Wann spielt man Bach legato?

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Diese Bögen hat Bach selbst in den Erstdruck hineingeschrieben, vermutlich für einen Schüler:

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;-)

Oder es war der Schüler selbst, weil der die Finger nicht auseinander bekommen hat 🤣 ich hab auch in Anatomie mal eine total seltene Aufzweigung eines Nerven einfach weggeschnitten, weil es irre kompliziert war zu erklären wie das entsteht und ich dachte mir „was nicht da ist, kann der Prof mit keiner Pinzette hochziehen und prüfen“ 🤷🏼‍♀️😁
 
Ich habe eine schöne russische Ausgabe von Anna Magdalena's Büchlein, wo die Artikulation ausgeschrieben wird und darunter Kommentare, warum diese Artikulation funktionieren und auch authentisch sein kann - meistens hat der Herausgeber ähnliche Passagen aus den Streicher- oder Chorstimmen z.B. aus Bach's Kantaten, Orchestersuiten etc. herausgesucht, wo Bach die Artikulation explizit aufgeschrieben hat. (Auch interessante Diskussionen über mögliche Dynamikabstufungen sind in den Kommentaren zu finden).

Interessant ist es auch, die Artikulationen in den unterschiedlichen WTK-Ausgaben zu vergleichen - Busoni, Czerny, Bartok und die modernen Studienausgaben. Das kann ein Thema komplett verändern, wenn man das anders artikuliert - von z.B. schüchtern zu heroisch, melancholisch-energisch.
Das wichtigste ist wahrscheinlich, dass wenn man sich für eine Variante entschieden hat, dass diese dann durchgehend eingehalten wird.
 
Das wichtigste ist wahrscheinlich, dass wenn man sich für eine Variante entschieden hat, dass diese dann durchgehend eingehalten wird.
Bach selbst scheint diese Einsicht nicht bekannt gewesen sein.
In vielen Kantatensätzen ist ein Motiv mal so, mal ein wenig anders artikuliert, ohne dass man einen tieferen Grund erkennen könnte. Auch bei Mozart findet sich, dass in der Reprise die Artikulation nicht genau der Exposition entspricht.
 
Bach selbst scheint diese Einsicht nicht bekannt gewesen sein.
In vielen Kantatensätzen ist ein Motiv mal so, mal ein wenig anders artikuliert, ohne dass man einen tieferen Grund erkennen könnte.
Hast du auch ein konkretes Beispiel, in Bach's Urtexten? Das wird schon einen Grund haben, bei Kantaten vermutlich durch religiöse Texte und Bedeutungen. Wenn das eine beliebige/zufällige Änderung wäre, würde mein musikalisches Weltbild zusammenbrechen :001:
 
mal so, mal ein wenig anders artikuliert,

Mir sagt man immer man soll nicht einfach nur Anweisungen befolgen, sondern hinter den Anweisungen den Sinn suchen der einem den Charakter vermittelt. Den dann spielen, keine Aneinanderreihung von Dynamik und Artikulationsbezeichnungen. Weil die wurden nur erfunden um den Charakter zu vermitteln, den man schlecht einfach notieren kann. Ich find das eigentlich ziemlich plausibel und daher keinen Widerspruch zu verschiedenen Artikulationsansätzen 🤷🏼‍♀️

Dass es eine Herangehensweise von beiden Seiten ist. Man spielt zunächst was da steht, dann fragt man sich warum es so dasteht und fühlt hinein was es vermittelt. Dann die Empfindung die dabei entsteht wiedergeben.
 
Zumindest bei Fugen macht es dem Hörer einfacher, den Überblick zu behalten, wenn das Thema wiedererkennbar bleibt und nicht durch beliebige Änderungen der Artikulation nicht wiederzuerkennen ist.
Es geht nicht darum, ein Thema durch "beliebige" Änderungen zu entstellen. Es passen auch nicht auf jedes Thema unterschiedliche Artikulationen. Aber in vielen Fällen ist es so, dass ein Thema je nach Situation (hohe vs. tiefe Lage, Verlauf der Begleitstimmen, harmonisches Umfeld) abweichende Artikulationen sehr gut verträgt bzw. benötigt und gerade längere Fugen von unterschiedlichen Blickwinkeln auf dasselbe Motiv sehr profitieren.

Für die anscheinend oft gelehrte "Regel", im Verlauf eines Satzes immer gleich zu artikulieren, gibt es jedenfalls keinen historischen Beleg.
 
Zuletzt bearbeitet:

Mein KL hat mir grade an den Inventionen einige Regeln (zu denen es dann natürlich wieder Ausnahmen gibt) erklärt. Z.B.: Tonleiterschritte binden, wenn sie nicht im Metrum gespielt werden aber absetzen, wenn sie im Metrum sind. Z.B. in der Invention 6, 1. Takt wäre dann rechts gebunden, links abgesetzt.
Nicht über Taktgrenzen hinweg binden.
Wechselnoten werden eher gebunden.
Bei der Invention 9 sind sehr viele Bögen enthalten, die angeblich von Bach stammen aber auch wieder nicht an allen gleichen oder ähnlichen Stellen.
Das Ganze ist schon recht verwirrend für mich. Mein KL meint, dass wir es am Ende auch einfach nicht wissen, wie Bach es gespielt hätte und unsere eigene sinnvolle Auslegung erarbeiten müssen.
@Demian Die Mitschrift würde mich sehr interessieren. Ggf. als PN?

Da frage ich mich, woher diese "Regeln" kommen. Wir haben immerhin - wo eine "Leitplanke" gewünscht ist - den sehr lesenswerten Versuch von Carl Philipp, der behauptet, er habe alles von Papa gelernt.
Von gebundenen Tonleiterschritten ist nichts zu lesen, aber von "ordentlichem Fortgehen". Das mit den Wechelnoten halte ich auch für eine freie Erfindung.
Auch die gerade hier nicht erwähnte, aber gern zitierte "Regel", dass Sprünge gestoßen werden sollen, kann ich als Cembalist nicht nachvollziehen. Im Gegenteil, ich würde mich immer fragen, ob nicht ein Überlegato am Platz ist (am Klavier vielleicht Verwendung des Pedals).
Bei den Bögen würde ich mich auch fragen, ob sie nicht einen ganz anderen Zweck haben, als zwischen legato und non-legato zu unterscheiden. Die erste Note unter einem Bogen erhält eine kleine Betonung, weitere Noten allerdings nicht. Daher könnte hier auch eine Unterdrückung von Betonungen auf schweren Zeiten der Zweck sein.
 
In der Klavierpädagogik ab dem 19. Jahrhundert bis heute waren die KL immer mehr konfrontiert mit nicht nennenswert begabten Schülern, die zudem nur eine kurze Lektion pro Woche hatten. Dadurch gaben allzu viele KL - natürlich sind dies die mäßigen bis schlechten - der Versuchung nach, die Methodik vieler Aspekte allzu sehr zu simplifizieren nach dem Motto "Zum genau Hinhören, selber Ausprobieren, differenziert Informieren etc. haben wir keine Zeit und ist der Schüler eh' ein bisschen zu blöd, also machen wir mal quick and dirty Pauschalvorgaben, an die der Schüler sich dann halten soll, so dass das Ergebnis 'für den Hausgebrauch' irgendwie OK genug ist"(sozusagen Simulation einer Interpretation).

Dies hat natürlich großen Schaden angerichtet, und an der Diskussion hier sieht man ja, dass das Problem nach wie vor leider sehr aktuell ist.

In der Jazzpädagogik gibt es ebensolche schädlichen Klein-Fritzchen-Methodiken, wie z.B. das berüchtigte "Improvisier mal erstmal einfach mit dieser einfachen Skala, dann basst des scho". Braucht man nur in eine x-beliebige Schüler-Bigbandprobe zu gehen und zu hören, was rauskommt, wenn die 2. Altsaxophonistin aufsteht und "auch mal ein Solo spielt"... Oder anderes Beispiel: Die Anweisung "Bei Swing-Achtel-Linien immer die Off-Beats betonen, dann swingt das mehr." Ürgs...
 
In der Klavierpädagogik ab dem 19. Jahrhundert bis heute waren die KL immer mehr konfrontiert mit nicht nennenswert begabten Schülern, die zudem nur eine kurze Lektion pro Woche hatten. Dadurch gaben allzu viele KL - natürlich sind dies die mäßigen bis schlechten - der Versuchung nach, die Methodik vieler Aspekte allzu sehr zu simplifizieren nach dem Motto "Zum genau Hinhören, selber Ausprobieren, differenziert Informieren etc. haben wir keine Zeit und ist der Schüler eh' ein bisschen zu blöd, also machen wir mal quick and dirty Pauschalvorgaben, an die der Schüler sich dann halten soll, so dass das Ergebnis 'für den Hausgebrauch' irgendwie OK genug ist"(sozusagen Simulation einer Interpretation).

Dies hat natürlich großen Schaden angerichtet, und an der Diskussion hier sieht man ja, dass das Problem nach wie vor leider sehr aktuell ist.

In der Jazzpädagogik gibt es ebensolche schädlichen Klein-Fritzchen-Methodiken, wie z.B. das berüchtigte "Improvisier mal erstmal einfach mit dieser einfachen Skala, dann basst des scho". Braucht man nur in eine x-beliebige Schüler-Bigbandprobe zu gehen und zu hören, was rauskommt, wenn die 2. Altsaxophonistin aufsteht und "auch mal ein Solo spielt"... Oder anderes Beispiel: Die Anweisung "Bei Swing-Achtel-Linien immer die Off-Beats betonen, dann swingt das mehr." Ürgs...

An jeder Schule gibt es mehr mäßige bis schlechte als wirklich gute Lehrer. Und ein enorm großer Teil ist darüber hinaus nur deswegen mäßig bis schlecht, weil die schulischen Rahmenbedingungen schlecht bis grottenschlecht sind.

Was bringt es also, sich ständig über die "nicht nennenswert begabten Schüler" aufzuregen? Ein guter Lehrer kommt auch mit denen zurecht. Und was stört dich das Solo der 2. Altsaxophonistin? In einer Schüler-Bigband? Solange die Schüler Spaß daran haben, ist gut, wer mehr will, muss sich andere Lehrer suchen. Ein Großteil aber ist einfach zufrieden so, wie es ist, und das hat durchaus seine Berechtigung. Es muss nicht immer alles perfekt sein.
 
Ich finde den Thread sehr interessant und anregend und werde mal versuchen, einige von den unterschiedlichen Empfehlungen anhand einer bereits erarbeiteten Invention anzuwenden.

Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es überhaupt einen KL gibt, der den Focus statt auf Phrase auf Takt legt - das empfänd ich als unmusikalisch.

Die Vereinfachung, die @Viva la musica in ihrem Ursprungspost nannte, wurde mir zu Beginn vom (guten) KL auch so nahegebracht. Ist für AnfängerInnen durchaus ein Einstieg, den man mit wachsenden Fähigkeiten bzgl. akustischer und klanglicher Differenzierung und der Fähigkeit zur Umsetzung im Spiel von Bach ausbauen kann.
 
Da frage ich mich, woher diese "Regeln" kommen. Wir haben immerhin - wo eine "Leitplanke" gewünscht ist - den sehr lesenswerten Versuch von Carl Philipp, der behauptet, er habe alles von Papa gelernt.
Er bezieht sich auf Ludger Lohmann "Die Artikulation auf den Tasteninstrumenten des 16.–18. Jahrhunderts" und ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir, im 3. Jahr, diese "Leitplanken" in verdaubaren Happen serviert und wir Stück für Stück die Ausnahmen und Erweiterungen an den Inventionen entdecken.
 
Anlässlich dieser Diskussion habe ich statt des hormonstimulierenden Taschengeräts mal wieder ein Buch in die Hand genommen :zunge: : Paulchen B-Sk hat in seinem sog. "Bach-Buch" auch zur Artikulation und speziell zum Legato einige Vorstellungen entwickelt.

Was mich gestern abend gefreut hat, ist, endlich das Fachwort für dieses gruslige Wort *Fingerpedal wiedergefunden zu haben: legatissimo (so P B-Sk) - finde ich wenig überzeugend - oder, jetzt kommt's: style luthé.
Das ist jetzt aber nur 1 Sekundärquelle (Stichwort: Quellenkritik), bei Gelegenheit werde ich diesem Begriff style luthé anderenquells nachgehen.
 
Der
, auch style brisé ist eine Spiel- bzw. Satztechnik für das irreguläre Arpeggieren von Akkorden auf der Laute, die von Couperin auf das Cembalo übertragen wurde. Mit Fingerpedal hat das gar nichts zu tun - jedenfalls nicht mehr als das gewöhnliche Arpeggieren, bei dem die Töne auch mit den Fingern gehalten werden.
 

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