Wie würdest Du gucken, wenn Du eines Tages als Engel im Himmel ankommst, die Einweisungsprozedur durchläufst und man Dir eine Digitalharfe verpasst?
Verdutzt würd ich da gucken!
Spaß beiseite, Meinung heißt "Nichtwissen". Ich gehöre zu den Leuten, die allzeit bereit sind, ihre "Meinung" bei Vorlage entsprechender Belege klaglos zugunsten von "Wissen" zu revidieren.
Aber ehrlich betrachtet habe ich in meiner Wohn- und Lebenssituation überhaupt keine Alternative!
Jöpp – sie sind ja auch ein Segen.
Und je besser sie einen Flügel imitieren, desto segensreicher. Niemand würde das bei gesundem Verstand in Abrede stellen.
An eine "Ablösung" glaube ich trotzdem nicht.
Wann wird denn eine Technik durch eine andere abgelöst bzw. verdrängt? Wenn ein bestimmter Zweck auf anderem Weg besser erreicht werden kann.
Beispiel Automobil, das schönste Beispiel überhaupt:
Zweck: möglichst schnell, möglichst sicher und möglichst kostengünstig auf möglichst unaufwändige Weise von A nach B zu kommen.
Das Ziel war nicht, das Transportmittel "Pferd" zu verbessern, sondern den Faktor Antrieb. Das Ziel war auch nicht, das Pferd besser zu managen, damit es schneller läuft, sicherer funktioniert (= die "Tiergefahr" auf ein Minimum reduziert wird), im Unterhalt weniger kostet, weniger verletzungs- und krankheitsanfällig ist – all dies wurde züchterisch versucht und ausgereizt. Auch nicht, Techniken zu verbessern, die es dem Pferd erleichtern, seine Arbeit zu verrichten (wie die genialen Erfindungen des Hufbeschlags oder des Kummets zum Beispiel). Ziel war, endlich gänzlich auf jegliche tierische Unterstützung (mit all ihren Begleitumständen) verzichten zu können und ein AUTO-Mobil zu kreieren, eine Maschine, die sich selbst zu bewegen imstande ist.
Der Zweck "Bewegung von A nach B" wird, sobald man irgendwie darauf zugreifen kann, unter normalen Zweckbedingungen durch Automobilität erreicht, nicht mehr durch Unterstützung von Reit- oder Zugtieren. Als Mittel zum Zweck "Mobilität" steht das Pferd heutzutage in keinerlei Konkurrenz zum Automobil (zum Glück für die Pferde und für die Mobilitätswilligen). Die naturgegebenen Leistungsgrenzen des Pferdes
als Mittel zum Zweck (Bewegung von A nach B) spielen überhaupt keine Rolle mehr, denn die technischen Mittel zur Erreichung des Zwecks haben sich geändert.
Gleichwohl gibt es noch Reit- und Fahrpferde. Aus Liebhaberei. Und nicht gerade wenig davon. Aber nicht zum Zweck, von A nach B zu kommen, sondern allenfalls mit dem PFERD von A nach B zu kommen. Zweck hierbei: gemeinsames Erlebnis mit dem Tier, Natur, Entschleunigung, whatever.
Der Zweck beim Klavierspiel ist das Klavierspiel selbst. Nicht "Musikmachen" generell, sondern gezielt auf einem Flügel/Klavier zu musizieren. Nicht das Erzeugen von Geräuschen, die wie ein Klavier/Flügel klingen (braucht man nicht im Gegensatz zur Fortbewegung von A nach B) und auf vergleichbare Weise hervorgebracht werden (dann hätte man ein verbessertes Pferd erfunden, keinen Selbstfahrer). Auch nicht, auf einem anderen Instrument zu spielen (wenn einem z. B. die Orgel oder das Cembalo besser gefällt, spielt man auf der Orgel oder auf dem Cembalo – schon das Klavier ist ein anderes Instrument als ein Flügel, obzwar die Gemeinsamkeiten überwiegen).
Hierbei ist schon der Zweck eine reine Liebhaberei!
Unterziele können sein, dass das Piano bei vergleichbarer Klang- und Anschlagsqualität geringere Herstellungs- und Wartungskosten verursacht oder dass durch Ausübung der eigenen Liebhaberei anderen Leuten nicht der unfreiwilligen Genuss derselben aufgezwungen wird. Ein anderes Unterziel könnte sein, mit dem Erwerb eines einzigen Instrument auch beliebige andere Instrumente nachahmen zu können – also nicht nur den einen oder anderen Konzertflügel nachzuahmen, sondern optional auch das Cembalo oder die Orgel. Überspitzt formuliert: Das Digitalpiano könnte durch entsprechende Samples alle denkbaren Instrumente nachahmen, auch wenn es die Grenzen der Absurdität bzw. der reinen Tollerei überschreitet – selbst gesetzt der Fall, das Gerät mit seinen Tasten könne die Töne einer Geige exakt wiedergeben, man spielt trotzdem nicht Geige auf den Tasten. Ziel beim Geigespiel ist nicht das Erzeugen von Geigenlauten, sondern das Instrument "Geige" zu spielen. L´art pour l´art. Aus reiner Liebhaberei klemmt man sich ein Instrument zwischen Kinn und Schulter etc., obwohl es physiologisch noch nicht einmal unheikel ist.
Auf einer Nichtgeige kann man nicht geigespielen, und auf einem Nichtflügel/Nichtklavier kann man nicht klavierspielen. Beides kann man nachahmen, möglichst perfekt nachahmen, der Output kann sogar identisch sein, aber es ist doch nur die "Nachahmung des Pferdes" und keine Weiterentwicklung, die das Pferd (zur Erfüllung des Zwecks "Fortbewegung von A nach B") mangels Leistung überflüssig macht = "ablöst". Die naturgegebene Grenze des Flügels/des Klaviers kann durch den Digitalersatz in vielfacher Hinsicht quantitativ überschritten werden (lauter/leiser, teurer/preisgünstiger platzsparender/raumfüllender etc.), nicht aber qualitativ hinsichtlich des eigentlichen Zwecks.
Sollte ein digitales Instrument X erfunden werden, dass die Eigenschaften des Flügels überwindet/hinter sich lässt, ist es in ontologischer Hinsicht etwas substanziell Anderes (ein ὑποκείμενον im aristotelischen Sinn).
Geduldige Wiederholung des bereits Gesagten: Die Zukunft des Digitalpianos wird groß sein, aber an eine ABLÖSUNG glaube ich aufgrund der Vielzahl der bisher genannten Gründe nicht.