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chiarina
Guest
Hallo und vielen Dank für die interessante und anregende Diskussion.
Offenbar ist nicht nur 'Anfängerniveau' ein undefinierter Begriff, sondern auch 'Interpretation'.
Ich sehe sie (die Interpretation) nicht als Heiligtum, das erst Werken ab einer bestimmten Schöpfungshöhe zuteil werden kann. Und dies auch erst nach einer intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit dem Werk.
Für mich fängt Interpretation tatsächlich da an, wo ich etwas von meiner Persönlichkeit (meiner Seele, meinem Gefühl) in das Werk einfließen lasse. Und ich befürchte fast, dass sich das gar nicht vermeiden lässt (auch schon bei Anfängerstücken aus Band 1).
Natürlich innerhalb der vom Komponisten (und nicht vom Verleger) gesetzten Grenzen und Möglichkeiten. Aber auch hier gibt es einen gewissen Spielraum und es haben ja, vor allem frühere Komponisten, nicht alle jede Kleinigkeit ausformuliert.
Doch, und ich finde, sogar "Summ, summ, summ" gibt eine gewisse Möglichkeit der Interpretation. Das können schon meine Kindergartenkinder, wenn ich sie bitte, dieses Lied mal traurig und mal fröhlich zu singen. Hier scheint mein Interpretationsbegriff von dem in der Klassik üblichen abzuweichen.
'Musikalisch arbeiten', liebe chiarina, das fordert mein (Gesangs-)Lehrer auch, ebenfalls von Beginn an. Er legt dabei Wert auf auswendiges Vortragen, das immer aus dem Gefühl, aus der Musikalität entstehen soll. Abweichungen vom Notentext werden dabei eher toleriert als ein gefühlsarmer und damit langweiliger und unberührender Vortrag. Ob einem das gelingt, hat weniger mit der kognitiven Auseinandersetzung zu tun als mit der Fähigkeit, Gefühle zur Musik entstehen zu lassen und diese dann auch zu transportieren. Aber vielleicht kann man nicht so ohne weiteres eine Parallele herstellen zwischen Gesang und Klavierspiel.
Ich fühle jedenfalls auch schon bei Anfängerstücken was und ich arbeite daran, dieses Gefühl in mein Klavierspiel zu übertragen.
Herzliche Grüße
philomela
Liebe philomela,
ich bin die allerletzte, die etwas gegen Gefühle beim Musikhören und -machen hätte :p ! Tatsächlich empfinde ich bereits etwas bei einem einzigen Ton :p . Ich komme mir hier ein bisschen so vor, als wäre ich ein eiskalter Roboter, der mit seinem Hirn eine Interpretation konstruiert. :p
Gefühle zeigen uns doch auch, welchen Klang wir für eine Stelle, einen Ton, ein Stück wollen. Sie sollen sich gar nicht vermeiden lassen. Wenn du ein Stück vorträgst, mit deiner Stimme ( Klavierspiel hat übrigens mit Gesang immens viel zu tun - "Singen auf dem Klavier"....) oder auf dem Klavier, wird das Stück immer mit deiner Ausdruckskraft, mit deinen Gefühlen und deinen Klangvorstellungen verbunden sein. Natürlich wird das Stück dann zu "deinem Stück"! Für eine Interpretation reicht es aber für mich nicht, nur sein Gefühl einfließen zu lassen, da muss noch sehr viel mehr dazu kommen ( s.o.). Aber es sei dir unbenommen, das anders zu definieren.
Ich spiele tatsächlich ziemlich emotional Klavier. Das habe ich früher auch getan. Ich für mich habe aber erst jetzt allmählich das Gefühl, einer Interpretation nahe zu kommen. Denn dazu ( s. auch pennackens post) bedarf es für mich eines möglichst tiefgreifendes Verständnisses, was von den Gefühlen, die diese Musik bei mir erzeugt, absolut nicht zu trennen ist. Ich zitiere der Einfachheit aus einem anderen Faden (Stückchen2), in dem ich Folgendes gepostet habe:
"Wenn ich als Interpret an einer Komposition arbeite, versuche ich, die Konstruktion des Stücks in allen Einzelheiten zu verstehen und klar darzustellen. Das geht nur durch Beleuchtung, Analyse, Hören und Fühlen. So schaffe ich ein Klangbild, das im günstigsten Fall wie eine schimmernde Klangkathedrale die Entwicklung des Stückes in sich schlüssig erzählt. Dann wird die Schönheit einer Komposition, also ihr Ausdruck, offenbar. Je klarer ich die Phrasen in ihrer klanglichen Entwicklung strukturiere, um so mehr Ausdruck bekommt das Stück."
Wieso ich jetzt noch mal meinen Senf dazu gegeben habe, liegt daran, dass ich meine Art der Herangehensweise an ein Stück auf gar keinen Fall als gefühlsarm verstanden wissen möchte.
Liebe Grüße
chiarina