Was ist eigentlich die "Klangvorstellung" und wie übt man das am besten?

Zurück zur Klangvorstellung. Der Klavierpädagoge Theodor Leschetizky benutzte unter anderem folgende Bilder / Fantasien, um Klang und Klangvorstellung zu beeinflussen:

- Die Vorstellung einer fernen Stimme für ein intensives pianissimo
- der Blick zum Himmel, um Stolz und Größe im Charakter wiederzugeben
- das Betrachten eines Bettlers für eine liebevolle Phrasengestaltung

Findet sich alles in der Biographie über Leschetizky von seiner Schülerin und Assistentin Ethel Newcomb - sehr lesenswert, da sie viele Informationen zu Leschetizkys Methodik und Persönlichkeit enthält.
 
Weiß ja nicht... wenn ich einen Bettler betrachte, werden meine Phrasen allenfalls wirr und ungepflegt... außerdem ist doch mit dem Betrachten augenblicklich Schluss, weil der Bettler mich umgehend fragt: "Haste mal 1 Euro 50 für ne Fahrkarte?"
 
KLangvorstellung hat für mich - Laie - damit zu tun, was mir der Zweck des KLavierspiels ist.
Oft ist das so lulli, mechanisch, einfach im Training zu bleiben.
Öfter aber ist es ein Ziel, ein Zweck, eine kleine mentale Reise.

Immer dann, wenn ich mir die etwas freche Vorstellung mache, was der Zweck zweier Stücke von Chopin in Des-Dur sein könnten, man verbringt einen netten Abend, mal kocht sich etwas Gutes, dann diniert man, dann erst die Berceuse op.57, mit der man die kleinen Mädchen zu Bette bringt, dann die op.27 #2, mit der man die großen ....

...dann stelle ich fest, dass die Zielvorstellung und das Umsetzen der Emotionen erstmal mich selber tief beglücken kann. Manchmal bekomme ich auch eine Rückmeldung, dass die Madame irgendwie ziemlich wissend grinst. Die kennt mich schon sehr lange... Da muss also vom Ausdruck, vermittels des Klanges, dann was angekommen sein. Finde ich gut, wenn das so läuft.

Also, man gucke, ob man einen Zweck für ein Stück fände. Dann, ob es einem gelingt, vermittels der Abläufe im Stück Emotionen herüberzubringen. Lauter, leiser, anschwellend, abklingend, Tempovarianzen.
Und es hat auch Auswirkungen auf den Anschlag, und der wieder auf die produzierte Tonqualität.

Ist jetzt laienhaft, aber es ist ein Plan.
 
Was ihr @Simon_Pianist und @Wiedereinaussteiger beschreibt, ist eher eine Art Subtext, der euch dabei hilft durch den Spannungsbogen und die entsprechende Entwicklung des Ausdrucks im Stück zu kommen.

Worum es bei der Klangvorstellung geht, ist aber viel banaler. Es geht darum, nicht erst vom durchs Anschlagen eines Tones erzeugten Klang davon überrascht zu werden, wie es klingt, sondern dies vorher zu wissen.
 
Es geht darum, nicht erst vom durchs Anschlagen eines Tones erzeugten Klang davon überrascht zu werden, wie es klingt, sondern dies vorher zu wissen.
Also ich bin immer wieder aufs Neue beim Hören des gerade erzeugten Klangs überrascht, dass es leider (noch) gar nicht so klingt, wie ich es mir vorstelle.
Obwohl ich das ja wirklich vorher hätte wissen können.. :-D
 
Es spricht auch nichts dagegen, sich immer mal wieder überraschen zu lassen. Wer ständig alles kontrollieren will, läuft Gefahr, seinen Spieltrieb verkümmern zu lassen. Die bewusste Wahrnehmung ist das Entscheidende, außerdem Reflexion auf der Grundlage eigener Aufnahmen.
 
@Viva la musica
Dann hast du auf jeden fall eine Klangvorstellung, die passt nur (noch) nicht immer zu deinem Spiel.


Was mir enorm geholfen hat, damit z.B. Lautstärken nicht so schwanken, sind gleichbleibende Bewegungen (z.B. eine Tonwiederholung oder ein aufgeschlüsselter Akkord) mit wechselnden Betonungen. dadurch kann ich relativ gut steuern, wie laut ein Ton wird. Sicherlich kommt das von der Praxis an einzelnen Trommeln (Samba, Djembe, Darbuka).
Aber auch bei mir geht das an den Tasten manchmal im Fluss noch daneben ... und das überrascht mich dann auch (manchmal ist es aber eher erschrecken).
Dagegen hilft bei mir nur Übung ... aber keine gezielte Übung auf Lautstärken, sondern einfach mein Repertoire mit Augenmerk darauf, wie es klingt ... bzw. wie ich es gerne klingen lassen würde.
Natürlich nutze ich dafür Stücke, die ich auswendig kann.

Vorhören mache ich bisher nur am Anfang.
Das dient dem Zweck, das richtige Tempo zu finden sowie, mal "in die Musik rein zu schnuppern" und mich dabei zu fragen, wie es sich heute anfühlt ... ich versuche immer dieses Gefühl mit meinem Spiel zu transportieren ... ob das wirklich klappt? Da muss man wahrscheinlich Andere fragen .. bei mir klappt das - meistens.
Mittendrin würde mich das wahrscheinlich eher durcheinander bringen.
Obwohl ich da auch unterscheiden muss.
Wenn ich ein fertig komponiertes Stück am Klavier spiele, dann höre ich mir eher selbst zu. Aber wenn ich improvisiere, dann wird im Kopf natürlich auch etwas "geplant" ... das ist kein echtes "vorweg Hören", aber die Bewegungen werden mental vorbereitet, während noch ganz andere Bewegungen laufen (z.B. ein Pattern, aus dem dann ausgebrochen wird, oder welches sich langsam verändern soll).

Damit zu der Frage, wie man für den Klangwillen üben kann ... mMn ist Improvisation ein guter Ansatz. Es ist auch relativ egal, ob dabei irgendwie großartige Musik herauskommt ... ich musste gerade an Strawinsky denken ("wer nicht mit 2 Tönen Musik machen kann ...").
In Punkto Klangwillen denke ich allerdings "Eigentlich muss auch einer reichen". Denn es geht im Grunde darum "den Ton" (jeden einzelnen) so zu gestalten, wie ihr das wollt.
Bei einer Improvisation kann man das mMn besser üben, als bei Stücken, in die schon jemand anderes eine ganze Menge Klangwillen reingetan hat.
 
Was ihr @Simon_Pianist und @Wiedereinaussteiger beschreibt, ist eher eine Art Subtext, der euch dabei hilft durch den Spannungsbogen und die entsprechende Entwicklung des Ausdrucks im Stück zu kommen.

Worum es bei der Klangvorstellung geht, ist aber viel banaler. Es geht darum, nicht erst vom durchs Anschlagen eines Tones erzeugten Klang davon überrascht zu werden, wie es klingt, sondern dies vorher zu wissen.
Und das "vorher wissen" kann ich ja viel besser, wenn ich vorher bestimmte Bilder in meinem Kopf abgerufen habe - z.B. die, von denen Leschetizky spricht. Denn von diesen ausgehend höre ich die Phrase in meinem Kopf innerlich vor.

Aber hey: Ich kann auch gut verstehen, wem das komisch / esoterisch vorkommt. Wahrscheinlich kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig das Hören ist - vor und auch während des Klangs. Crescendi auf bestimmten Tönen zu denken, kann das Spiel meiner Erfahrung nach viel interessanter machen.
 
Und das "vorher wissen" kann ich ja viel besser, wenn ich vorher bestimmte Bilder in meinem Kopf abgerufen habe - z.B. die, von denen Leschetizky spricht. Denn von diesen ausgehend höre ich die Phrase in meinem Kopf innerlich vor.

Aber hey: Ich kann auch gut verstehen, wem das komisch / esoterisch vorkommt. Wahrscheinlich kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig das Hören ist - vor und auch während des Klangs. Crescendi auf bestimmten Tönen zu denken, kann das Spiel meiner Erfahrung nach viel interessanter machen.

Es geht um das "vorher Wissen" schon eines einzelnen Tons. Dafür braucht es keine Geschichte. Ich vermute auch, dass dir die Bedeutung des Wortes "Subtext" nicht ganz klar ist.

Beim Klavier vergisst man leicht diese Notwendigkeit der Antizipation des Klangs, weil der Ton ja sowieso kommt, wenn man eine Taste drückt [sic!]. Ganz anders sieht es z.B. bei Blechblasinstrumenten aus. Da bist du ohne Klangvorstellung, salopp gesagt, am Arsch.
 

Aber gerade bei den Blechis ist es schon etwas sehr körperliches ... Stellung der Zunge, Lippenspannung, die passende(n) Intonations-Silbe(n) u.v.m. Einem bekannten von mir wurde vom Trompetenspiel abgeraten, weil er leicht schiefe Schneidezähne hatte ... ich habe noch nie gehört, dass ich nicht Klavierspielen sollte, weil meinem linken Daumen eine Sehne fehlt.

Wenn man sich bewusst macht, welche Parameter man beim Klavierspiel beachten und kontrollieren muss, so ist das schon eine ganze Ecke einfacher (finde ich zumindest, aber ich kann mit meinem Mund musikalisch auch allgemein nicht viel anfangen).
Aber natürlich braucht auch ein Ton in passender Intensität auf dem Klavier ein bisschen Vorbereitung. Einfach nur "Taste drücken" ist es eben auch am Klavier nicht.

Ob einem Bilder dabei helfen, den eigenen Klangwillen umzusetzen, ist doch ziemlich peng ... mir hilft das ... anderen eben nicht.
Aber solange es beiden gelingt, den Klangwillen umzusetzen, dann ist das auch einfach kein Problem.
Das Ziel ist es doch, den Klangwillen umzusetzen. Wenn das klappt, dann ist mir ziemlich egal, wie das geklappt hat, ob der Mensch sich dabei Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich vorstellt oder lineare Algebra ... wenns klappt, who cares?

Nur das Ergebnis zählt.
 

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