Verpönte Klassische Musik

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass das Zitat nicht in meinem Schatz des Allgemeinwissens abgespeichert ist.

Aber ich bin Weltmeisterin im google'n. ;)
 
:D ich wusste gleich dass das von Schumann kommt *selbstlob* *stink* :D
 
Och mööönsch, geht doch mit dem Zeugs in den Quiz-Faden, der dümpelt in letzter Zeit!
 
Ein Blick in Schumanns Musikalische Haus- und Lebensregeln ist immer mal wieder sehr erfrischend... Und sie sind erstaunlich modern !:-D
 
Sooo, jetzt muss ich hier auch mal was zu schreiben, ich lese hier einfach zu viel, was mir nicht passt! :D

1. Der Vorwurf der schwachen Melodik: genau andersrum ist es! Welcher Popsong bietet eine annähernd so charmante Melodie wie die des Kopfsatzes aus Haydns letzter Sinfonie? Und das nur als ein Beispiel unter Tausenden. Der Punkt ist doch: die emotionale Vielfalt klassischer Melodik wurde in der Popmusik nie wieder auch nur ansatzweise erreicht. Melodien von solchem Charakter wie die oben genannte gibt es nicht mehr. Melodien heute sind meist gesanglich, in Tenor- oder Altlage, geradtaktig (regelmäßige Perioden...), in moderatem Tempo, ohne Kontraste in Dynamik und nur beschränkt in den Notenwerten. Der Charakter ist bevorzugt leicht melancholisch. Wo findet man die triumphierende Ausstrahlung wie beispielsweise die des Hauptthemas aus Mendelssohns Italienischer Sinfonie?
Oder den Tiefgang der Linien in Bachs f-Moll Fuge (1. Band)? Oder vielleicht der Witz des Scherzos aus Beethovens Streichquartett 59/1?

2. Die Länge: Tja, klassische Musik dauert nun mal länger. Zum Glück! So wie die meisten Menschen nicht immer nur drei Zeilen lange Artikel in der Zeitung lesen möchten oder 15 Minuten lange Serien im Fernsehen schauen, so möchte ich nicht immer nur Musik hören, die 3-4 Minuten dauert, eine Zeitspanne, die überhaupt keine große Dramaturgie ermöglicht (musikalische Lyrik dieser Länge gibt es natürlich in größter Vollendung - Preludes, Lieder, ...).
Vier Stunden ist außerdem - aber darauf wurde ja schon hingewesen - maßlos übertrieben. Es muss ja nicht gleich eine Wagneroper sein. Viele Sonatensätze dauern unter 10 Minuten. Und wer überzeugt ist, sich nicht länger als drei Minuten konzentrieren zu können, soll es doch einfach mal mit Schubertliedern oder Chopinpreludes probieren.
Apropos Lieder: Welche Popsängerin erreicht denn - hier wurde ja von emotionaleren Melodien gesprochen, aber die müssen ja auch emotional vorgetragen werden - die emotionale, beinahe beängstigende Intensität einer Frau Janowitz oder Frau Popp?
Hier z. B. einfach mal mit einem der Vier letzten Lieder von Strauss beginnen, vielleicht Janowitz/Karajan als Einspielung (subjektiv natürlich...). Kurz, melodiös, emotional, gesanglich, und das alles in höchster Vollendung.
Achja, bei Wagners Tristan sind übrigens schon zwei namenhafte Dirigenten bei einer Aufführung an einem Herzinfarkt gestorben, und der Tristan-Sänger der Uraufführung wenige Tage später mit Mitte 20. Und da soll mir noch einer sagen, es gäbe in der Klassik keine oder wenige "emotionale Melodien".

3. Transparenz: Verursachen nicht gerade die verzerrten Gitarren, die extrem tiefen, dumpfen Bässe und die elektronischen wischi-waschi-Füllstimmenakkorde einen kaum identifizierbaren Klangbrei?
 
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Danke rappy,

ich denke das war deutlich- hätte ich es geschrieben, wäre es wieder ein Alter gewesen, der anscheinend nicht mehr up to date ist- so ist es ein junger Mann-

Ich bin bass erstaunt, wie wenig Widerspruch sich hier regt, wenn Behauptungen aufgestellt werden, dass heutige Komponisten die wahren Meister der Melodie seien.
 
hätte ich es geschrieben, wäre es wieder ein Alter gewesen, der anscheinend nicht mehr up to date ist

:D damit ist die "Überredungskunst" oder Rhetorik um einen neue Art der Argumentation reicher geworden: je jünger das Argument, umso besser... :D

mal was anderes, zur Ablenkung, über Melodien, und zwar über sehr populäre Melodien: Ravels Bolero ist ja insgesamt nicht völlig unbekannt - sehr amüsant ist immer wieder, vom Anfänger bis zum Musikstudenten mal zu testen, ob wer die Melodie richtig nachsingen oder nachpfeifen kann... ... das bringt immer schöne Überraschungen (dabei erkennt jeder diese Melodie)

nicht minder amüsant aber sind die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man die eigentlich harmlos synkopierten Popsongs (da passiert kaum mehr, als dass um ein 16tel mal was vorausgenommen wird, ab und zu mal leichte asymetrische Achtelgruppen wie 3+3+2 etc) von relativen Anfängern spielen läßt, die diese zwar kennen und summen/singen/tanzen können, es aber am Klavier nicht gleich hinbekommen...

...und Schumann: den lohnt nicht nur zu spielen, den zu lesen lohnt sich auch (obwohl sein herbes Negativexempel der italienischen Oper im Fall von Bellini und Donizetti und Rossini nicht ganz zutreffend ist)

Gruß, Rolf
 
wie wenig Widerspruch sich hier regt, wenn Behauptungen aufgestellt werden, dass heutige Komponisten die wahren Meister der Melodie seien
Was natürlich Käse ist und daher nicht kommentiert werden muss. Interessant ist aber der Ansatz der Publikumsakzeptanz (verminderte Aufmerksamkeit, Unfähigkeit, komplexe Strukturen zu erfassen, etc. pp). Da liegt doch die Vermutung nahe, dass klassische Musik schon jeher ein Thema der Elite war. Wenn dem so ist, würde mich mal interessieren, was von der Popmusik jener Zeit übrig geblieben ist und wieviel davon wegen mangelnder "Vertriebskanäle" und Archivierungsmöglichkeit verloren ging.
 
Unterschiedliche Wahrnehmung

Hallo,
nach Lalonas und vor allem Rappys Post kann ich nun wirklich nicht anders, als zu folgendem Schluss zu kommen:

Verschiedene Menschen nehmen verschiedene Melodien total unterschiedlich war.

Rappy hat mich eben mit seinem von zahlreichen Beispielen geschmückten Post total umgehauen- diese Repertoirekenntnis habe ich nicht.
( Bei mir beschränkt es sich mit ein paar Ausnahmen auf die Klaviermusik)
Deswegen macht es auch keinen Sinn, jetzt auf die einzelnen Beispiele einzugehen.

Ich kann nur auf selber Schiene für Pop und R'n'B sprechen:
Wo findet man so eine Freude spendende Melodie wie diese hier ab 1:06?
Für mich wäre das Pendant in der klassischen Musik dazu die Polonaise Heroique op.53 von Chopin. Klar, der Chopin zeigt eine 1000 mal größere Vielfalt, doch kann diese eine Melodie aus dem Pop hier m.M.n. mit denen vom Chopin mithalten.


Oder wie viele Stücke können so eine packende, mystische und tiefgründige Stimmung aufbauen wie das hier: http://www.youtube.com/watch?v=mQi672Mqwe0
Für mich hierzu als Pendant die Trauermarschsonate von Chopin oder aber der Todestanz von Liszt.

Ich weiß, ihr werdet jetzt bei beidem eindeutig für meine klassischen Beispiele stimmen und euch fragen, wie ich darauf komme, meine trivialen Pop R'n'B Sachen mit ihnen zu vergleichen.

Wie gesagt: Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass wir einfach ne komplett andere Wahrnehmung haben.

Nur das ich das Glück hab, dass ich von Klassischer wie von Pop R'n'B Musik gleichermaßen begeistert sein kann. Schon was tolles :D
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Edit: Hab grad fishermans Post gelesen. Meine Behauptung war tatsächlich Käse- wir nehmen das einfach nur verschieden war, das ist alles. Und ich finde Melodien R'n'B nunmal meist schöner bzw. sie packen mich mehr. Trotzdem mag ich die Klassik genau so sehr.
 
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Da liegt doch die Vermutung nahe, dass klassische Musik schon jeher ein Thema der Elite war. Wenn dem so ist, würde mich mal interessieren, was von der Popmusik jener Zeit übrig geblieben ist und wieviel davon wegen mangelnder "Vertriebskanäle" und Archivierungsmöglichkeit verloren ging.

hallo,
mir behagt die Vokabel "Elite" nicht... muss ich das weitschweifig erklären? - - lieber eine interessante eventuelle Analogie:
"Winnetou" & "Schatz im Silbersee" sind keine Romane wie "Madame Bovary" oder "Krieg und Frieden"; dennoch findet Karl May trotz der formalen, sprachlichen und durchaus intelektuellen Mängel seiner "Reiseerzählungen" Erwähnung in Literaturlexika - der Grund ist, dass sie ohne Rücksicht auf die mangelnden literarischen Qualitäten vom späten 19. Jh. bis weit nach dem 2. Weltkrieg sher oft gelesen wurden. Anfangs in Heften/Journalen, später in Buchform - ja sogar ein eigener Karl-May-Verlag hat sich etabliert. Die Erklärung, es handele sich um "Jugendliteratur", greift zu kurz. Erstaunlich an diesen frühen "Bestsellern" (es gab auch andere, ebenso erzählerisch schwache, etwa Dahn "Kampf umd Rom" oder Sue "die Geheimnisse von Paris") ist die durchaus damals schon unternehmerisch geschickte Verbreitungsweise - freilich gekoppelt an die Absatzzahlen.
Man muss nun nicht dikutieren, welche Bedürfnisse Produktionen dieser Art bedienten und warum es diese gab - das wäre Thema einer soziologischen Rezeptionsforschung (die es freilich gibt).
Viel interessanter daran ist das Bedürfnis, diese Produktionen partout "auch" als Literatur und in diesem Sinne als "Kunst" vorzustellen - trotz der hierfür mangelhaften literarisch-künstlerischen Qualität (((ok, Arno Schmidt hat mal eine "Ehrenrettung" versucht und Mays letzten Roman zum visionären Kunstwerk erklären wollen, sein Adept Hans Wollschläger tutete ins selbe Horn - viel mehr als amüsant ist das allerdings nicht))).
...jetzt wird´s krass: May-Leser müssen nicht notwendig bei etwa Goethe landen, die können bei May etc bleiben - und behaupten dann gerne, dass ihre Literatur ja auch eine sei und dass man die andere gar nicht benötige...

...erinnert das nicht ein wenig an die Abläufe mancher Diskussionsansätze in diesem Faden?

ist nur ne Frage ;)

Gruß, Rolf
 

Wollte noch auf ein Statement von Basti eingehen:

Da hört man m.M. nach kaum noch irgendwas heraus, dass ist alles eher ein überlagern von verschiedenen Frequenzen der Töne die dann ineinander verschwimmen, ohne einen - auf Neudeutsch gesagt - Beat. Das Ganze klingt für mich wie gesagt eher nach einem verschwimmen der einzelnen Frequenzen der Töne, sodass der eigentliche Melodieverlauf total verschwimmt, es endet für mich darin, dass es nur noch laut ist, als wenn jemand möglichst viele Tasten am Klavier auf einmal durchtesten müsste.

Mir ist eingefallen, dass es mal eine Doku gab von einem Klassikliebhaber, der einen Schlaganfall erlitten hatte und genau diesen Eindruck teilte -- zu seinem groszen Leidwesen, denn davor hatt er wohl die entsprechenden Gehirnregionen weit genug entwickelt gehabt, um auch ein bisschen weinger simple und idiotensichere Musik verstehen und genieszen zu koennen.
Es ist also schon eine Sache der Uebung. Dreiradfahren wird dem Heranwachsenden ja auch irgendwann langweilig, dann muss das Abenteuer her, und manche werden grosze Koenner im Slalomfahren und erleben ihren Genuss nun bei gesteigertem Anspruch.
Ich finde, hier zahlt sich die Uebung aus: also marsch marsch alle Kinderchen an die Instrumente und beschallt sie ordentlich mit Bach, das hebt den Notendurchschnitt, wie zahlreiche Studien beweisen :D

((ich frage mich manchmal, wie doof ich geworden waere, haette mein liebster Papa nicht genau das gemacht ^^))
 
Ich wollte eigentlich zwei Links zu Youtube als Antwort posten aber es hat vermutlich keinen Sinn. Klassische Musik und Pop sind zwei Welten. Wer sich in beiden auskennt, verstünde den Sinn dieser Links, wer sich nur ein einer auskennt, findet sich in seiner eigenen Meinung bestätigt, ganz egal, welche es ist.

Zu Rappis Post:

1. Melodische Vielfalt ist nicht das Ziel jeder Poprichtung. Mit ähnlichen Argumenten und vielen Beispielen könnte man das rhythmische Gefüge der klassischen Musik als schwach darstellen. Aber sowohl Melodien als auch Rhythmik in mannigfaltigen Schattierungen haben beide zu bieten.

2. Länge als Qualitätsmerkmal können nur Männer nennen :D

3. Transparenz: Wenn sie gewollt ist, ist größere Transparenz natürlich besser. Ansonsten siehe Punkt 1.

Was der Popmusik allerdings meistens abgeht, ist der Sinn für das Schöne im klassischen Sinne. Aber wie Klavigen schon vorsichtig umschrieben hat ("Fettstuhl"), ist Schönheit heute kein Kriterium mehr, an dem gemessen wird, ob etwas Kunst ist oder nicht. Ich finde es sogar sehr interessant, sich auch mit der Ästhetik des Häßlichen oder gar des Bösen zu beschäftigen. Und bei dieser Thematik ist Popmusik der klassischen um Meilen voraus.

Ich weiß nicht, wie groß dein Erfahrungsschatz an "Popmusik" ist, aber kann es sein, daß du dich dabei vor allem auf das stützt, was täglich im Radio gedudelt wird und dich vermutlich sowieso kaum anspricht?

Doch die beiden Links, aber jetzt unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik in Popmusik:

http://www.youtube.com/watch?v=h2dGG9Rdtgk
Es geht um den "Freund Harry", mit dem Heroin gemeint ist - "with a friend like Harry you don't need enemies"

http://www.youtube.com/watch?v=Pnqw6APujQw
Düstere Vision einer intelligenten Ausbeutung menschlicher Ressourcen

Es vielleicht interessant, daß beide Stücke, jedenfalls im Radio, nicht übermäßig erfolgreich waren...
 
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...jetzt wird´s krass: May-Leser müssen nicht notwendig bei etwa Goethe landen, die können bei May etc bleiben - und behaupten dann gerne, dass ihre Literatur ja auch eine sei und dass man die andere gar nicht benötige...

Naja, so lange Karl May immer noch spannender ist als Goethe und Thomas Mann, solls mir egal sein ;)
" Die Menschen wollen unterhalten werden" sagte doch einst Horowitz, nicht wahr?

Schade nur, dass Karl May-Büchern nun sogar schon der Status als " Literatur" abgeschrieben wird. Wo fängt denn bei dir Literatur an?
Was müssen dann erst Dan Brown, J.K. Rowling und Stephen King für einen Müll geschrieben haben...

Frag mich halt auch, wies dann kommt, dass sich im Karl-May-Club etliche Professoren ( ja, auch Literaturprofessoren!) tummeln, die allmonatliche ihre Beiträge in der Karl-May-Zeitschrift hinterlassen...

etwas enttäuschte Grüße
Hacon
 
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...jetzt wird´s krass: May-Leser müssen nicht notwendig bei etwa Goethe landen, die können bei May etc bleiben - und behaupten dann gerne, dass ihre Literatur ja auch eine sei und dass man die andere gar nicht benötige...

Wenn grad zufällig von Goethe die Rede ist: der war mit Sicherheit in Bezug auf Musik eher ein Fan von Pop-Songs (damals nannte man sie Strophenlieder) als von den musikalisch dramatisierten Kunstliedern. Von Beethovens und Schuberts Vertonungen seiner Gedichte hielt er jedenfalls nicht viel.


Goethe, Schubert und der neue Liedstil
 
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Naja, so lange Karl May immer noch spannender ist als Goethe und Thomas Mann, solls mir egal sein ;)
" Die Menschen wollen unterhalten werden" sagte doch einst Horowitz, nicht wahr?


Hacon

Stimmt, wo du es sagst. Bei T, Mann wird relativ wenig geschossen. Das ist mir auch bereits unangenehm aufgefallen.

Und Unterhaltung ist ein dehnbarer Begriff. Die einen sind zufrieden mit Mickey Mouse u.ä.- die anderen unterziehen sich er Mühe Julien Green zu lesen.

Jaja, jeder nach seinem -Geschmack.

Und das mit der unterschiedlichen Wahrnehmung stimmt natürlich.

Im Haus bei mir wohnt eine "ähemm "Dame", die neulich meinte, warum aus meiner Wohnung immer so viel Geklimper zu hören ist. Diese Sicht bzw Hörmeinung ist häufig anzutreffen. Schlichte Gemüter vermögen in einem Rach-Konzert in der Tat nur eine sinnlose Ansammlung viel zu vieler Töne zu entdecken.

richtig Hören ist eine Sache, die gelernt werden muss.
 
(1)
Was der Popmusik allerdings meistens abgeht, ist der Sinn für das Schöne im klassischen Sinne.
(2)
Aber wie Klavigen schon vorsichtig umschrieben hat ("Fettstuhl"), ist Schönheit heute kein Kriterium mehr, an dem gemessen wird, ob etwas Kunst ist oder nicht. Ich finde es sogar sehr interessant, sich auch mit der Ästhetik des Häßlichen oder gar des Bösen zu beschäftigen.
(3)
Und bei dieser Thematik ist Popmusik der klassischen um Meilen voraus.

hallo,
mit Sicherheit ist ein Forum, in welchem diskutiert und ausgetauscht wird, kein Doktorandenkolloquium, sodass nicht jedes Wort auf die Goldwagse gelegt werden muss.
Aus diesem Grund frage ich einfach nur, ob folgende Beobachtungen sich mit Deiner Erklärung vereinbaren lassen:
zu (1)
der periodische Aufbau von (lediglich rhythmisch mittles Synkopen) der Melodik von nahezu aller Popmusik, ja Unterhaltungsmusik überhaupt, dazu die meist entwicklungslose Verlaufsform von Strophen und Refrains, obendrein noch die (abgesehen vom Jazz) äußerst reduzierte Harmonik: das sind sehr festgefahrene, einfache und möglichst überschaubare Strukturen, die sich oft als noch schlichter und so zu sagen "klassisch" orientierter erweisen, als eine achttaktige Periode bei Mozart oder sonstiger frühklassischer Musik.
(dass es Riffs, kleine Instrumentalintermezzi oder -soli, manchmal sogar die Versetzung um einen Halbton gibt, weiss ich - es ändert aber nichts an den sehr einfachen periodischen und gleichsam "klassisch" orientierten Strukturen)
zu (2)
Vor mehr als 170 Jahren fand die Uraufführung der "Symphonie Fantastique" von Hector Berlioz statt; Heinrich Heine hatte diese monumentale "neue" Sinfonie rezensiert, und dabei als Novum die neue Qualität der "Ästhetik des Häßlichen" hervorgehoben. Ja sogar das Banale, das Vulgäre, das Bösartige, das Schrille und freilich das Häßliche hielten Einzug in die (musikalische) "Kunst" (der Walzer als Scherzo, der Vulgärmarsch, scheußlicher Hexensabbat mit dreist rhythmisierter alter "dies irae"-Sequenz). Die Faszination des Bösen der "gothic novel" fand ebenfalls im frühen 19. Jh. Einzug in die deutsche Literatur: Hoffmanns "Elixiere des Teufels".
-- hierbei darf man das Aufsehen, welches sowohl die Berliozsche Sinfonie als auch die gothic novels innerhalb der Lebensumstände des 19. Jh. erregten, nicht übersehen: allerhand diabolisches wie morbides in der Musik (Trauermarschsonate, Totentanz, Mephistowalzer, Valse triste, suggestion diabolique usw usw) fand hier, in der "Ästhetik des Häßlichen" die entsprechende Anregung.
Weit umfangreicher und detaillierter wurde das Häßliche, Böse etc. integraler Bestandteil des Symbolismus (wozu auch Jugendstil, l´art pour l´art usw. zählen), schon in den 80er Jahren des 19. Jh. in allen Künsten (sogar im sozialkritischen Naturalismus, etwa Zolas "Bestie Mensch")
zu (3)
obwohl das noch zu (2) gehört, habe ich es abgetrennt, weil es als eine Art Fazit ein strenges Statement abgibt. Unter der Voraussetzung, dass man die Entwicklungen der "Kunst" (also auch der Musik) vor den 50er Jahren des 20. Jh. ausblendet, hat es den Anschein, als sei die Popmusik hier bahnbrechend - aber dieser Schein trügt.

die Geräusche eines startenden Düsenjets als Crescendo kommen in der Popmusik vor: ich finde es schön, dass diese Techniken der "Geräuschmusik" a la Edgar Varese (der wiederum von Wagner (Schmiedegeräusche im Rheingold und Verdi Orgelcluster im Otello) angeregt war) aufgegriffen und integriert wurden - aber auch diese sind keine Innovationen der Popmusik.

Natürlich könnte man behaupten, das "Häßliche" im 19. Jh. sei harmloser, weil man heutzutage eine viel krassere Sprache wagt, welche ja in Massenmedien ihre millionanfache Verbreitung findet, während damals die Ästhetik des Häßlichen brav nur im "Elitezirkel" des Bildungsbürgertums für Furore sorgte. Das wäre aber nur ein quantitatives Argument. (obwohl ich über die wirklich komischen Texte von "Sido" herzlich lachen kann - Heine wusste das noch dreister und gekonnter zu formulieren)

Gruß, Rolf
 

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