Übungsstücke zum Thema "Spannung" der linken Hand

und auch um eine "Spannung der Hand" muss man sich bei op.10/6 mitnichten bemühen, es darf alles ganz locker und mit, ich bin geneigt zu sagen, geradezu "labberigem" Handgefühl abgehen (dann kann man auch die delikate Dynamik gut kontrollieren).
@hasenbein das gefällt mir ganz außerordentlich
(und du hast recht: die rein sprachliche Deskription genügt eigentlich nicht, es sei denn, der Adressat weiß ganz genau, was gemeint ist - mir ist klar, was du mit der Formulierung vom "labberigen Handgefühl" meinst; und das ist richtig!)

Die Etüde op.10 Nr.6 es-Moll ist auf den ersten "Anhör-Blick" harmlos, eher ein Nocturne (natürlich ein typisch Chopinsches) als eine "virtuose" Etüde; und entsprechend gilt sie auch als "eher leicht". Tatsächlich ist sie sogar relativ "leicht", wenn man a) ohnehin weit greifen kann*) und wenn man b) keine Probleme mit unbequemen weiten Intervallen zwischen den Fingern hat**), zudem sollten c) sämtliche musikalischen Anschlagstugenden***) verfügbar sein. Dann ist sie wirklich leicht!

Die musikalische Rezeptur der Etüde ist übersichtlich:
1. eine ruhige Kantilene in der Oberstimme (gelegentlich mittels Doppelgriffen etc akkordisch verstärkt)
2. ein "Klangband" in 16teln, welches unterhalb der Kantilene harmonische Füllnoten chromatisch umspielt
3. ein sehr ruhiger Bass
Hinzu kommt eine beinahe tristaneske Harmonik und der Umstand, dass sich die Innenfinger****) beider Hände gelegentlich das spielen des Klangbands teilen müssen.

Hierbei entstehen je nach Grifflage Binnenspannungen, d.h. dass innerhalb gewöhnlicher Griffe Intervalle auftauchen, die für normale Akkorde gewohnte Finger unangenehm sind. Genau darum geht es manuell in dieser Etüde! Sie schult die entspannte Dehnung zwischen den einzelnen Fingern*****) Prinzipiell (!!) sind die beiden Vorhaltakkorde b-g-a-b und as-c-g-as in der rechten Hand die "schwierigste" Stelle, denn hier muss möglichst unbequem mit die große Septime b-a (und as-g) mit 1-4 und zugleich die Quinte d-a (und c-g) mit 2-4 sofort gegriffen werden******) --- alle anderen weiten Griffe in dieser Etüde entstehen aus der Bewegung, müssen nicht kompakt gegriffen werden. Aber die Art und Weise, wie Chopin die Binnenspannungen peu a peu aufbaut, lehren den Umgang damit (!!) Und hier kommt @hasenbein und seine prima Formulierung: ist die Hand "labberig" genug (ich bevorzuge Begriffe wie entspannt und weich), kann man einen Finger entspannt in die Tasten "einhängen" und dann mit Hilfe des Arms austesten, bis wohin ein benachbarter Finger anschlagen kann.
Also:
r.H. 1 schlägt c an und hält das c unten
2 spielt e-f-fis-g-as-a-(geht´s noch weiter?)
oder:
r.H. 5 schlägt c an und hält c unten
4 spielt a-as-g-ges (ich komm bis zum f, also die Quinte f-c mit 45)
oder:
5 hält c
2 spielt e-es-d-des-c (!!)
(Oktaven mit 2-5 sind manchmal nützlich)

Ausgehend hiervon kann auch getestet werden, wie es zwischen 2 und 3, 2 und 4, 3 und 4, 3 und 5 aussieht

=> das alles ist aber NUR der Ansatz für armgesteuerte Dehnungsübungen!! Und hierbei darf der haltende Finger NICHT angespannt sein!! Diese Anpassungen an Grifflagen MÜSSEN völlig weich, schlapp, labberig ausgeführt werden - alles andere führt nur zu verkrampftem Gemurkse!!!!!!!

Ein beliebter FEHLER katastrophaler Art ist, bei so genannten Fesselübungen*******) den haltenden (gefesselten) Finger angespannt im Tastenboden zu halten und womöglich noch Druck auszuüben... das ist so horndumm, plump und bescheuert, dass einem die Worte fehlen...!!! Kurzum: jeder kann mit jedem Finger eine Taste im Tastenboden halten, ohne sich dabei anzuspannen; und dann kann man entspannt und schlaff-weich austesten, bis wohin die anderen Finger kommen (hält links der 5. Finger schlaff ein g, kann man entspannt ausprobieren, ob der 2. Finger bis zum f, fis oder gar g kommen kann)

Kapiert man das, kann man auch die beiden erwähnten Vorhaltakkorde rechts spielen (es sei denn, man hat wirklich sehr kleine Hände)

Also: die Es-Moll Etüde ist - horribile dictu - nichts anderes als eine arg verpönte Fesselübung ;-):-D:-D

____________
*) von Vorteil ist, Dezimenakkorde wie c-g-c-e und auch c-e-a-c-e greifen zu können, ohne das als "Spannung" zu empfinden - auch wenn solche Riesenakkorde in der Etüde gar nicht vorkommen
**) kleine und große Septimen mit 2-5 links wie rechts sind hier hilfreich etc
***) ohne sinnvolle Klangbalance nützen auch die weitgriffigsten Hände nichts ;-)
****) der 5. links und (3)-4-5 rechts sind überwiegend für Bass und Melodie reserviert, die anderen befassen sich mit dem dazwischen liegenden Klangband
*****) ähnliches leisten die polyphonen Übungen von Cortot und Busoni
******) derselbe Vorhaltakkord in a-Moll, also c-e-h-c, wäre leicht greifbar!! Hier aber (g-Moll und f-Moll) liegen 1 und 5 auf schwarzen Tasten, und gerade beim g-Moll Vorhaltakkord b-d-a-b müssen 2 und 4 zwischen die schwarzen Tasten greifen ((wie zuvor gesagt: wer ohnehin weit greifen kann, den juckt das nicht))
*******) die Etüde ist manuell nichts anderes, als eine geniale Fesselübung!
 
Jetzt weiß ich dann auch, was ich mir unter Fesselübungen vorstellen kann, der Begriff war mir auch noch neu :)
Ich finde übrigens das Pedalieren bei dieser Etüde nicht ohne. Zumindest so, wie Cortot das empfiehlt ("ein ununterbrochenes Beben"). Muss mir wohl was unterlegen, dafür finde ich die Pedale am Klavier unangenehm hoch. Danke nochmal für den Input, Rolf!
 

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