Spielgefühl und Bindestriche, zum zweiten...
In der Wirklichkeit ist die Unter-Tasten-Mechanik (von Ausnahmen abgesehen, s. o.) als "Unterzugmechanik" ausgeführt, wie von Tastenscherge bereits erwähnt (und schon vor Jahren in
diesem Faden behandelt).
Vordergründig ist diese Lösung eleganter, weil einfacher, wie dem Blick auf die beigefügte zweite Skizze zu entnehmen. Statt die Tasten analog und parallel verschoben unten fortzusetzen, kann man ja auch zwei von den drei zusätzlichen Schnittstellen einsparen und einfach eine Direktverbindung per Draht von den Tasten nach unten zu den Hebegliedern herstellen. Genau so arbeiten typischerweise die Klaviere mit UTM.
Diese vordergründig elegantere Lösung bringt allerdings Eigenschaften mit sich, die detaillierte Beleuchtung verdienen.
Erstens: Die direkte Verkoppelung jeder einzelnen Taste mit der Mechanik führt zwangsläufig zu dem haarsträubenden Wahnsinn, wenn man so eine Mechanik servicen muss. Man kann die Mechanik nicht herausheben, ohne alle Trakturen einzeln auszuhängen.
Zweitens: Die sich bei dieser Konstruktion zwangsläufig ergebende Hebelbemessung führt zu einem ergonomisch höchst fragwürdigen Ergebnis. Denn der Trakturdraht muss ja, bei vernünftig lotrechter Führung, in das (nach vorn weisende) Hinterende des Hebeglieds greifen, noch deutlich hinter dem Fängerdraht. Die notwendige Hubbewegung am Hebeglied wird dadurch extrem groß. Entsprechend groß muss die Hubbewegung am Hinterende der Taste sein, und dafür muss der Waagebalken so weit wie möglich nach vorn verlegt werden. Im Ergebnis führt dies zu einem äußerst ungleichmäßigen gefühlten Spielgewicht. Man bedenke: Wenn der Waagepunkt gleich hinter dem Tastenbelag liegt, dann drückt man zwar am Tastenvorderende die normgemäßen 50 g, aber schon in der Mitte sind es 100 g, und noch weiter hinten 200 und mehr. Es gibt viele Kleinklaviere, die mit bedenklich kurzen Tastenhebeln gebaut sind, aber da wird dadurch wenigstens gezielt Bautiefe gespart. Genau dies geht bei den UTM-Klavieren nicht - weil die langen Tastenhinterhebel benötigt werden.
Drittens: Aus erstens und zweitens ergibt sich leider logisch, dass die Trakturen so nahe wie möglich un die Mechanik herangeführt werden müssen, um die ohnehin grob verzerrte Ergonomie nicht noch mehr zu überreizen. Im Ergebnis kann man so eine Mechanik nicht einmal leicht kippen, wenn man ihre Bolzen löst. Der erwähnte Wahnsinn kriegt so seine Krönung. Nur ein Praxisbeispiel: Wenn sich beim Stimmen durch ein Missgeschick ein Dämpfkeil löst und in die Mechanik fällt, zwischen Hämmer und Dämpfertangenten, dann ist das bei normalen Klavieren ein Ärgernis und meist durch halbakrobatische Fingerverrenkungen bei abgekippter Mechanik in Sekunden zu beheben. Bei UTM-Klavieren dagegen kann schon allein dies zu einer richtigen großen Katastrofe werden. Kollegen/innen werden die damit verbundenen Blutschweißausbrüche kennen...
Aber trotz allem muss auch etwas positiv Überraschendes gewürdigt werden. Wer bei den UTM-Klavieren ein durch und durch abgrundtief schlechtes Spielgefühl erwartet, liegt falsch. Denn viele Anschläge, und zwar die am vorderen Tastenende, fühlen sich eher erstaunlich präzise und sensibel an, besser als bei vielen anderen Klavieren. Nanu?? - Der Grund ist ganz klar: Die langhebelige Ankoppelung des Hebeglieds macht eine besonders feinfühlige Bewegungsdosierung möglich.
Aber halt nur am vorderen Tastenende. Oder man müsste diesen ohnehin skurrilen Klavieren noch 20-30 cm mehr Bautiefe gönnen, um die Tasten richtig lang zu machen... :D
Und nun noch eine Bemerkung zu Michaels erwähntem Klavier mit Phantomtasten, die hinten bei den Dämpfertangenten verachst sind. Bei solch einer Konstruktion wird zumindest das Herausnehmen der Mechanik einfacher. Die Ergonomie dürfte aber prinzipiell ähnlich sein, wie hier im Text und unten in der Skizze beschrieben. Und damit anders als bei normalen Klavieren.
Gruß
Martin
PianoCandle
... und aus Krach wird Klang