Was haltet ihr von den Thesen von Wim Winters (AuthenticSound auf YT) zu Tempo-Angaben ?

Firefinger

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25. Aug. 2018
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Hallo,

ich bin gestern auf den Youtube Kanal "AuthenticSound" gestoßen, der von Wim Winters, einem belgischen
u.a. Clavichord-Spieler betrieben wird.
https://www.youtube.com/channel/UC8vR6VP-3o_SpdnEBrpYGiQ

Dieser stellt die These auf (und demonstriert dies an vielen Videos und Erklärungen) das heute von professionellen Pianisten gespielte Tempi viel zu schnell sind da man die Metronom-Angaben speziell des 19ten Jahrhunderts falsch verstanden hat (Stichwort "Metrical Reading").

Umfassend ausführen möchte ich das jetzt hier nicht, dazu verweise ich auf seine Videos, seiner Theorie nach handelt es sich bei den betroffenen Angaben um Metronom-Angaben, die heute irrwitzigerweise als doppelt so schnell als eigentlich intendiert gelesen werden.

Als eines von vielen Beispielen hier mal seine Version mit nach seiner Ansicht "historisch korrektem" Tempo.


View: https://www.youtube.com/watch?v=aZZMuX6-1Sw


Seine Erläuterungen dazu:

View: https://youtu.be/w18esj7n8YE


Hier noch ein anderes Beispiel:

View: https://www.youtube.com/watch?v=zpfdMSlu2oU


Scarlatti:


View: https://www.youtube.com/watch?v=TmRG5lmfXNU

Man vergleiche mit Martha Argerichs Version:
https://www.youtube.com/watch?v=Gh9WX7TKfkI


Und seine Erläuterungen dazu (er geht auch auf M. Argerichs Version ein).



View: https://www.youtube.com/watch?v=MZ8LRhuhPlA


Eure Meinung dazu würde mich interessieren!

Falls dieses Thema hier schon besprochen wurde dann bitte ich um Entschuldigung!

Gruß
 
Zuletzt bearbeitet:
:D Ok, du hast Recht, 19ten Jahrhunderts muss es korrekterweise heißen.

Ich meinte die Musik des 18ten/19ten JH, habe es aber falsch formuliert.
 
ein Vorteil der (übrigens falschen) These ist, dass z.B. die Etüden von Chopin deutlich leichter werden - man könnte die noch falschere These aufstellen, dass heutzutage vierfach zu schnell gespielt würde: dann rutschen Chopins Etüden in den Anfängerbereich :-D:-D:-D:-D
 
Warum ist denn deiner Meinung nach seine These falsch?

Nach dem was ich gesehen und an Erklärungen gehört habe (siehe auch das eben noch verlinkte Scarlatti Beispiel / Erklärungen) finde ich das durchaus schlüssig.
 
Warum ist denn deiner Meinung nach seine These falsch?
in aller Kürze nur ein einziger Hinweis: in der Praxis kommt die These, dass das Metronom zweimal ticken müsse, bis der Pendelschlag voll sei, genau dort in die Bredouille, wo z.B. Chopin ein punktiertes Achtel mit einer Metronomangabe versieht; das kommt in seinen Etüden mal vor, und die praktische Lösung der Tempohalbierer ist da gewiß sehr spaßig ;-)
Ansonsten führt, wenn man sie ernst nimmt, diese These dazu, dass man urplötzlich um 1850 einen allgemeinen Temposprung (Verdopplung) postulieren muss, denn anders würden sich die Metronomangaben von Liszt, Wagner, Verdi etc etc nicht erklären lassen.
 
Sehr interessant.

Naja sicher ist das Thema komplexer und die Handhabung von verschiedenen Komponisten diesbezüglich unterschiedlich.

Ich denke die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
 
Ansonsten führt, wenn man sie ernst nimmt, diese These dazu, dass man urplötzlich um 1850 einen allgemeinen Temposprung (Verdopplung) postulieren muss, denn anders würden sich die Metronomangaben von Liszt, Wagner, Verdi etc etc nicht erklären lassen

Ich habe die These auch schon öfters gehört, aber das ist doch wirklich der Beweis, dass sie nicht stimmen kann.
 
Ich würde da garnicht so vorschnell urteilen, ich habe die Einwände von "rolf" mal an den Wim Winters weitergeleitet und bin gespannt was er dazu sagt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal abgesehen davon ob man dieser These nun zustimmt oder nicht.

Könnte man sie nicht auch einfach als ein Symptom ansehen, das sich manche Musiker dem "Höher, Schneller, Weiter" Speedrace verweigern möchten und deshalb auch eine Erklärung / Rechtfertigung für eine in ihren Augen Sackgasse der Spielpraxis suchen?

Gerade das Scarlatti Beispiel (wie schon erwähnt) hat mich überzeugt.

Man möge sich bitte seine Argumente dazu mal anhören und darüber nachdenken (dort geht es nicht rein um Metronom-Angaben).
 

Gerade das Scarlatti Beispiel (wie schon erwähnt) hat mich überzeugt.

Da hat er halt ein Stück gefunden, bei dem ein halbiertes Tempo passt bzw. auch ein ästhetisches Ergebnis liefert. Spielbar ist es ja im Originaltempo, nicht für jeden, aber offensichtlich für Menschen mit entsprechenen Fähigkeiten. Aber was ist mit den vielen Stücken, bei denen es nicht passt? Bei den man dann zwischen zwei Noten quasi Kaffe kochen könnte? Mich hat das Argument oben jedenfalls überzeugt: Wann und wieso gab es dann plötzlich eine Verdoppelung? Und wieso hat dieses keiner für so bedeutend empfunden, dass er es irgendwo schriftlich festgehalten hat? Nein, sorry, aber das kann nicht sein.

Es gibt soooo viele Thesen, die in sich so "geschlossen", dass man sie erst mal nicht widerlegen kann. Genau deswegen gehört dazu, dass eine These auch ernst genommen wird, mehr als nur eine reine Vermutung. Es mag dann zwar ganz unterhalsam sein darüber nachzudenken und auch zu diskutieren, aber letzendlich bleibts doch arg verschwendete Zeit.
 
Mich hat das Argument oben jedenfalls überzeugt: Wann und wieso gab es dann plötzlich eine Verdoppelung? Und wieso hat dieses keiner für so bedeutend empfunden, dass er es irgendwo schriftlich festgehalten hat? Nein, sorry, aber das kann nicht sein.
@MicAA
die verstorbene Grete Wehmeyer in ihrem Buch prestississimo war schon von der Metronom-Schlag-Verdopplung (zwei Ticks = ein Pendelschlag) und ergo von der angeblich authentischen Tempohalbierung überzeugt (dass man heute alles doppelt so schnell spiele) und sie bemerkte den Umstand, dass ab 1848 (Wagner Tannhäuser) andere Metronomzahlen vorlagen, nämlich solche, die allegro schnell haben wollten (vereinfacht gesagt) und sie schrieb selber, dass um 1850 ein Temposprung*) vorliege, d.h. ab ca 1850 galten dann doppelt schnelle Tempi als richtig ---- was daran unsinnig ist, lässt sich am Werk der Komponisten zeigen, die sowohl vor als auch nach 1850 komponierten (Liszt, Wagner, Verdi u.a.) und wenigstens teilweise ihre Sachen mit Metronomzahlen versehen hatten: bei denen gibt es keinen plötzlichen Temposprung (Verdopplung der Geschwindigkeit) ein allegro im Nabucco (mit gleichem Takt) ist nicht halb so schnell wie ein allegro in Aida.
...das alles ist in der Sekundärliteratur ausführlich durchgekaut worden. Die wunderliche Tempohalbierung einzig für die Sachen von 1800-1850 ist Mumpitz!
______________
*) und sie "erklärte" das in ihrem Buch mit Eisenbahn, Industrialisierung mit gesteigertem Zeitdruck, neues Tempolebensgefühl und ähnlichem Herumschwadronieren ohne Quellen...
 
Wer ist denn im Ernst der Meinung dass gerade op. 10/1 im halben Tempo besser klinge? Das ist doch Quatsch mit Soße. Freilich, wenn ich sie üben würde, wäre mir die These auch sympathisch. Dann wäre sie nämlich machbar für mich. (die Freude an dem Stück würde sich aber folgerichtig ebenfalls (mindestens) halbieren...)

Lg marcus
 
Man möge sich bitte seine Argumente dazu mal anhören und darüber nachdenken
...hab ich, und die ganzen Talsma Wehmeyer et al Sachen kenne ich - - - es ist schon amüsant, dass eine von Pollini prima gespielte Revolutionsetüde zu langsam ist, während eine recht holperig ultralahm gespielte Revolutionsetüde weder zu langsam noch zu schnell sein soll... damit ist der Bereich des gerade-noch-ernst-nehmen endgültig verlassen... ;-):lol::lol::lol:
 
"Zu langsam" wenn man die von ihm postulierte Tempohalbierung nicht in Betracht zieht.

Wenn man das tut dann ist es natürlich zu schnell.
 
Zitat aus den Youtube-Kommentaren:

"I don't understand this. If your theory is extended beyond the etudes ... you're saying that every piece Chopin wrote, and for which he gave metronome settings, should be played at what we now consider to be half tempo?

Does your theory apply only to Chopin or to every composer in the metronome era but before they could record in some fashion their own music?"

Wim Winters: It is not half the tempo we hear today (very few pieces are played according to single beat MM), but metrical (half) according to the MM mark.
 
@Firefinger das ist kein Argument. Nur wenige der op.10 und op.25 Etüden werden langsamer als die Metronomangaben der Erstausgabe gespielt; einige werden sogar rascher genommen.
 

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