Es ist unterhaltsam anzusehen, wie hier Gebrauchtware wie sauer Bier angepriesen wird. War das eigentlich in den 1890ern oder meinetwegen 1960ern auch schon so?
Oder sieht es nicht vielmehr so aus, daß inzwischen sowohl Privatleute als auch Händler auf einem gigantischen Überhang alter, häßlicher Klaviere sitzen, die sie einfach nicht mehr loskriegen?
Warum will bloß niemand vier bis fünfstellig in diese tollen akustischen Klaviere ehemaliger deutscher Herstellung investieren?
Spannende Frage!
Ich stelle mir die Antwort so vor: Jedes Kalenderjahr wird in Deutschland eine Zahl x an Klavieren gefertigt / verkauft (lasst uns bewusst die Flügel außen vor lassen, m. E. ein anders gelagerter Sachverhalt). Diese x Instrumente sind also im Umlauf und jedes Jahr kommen x hinzu (auch Marktschwankungen lasse ich der Einfachheit halber außen vor und tue so, als bleibe die Zahl konstant). In 120 Jahren sind also theoretisch 120x Klaviere im Umlauf. Bei guter Substanz und ordentlicher Wartung kann ein Klavier nämlich (ebenso theoretisch) 120 Jahre lang vollkommen brauchbar bleiben.
Selbstverständlich gibt es Schwund. 2 Weltkriege, das Schicksal, Überwemmungen, Brandkatastrophen o.ä. fordern ihren Tribut. Falls die Hälfte der theoretisch im Umlauf befindlichen Klaviere fachgerecht über den Styx transportiert worden wäre
, gäbe es immer noch theoretisch die 60fache Jahresproduktion im Umlauf, die hinzugekommenen Instrumente der etablierten japanischen und der noch nicht so etablierten sonstigen fernöstlichen Produktion ganz außen vor.
Selbst wenn diese Zahl übertrieben wäre – es ist und bleibt eine enorme Zahl von Klavieren, die irgendwo rumstehen. Rotteten sie zu früheren Zeiten noch irgendwo vor sich hin und wurden einfach behalten, werden sie heutzutage geerbt, passen nicht in die hellhörige Neubauwohnung der Erben oder werden aus anderen Gründen übers Internet bundesweit vermarktet.
Der Markt ist nicht nur riesig, sondern es ist auch aufgrund der besseren "Verteilbarkeit" sehr viel Bewegung auf niedrigschwelligem Niveau drin. Person A stellt ihre traumhafte Okkasion in Ober-Ammergau ins Netz, Person B aus Flensburg schlägt zu. Die Herausforderungen der Logistik tendieren gegen Null, von ebenerdig Ober-Ammergau nach ebenerdig Flensburg dürfte kaum teurer sein als Frankfurt Westend - Oberursel jeweils dritter Stock ohne Aufzug.
Vor diesem zu unterstellenden Überangebot dürfte die Hoffnung auf "Wertsteigerung" oder auch nur "Werterhalt" im Klaviersegment eine absurd trügerische sein.
Und sollte da auch noch eine empfindliche Digitaltechnik eingebaut sein... falls sie überhaupt reparaturfähig sind, wäre mein Vertrauen in die jahrzehntelange Verfügbarkeit von Ersatzteilen bei der heutigen Praxis von Firmenübernahmen, Firmenumstrukturierungen, Insolvenzen etc. extrem eingeschränkt.