Wie gut ist gut genug?

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Hallo liebe Klavierlehrer und SuS!

Ich erlebe im Klavierunterricht meines Sohnes immer wieder, dass sein KL ein Stück abhakt das zwar gut ist, mit Sicherheit aber noch besser gespielt werden könnte. Vielleicht nicht von meinem Sohn und wenn dann mit erheblich größerem Aufwand, den er nicht bereits wäre zu betreiben (die typischen letzten 5%...). Von daher verstehe ich das alles, er soll ja auch nicht demotiviert werden.

Gestern habe ich nun Bach-Präludium und Mozart-KK gespielt, beides gut, beides verbessert, er hätte nichts mehr zu tun. Natürlich kann ich noch daran arbeiten, das weiß ich schon und weiß auch wie. Darauf angesprochen meinte er, ein Stück ist gut wenn der SuS im Rahmen seiner Fähigkeiten das Stück spielen kann. Perfekt könne ich das KK nicht spielen, weil mir das Orchester fehle (?) und auch für mein Projekt 2020 Waldstein 1. Satz (vorerst, habe vor dem 3. Angst) sieht er in Punkto Perfektion schwarz. Solche Aussagen finde ich irgendwie niederschmetternd.

Wie haltet ihr es damit?

Liebe Grüße
 
Naja, Perfektion anzustreben ist immer so ne Sache, wie Du ja schon andeutest:
(Wobei ich das eher mit 20% kenne als erst mit den letzten 5%, schön wärs).

Was ich aber eigenartig finde: du sagst ihm, was du daran noch verbessern möchtest und er steigt nicht drauf ein? Versteh ich gut, dass das demotiviert. Da wäre für mein Verständnis nachfragen angesagt, bevor ich mir ne Entmutigung gefallen lasse. Könnte ja auch sein, das er das Stück nicht mehr hören kann und es gar nicht darauf gemünzt war, was er dir zutraut.
 
Perfektion im Sinne von Vollendung kann es beim Musikmachen gar nicht geben. Ich habe mich bereits seit Langem von dem Gedanken verabschiedet, irgendetwas „perfekt“ zu können. Ich bin auch froh darüber, aus der Perfektionismus-Falle herausgekommen zu sein. Für mich kann ich nur sagen, etwas habe ich gut oder schlecht gemacht, natürlich mit den entsprechenden Steigerungen und Abstufungen. Das nimmt eine Menge Druck und gibt mir viel mehr Freude beim Klavierspiel, das eben nicht mehr durch Verbissenheit geprägt ist. Klavierspielen ist ja immer, in Relation gesetzt, eine unvollendete Momentaufnahme, eine unperfekte Station auf dem Weg, immer besser zu werden. Das kann man schon daran erkennen, dass z.B. eine Aufnahme des eigenen Spiels einem eine Zeitlang gut gefällt, man früher oder später jedoch denkt, dieses oder jenes hätte man doch anders machen sollen.

Ich finde, der Begriff „Perfektion“ lässt außer Acht, dass wir uns ständig in einer Entwicklung befinden. Und mein Vorschlag an dich ist, dass du dich mit deinem Klavierlehrer einmal darüber verständigst, was ihr beide überhaupt unter dem sehr subjektiven Begriff „Perfektion“ versteht. Die Definition „Der Schüler kann im Rahmen seiner Fähigkeiten das Stück spielen“ ist mir zu schwammig. Da müsste noch konkreter werden, was „spielen“ bedeutet (technisch? souverän? fesselnd/begeisternd? aufführungssicher?) und vor allem, was der Rahmen deiner Möglichkeiten ist. Nur wenn ihr beide das Gleiche meint, kann es da eine zielführende Übereinkunft geben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Könnte ja auch sein, das er das Stück nicht mehr hören kann und es gar nicht darauf gemünzt war, was er dir zutraut.

Ne, eher nicht. Habe beides erst zweimal vorgespielt, Präludium spiele ich erst seit 3 Wochen. Der 2. Satz von KV 488 ist technisch auch sehr simpel, da kommt es mir mehr darauf an, ob ich den vom Ausdruck her gut hinbekomme. Und das Präludium ist schon ok, das könnte ich Laien problemlos vorspielen, öffentlich würde ich das noch nicht machen, aber ich weiß was dazu noch fehlt (Sicherheit, Tempo noch etwas anziehen, Artikulation in einer Passage noch zu überdenken). Aber wie viel sollte man von sich oder anderen verlangen? Gemessenen an Horowitz bin ich immer irgendwie schlecht...
 
Würde auch mit ihm klären, worum es im Unterricht gehen soll, wie @Demian das beschreibt. Weitgehende Übereinstimmung wäre für mich eine Voraussetzung dafür, bei ihm weiterzumachen. Fürs demotivieren brauch ich keinen.

Sich mit Profis zu vergleichen bringt nichts: so viel und so intensiv wie die bereits geübt haben, kann keiner nachholen...
 
Meiner Erfahrung nach geht es bei einem neuen Stück immer soweit, bis das schülerseitige derzeitig Mögliche erreicht ist, es sei denn, es steht ein Konzert bevor. Dann wird natürlich länger gefeilt und das sollte auch öfter mal vorkommen. Jedes Stück muss nicht bis zur Konzertreife getrieben werden.
Der Lehrer muss entscheiden, ob es abgelegt wird, weil es seinen Zweck erfüllt hat. Manchmal stellt sich heraus, dass es viel zu schwer war und der Schüler zu lange brauchen würde, es angemessen fertig zu bekommen.
 
Viva la Vida:-D

Solche Aussagen finde ich irgendwie niederschmetternd.
Nach dieser neuen Kenntnislage, habe ich den Eindruck dein Klavierlehrer (KL) meint dass er dir das noch nicht zutraut ...
@Demian hat das schon erwähnt mit der Kommunikation. Miteinander reden und Dinge klar stellen.

Übrigens, gerade der 3.Satz der Waldsteinsonate eines schönsten Stücke die es gibt


VLV
 
und auch für mein Projekt 2020 Waldstein 1. Satz (vorerst, habe vor dem 3. Angst) sieht er in Punkto Perfektion schwarz. Solche Aussagen finde ich irgendwie niederschmetternd.
Gerade schwere Stücke müssen auch (einigermassen souverän) beherrscht und klanglich/technisch bewältigt werden, sonst macht es kaum einen Sinn.

Und wenn Dein KL da kein Land sieht, dann hat er durchaus Recht damit, wenn er das nicht durchnehmen will, weil Du letztlich nicht an's Ziel kommen wirst...
 

Irgendwie hab ich mich falsch ausgedrückt. Er hat keine Probleme die Waldsteinsonate durchzunehmen, führte sie lediglich als Beispiel an, dass ich die wohl nicht perfekt spielen werden kann - womit ich durchaus leben kann. Mir ging es um einfachere Stücke und die Frage, ob die wirklich gut gespielt sind oder eben gerade so. Dass ich bei all meinen Stücken die Töne treffe und in einem angemessen Tempo durchkomme ist dabei nicht der Maßstab!
 
Liebe Muck,

ich verstehe dich so, dass du gerne noch an deinen Stücken arbeiten würdest und noch klanglich unzufrieden bist, während dein Lehrer die Stücke weglegen will. Ist das richtig?

Ich meine, dass man in dem Fall weiter daran arbeiten sollte, es sei denn, das Stück ist an der obersten Grenze der persönlichen Möglichkeiten (z.B. technische Schwierigkeiten, die durch andere Stücke und vielfältige Arbeit daran effektiver verbessert werden können).

Es ist aus meiner Sicht wichtig, herauszufinden, mit was genau du unzufrieden bist (einzelne Stellen, generelle Sicherheit....) und weiter daran zu arbeiten. Ich kenne das Gefühl selbst auch: man ist unzufrieden und hat die Lösung für eine Stelle o.ä. noch nicht gefunden, weiß aber nicht, wie es besser werden kann und worin die Unzufriedenheit überhaupt liegt. In "Üben, Proben, Karriere" beschreiben die dortigen Interpreten solche Gefühle und Zustände auch und ich finde es wichtig, sie ernst zu nehmen. Ein Lehrer ist dafür da!

Was die Waldsteinsonate angeht, schließe ich mich meinen Vorrednern an: wenn Perfektion das Ziel ist und nicht die Beschäftigung mit dem Inhalt, wird der falsche Weg begangen. Vielleicht meinte dein Lehrer damit, dass die Sonate noch zu schwer für dich ist. Dann könnte man aber klar darüber sprechen und Ziele definieren:
  • welche Voraussetzungen bringst du nach Meinung deines Lehrers mit, diese Sonate nicht spielen oder doch spielen zu können?
  • was fehlt seiner Meinung nach noch und wie könntest du dich in diesen Punkten verbessern?
  • wenn er der Meinung sein sollte, dass es dir an Geläufigkeit etc. fehlt: würdest du auch zufrieden damit sein, den Satz etwas unter Tempo zu spielen?
  • ......
Es kommt immer darauf an, was du willst, was der Lehrer für richtig hält und was dich weiter bringt. Dazu muss man ein klares Gespräch führen.

Zum Schluss möchte ich zögernd noch etwas erwähnen, das mir nicht selten begegnet ist: manchmal wissen Lehrer selbst nicht, wie etwas verbessert werden kann und sind mit anspruchsvollen Stücken oder musikalischer Arbeit selbst überfordert. Das kann ich in deinem Fall aber nicht beurteilen!

Liebe Grüße

chiarina
 
Hauptsächlich habe ich Angst, dass ich die Rückmeldung bekomme, dass das Stück gut gespielt ist, das aber tatsächlich nicht der Fall ist und ich es nicht erkenne bzw weiß, was ich noch verbessern könnte oder müsste.

Daher wollte ich einfach mal wissen, wie es in eurem Unterricht praktiziert wird. Welchen Maßstab legt ihr an?

PS: sowas führt bei sensiblen Menschen wie mir zu einer Sinnkrise. Ich frage mich gerade, ob ich nicht besser aufhören sollte zu spielen, wenn ich nach zig Jahren vielleicht gerade mal gut genug für Clementi-Sonatinen bin... :-(
 
Zuletzt bearbeitet:
Daher wollte ich einfach mal wissen, wie es in eurem Unterricht praktiziert wird. Welchen Maßstab legt ihr an?
In meinem Erwachsenen-Klavierunterricht suche ich mit den Schülern das Stück gemeinsam aus. Dabei kommuniziere ich ganz offen, ob ich es der Person zutraue bzw. unter welchen Voraussetzungen ich es für machbar halte. Ich erwähne bei sehr anspruchsvoller Literatur ggf. auch, dass da mehr Arbeit nötig ist als bei den bisher gespielten Werken.

Wenn ich merke, dass der Schüler sich an dem Stück die Zähne ausbeißt (meist liegt die Ursache in fehlender Übezeit), schlage ich vor, das Stück erstmal wegzulegen. Lassen es die Lebensumstände des Schülers wieder zu, kann dann wieder weitergearbeitet werden.

Wenn eine Komposition sehr gut gespielt wird, sage ich das genau so. Bleibt der Schüler unter seinen Möglichkeiten, bin ich da ebenfalls absolut ehrlich. Wenn das Stück doch zu schwer ist, machen wir eine Bestandsaufnahme, dann stellen wir beide fest, was noch für ein zufriedenstellendes Ergebnis fehlt. Wichtig ist mir dabei immer die Perspektive, dass der Schüler das Werk irgendwann bei genügend zwischenzeitlicher Übung an anderem, aber Zielführendem bewältigen kann. Dass ein Stück per se zu schwer ist und ein Scheitern von Anfang an bereits vorprogrammiert ist, kommt in meinem Klavierunterricht nicht vor, denn ich lasse meine Schüler nicht ins Messer laufen. Ich vermute, das tut kaum ein KL. Wenn es doch mal zu einem Scheitern kommt, liegt das an zu wenig Übe-Einsatz des Schülers, was zum Zeitpunkt der Auswahl des Stücks noch nicht vorherzusehen war. Allerdings vermute ich, dass das bei dir, @Muck , kein Thema ist.
 
PS: sowas führt bei sensiblen Menschen wie mir zu einer Sinnkrise. Ich frage mich gerade, ob ich nicht besser aufhören sollte zu spielen, wenn ich nach zig Jahren vielleicht gerade mal gut genug für Clementi-Sonatinen bin... :-(
1. nicht gleich die Flinte in's Korn werfen :026:

2. Es ist sehr schwer zu beurteilen, ob und wann ein Stück "ausreichend gut" gespielt ist - ohne vielleicht auch mal gehört zu haben, wie derjenige es tatsächlich spielt. Tatsächlich kann da theoretisch alles möglich sein (von "wirklich gut - es fehlen allenfalls Kleinigkeiten" bis "Tasächlich eher hmmm, das müßte eigentlich schon anders klingen")

Was ich NICHT hoffe ist, dass Du einen "echten Perfektionisten" als KL erwischt hast. Solche Menschen sind naturgemäß niemals mit etwas 100% zufrieden (und das kann auch unterbewußt ausgestrahlt werden etc.)
 
Bei mir war es so, dass ich nach meinem Wiedereinstieg vor fast 2 Jahren erst lernen musste, mir beim Spielen zuzuhören. Nicht dass ich das jetzt könnte, :030: aber bald kam eine Phase, in der mein musikalisches Gehör offenbar schneller besser geworden war als mein Spiel, was ich aber so erlebte, als würde mein Spiel immer schlechter. Da konnte mir mein KL beruhigendes Feedback geben. Seitdem kann ich viel gezielter üben, weil ich Unsauberkeiten und Abweichungen vom Zielklang besser höre. Jetzt kann ich auch insgesamt viel länger an einem Stück arbeiten, vorher hab ich leichter die Geduld verloren. Auch gehen wir (KL und ich) viel mehr an die Grundlagen (klaviertechnisch und musikalisch), was mich inzwischen sehr zufrieden macht.

Kurzes Fazit: ich glaube nicht, dass man dir was vormachen kann und du nicht merken würdest, wenn ein Lob nicht stimmt. Wenn ich das höre, hörst Du das schon lange.
 
Zur Perfektion: man nähert sich einem selbst auferlegten Idealzustand asymptotisch; mit jeder weiteren Woche üben ist der jeweils verbleibende Rest um 25 Prozent geschrumpft. Das wäre schon schlimm genug, aber gleichzeitig werden Deine Ansprüche an das, was Du Perfektion nennen möchtest, durch die Beschäftigung mit dem Stück und der intensiven Auseinandersetzung mit diesem höher und spezifischer. Dies führt zu der durchaus nicht seltenen Situation, dass man große und nachvollziehbare Fortschritte macht und sich vom Ziel dennoch spürbar entfernt.
 
Natürlich kann ich noch daran arbeiten, das weiß ich schon und weiß auch wie. Darauf angesprochen meinte er, ein Stück ist gut wenn der SuS im Rahmen seiner Fähigkeiten das Stück spielen kann.

Das Abschließen von Stücken ist tatsächlich für jeden verantwortungsbewussten KL immer wieder eine grundsätzliche Frage. Nicht jedes Stück (z. B. Etüden) muss in Gänze vorspielreif sein bevor es abgeschlossen wird.
Es ist aber eine gute Idee dem Schüler - wenn er hinreichend erwachsen ist! - zu erklären, was Sache ist.
 
Zur Perfektion: man nähert sich einem selbst auferlegten Idealzustand asymptotisch; mit jeder weiteren Woche üben ist der jeweils verbleibende Rest um 25 Prozent geschrumpft. Das wäre schon schlimm genug, aber gleichzeitig werden Deine Ansprüche an das, was Du Perfektion nennen möchtest, durch die Beschäftigung mit dem Stück und der intensiven Auseinandersetzung mit diesem höher und spezifischer. Dies führt zu der durchaus nicht seltenen Situation, dass man große und nachvollziehbare Fortschritte macht und sich vom Ziel dennoch spürbar entfernt.

Das macht Sinn. Das habe ich von der Warte so noch nie betrachtet.
 

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