dass mir langweilig wurde. Auch wenn im Radio Klaviermusik kam, habe ich gern und lange zugehört...
Mit ungefähr neun Jahren wollte ich ein Instrument lernen; meine Mutter erklärte mir, dass Klavier schwierig sei wegen Platz und Lautstärke und Geld und Lehrer... ob ich es nicht mal mit der Blockflöte versuchen wolle?! Die Frage war klug und listig; im Verwandtenkreis wurde Klavier, Gitarre, E-Gitarre, Keyboard, Akkordeon, Geige, Bratsche, Klarinette und Blockflöte gespielt; bei meinen Mitschüler/innen sah es ähnlich aus. Ich fand es cool, überhaupt ein Instrument zu beherrschen -- ob das nun Krummhorn oder Diskantgambe ist, war mir erstmal wurscht. (Ich hatte ja sowieso von Tuten und Blasen noch keine Ahnung.) Ich willigte also ein und hatte die folgenden vier Jahre Unterricht auf der Blockflöte. Das hat auch Spaß gemacht; mir war zwar rätselhaft, was ich mit dieser Fähigkeit eigentlich anfangen soll -- aber das Lernen, Üben, Spielen war ziemlich cool, und wie es später weitergehen könnte, hat mich erstmal nicht besonders interessiert.
Als ein oder zwei Jahre nach Ende des Flötenunterrichts eine elektronische Orgel angeschaft wurde, war ich Feuer und Flamme. (Das hatte auch eine familäre Vorgeschichte; meine Mutter konnte sich daher meiner Begeisterung recht sicher sein.) Immerhin kam ich so meinem ersehnten Tasteninstrument einen weiteren Schritt näher: Notenlesen konnte ich ja Dank des Flötenunterrichtes ohnehin schon; einen gewissen Plan, wie man übt, hatte ich auch -- jetzt kam also ein Instrument mit Tasten, auf dem ich jederzeit spielen konnte. Ein großer Fortschritt!
Naja, den Rest der Geschichte habe ich ja anderswo schon beschrieben.
Ich frage mich immer wieder, was meine Mutter, die ja meine Begeisterung für das Klavier kannte, bewogen haben mag, mich zu fragen, ob ich ausgerechnet BLOCKFLÖTE lernen möchte. Ich weiss es nicht -- ich weiss nur, dass es genau die richtige Frage war. Blockflöte lernen war der Spatz in der Hand -- ein Klavier war die Taube auf dem Kirchendach im Nachbardorf. Das war mir damals auch irgendwie schon klar.
Ich bin mir eigentlich auch sehr sicher, dass ich nie zum Musikmachen gekommen wäre, wenn ich den Flötenunterricht nicht gehabt hätte. Meine Blockflötenlehrerin war gütig, streng -- und eine sehr gute Lehrerin, wie ich jetzt rückblickend weiss. Sie hat die Grundlage für alles gelegt, was ich als Hobbymusiker kann.
Wenn ich mich im Umfeld meiner Kinder umsehe, sehe ich viele Eltern, die fahren ohne mit der Wimper zu zucken für den Preis eines Klaviers zum Skifahren und in den jährlichen Familienurlaub, haben zwei Autos, oder einen Camper oder Gartenmöbel und Grillequipment im Wert eines mindestens halben Klaviers. Und die Kinder sollen aber auf einem Keyboard lernen, weil ein Klavier so teuer ist. und wenn sie dann die Lust verlieren, liegt das vielleicht nicht an den Kindern, sondern am Instrument.
Ich verstehe -- aber das sind verschiedene Dinge.
Ein Nicht-Musiker hat zur Welt der Musizierenden keinen Zutritt. Nicht-Musiker wissen also schlicht nicht, was dem Kind vorenthalten wird.
Das ist m.E. gar nicht vorrangig eine Frage des Geldes. Eine Sängerin aus meinem letzten Chor erzählte, dass sie schon als Kind singen wollte. Wie es der Zufall will, wurde sie in der Schule von einem Talentesucher entdeckt. Der fragte bei den Eltern an, ob die Tochter in Chor XY mitmachen dürfe. Reaktion des Vaters: "Was will die?! Singen? -- Singen kann 'se ooch in der Badewanne!"
Ich finde es schade, dass in unserer Gesellschaft so vieles wichtiger ist, als ein gutes Instrument. Das kann man jetzt ein Luxusproblem nennen.
Nein... das habe ich nicht gemeint.
Überspitzt: Ein GUTES Instrument ist per definition nur ein Konzertflügel einer altehrwürdigen deutschen Klavierbauerfirma. Alles andere sind schlechte Instrumente.
Ich halte mit meiner privaten Definition dagegen: Ein gutes Instrument ist eins, das meine Bedürfnisse erfüllt.
Aber ganz ehrlich: Wer sich Klavierunterricht überhaupt leisten kann, kann sich ggf. mit Ratenzahlung auch ein Klavier leisten.
Das eigentlich dauerhaft teure ist ja eh der Unterricht....
Das ist nicht falsch -- aber zu kurz gesprungen.
Ich wohne in der Stadt in einem Altneubau mit drei Etagen und ausgebautem Dach; sieben Parteien je Treppenhaus. In meinem Zimmer ist Platz für mein Digitalpiano; wir können bei Bedarf auch zu zweit üben (E-Klavier und Flöte). Das war's.
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass ich fast ausschließlich am gemeinsamen Musizieren interessiert bin: Chorsingen, Kammermusik, Instrumentalensemble. Nichts davon kann ich in der Wohnung machen. Ich kann wohl meinen eigenen Part ÜBEN (wir können auch zu zweit üben) -- aber wir können nicht vernünftig im Ensemble MUSIZIEREN. Das gibt der Platz einfach nicht her.
Im Musikverein gibt es zahlreiche Unterrichts- und Probenräume mit Digitalpianos, Klavieren und Flügeln; in den Räumen wird im Chor gesungen, Kammermusik gemacht, im großen Instrumentalensemble gespielt.
Warum -- zum Geier -- sollte ich mir einen Flügel in mein winziges Zimmerchen stellen wollen? Welchen Mehrwert hätte ich davon?