Tempo-Wahn

@Dreiklang
Ein Beispiel ist Goulds Artikulation. Diese geschieht intuitiv, wohl wirklich „aus dem Bauch heraus“. Hätte Gould z.B. C.P.E. Bachs Hinweise zur Artikulation gekannt (bzw. beachtet), dann würde sein Klavierspiel anders klingen.
Ein konkretes Beispiel sind bei Gould melodische Linien, die er teilweise abgesetzt spielt, z.B. in der Aria der Goldberg-Variationen.
 
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@DreiklangHätte Gould z.B. C.P.E. Bachs Hinweise zur Artikulation gekannt (bzw. beachtet), dann würde sein Klavierspiel anders klingen (...) Goldberg-Variationen

Alptraumhaft... was für ein geniales Stück Musik wäre der Welt dann möglicherweise entgangen (diese Interpretation gehört für mich und nicht nur für mich zu den Sternstunden der klassischen Musik)

Das unterstützt fast eher sogar meine Argumentation: manchmal kann es ganz gut sein, weniger zu "wissen" (und mehr Bauch, Herz, Erfahrung, eigene Ideen, Begabung, ...)
 
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Auf jeden Fall ist musikhistorisches Wissen eine sehr wichtige und im Wert unschätzbare Fundgrube, die Musikalität (musikalisches Empfinden, Denken und Handeln = Spielen) unterstützt. Dennoch ist es möglich, auch ohne dieses Wissen Musik gut zu gestalten. Eine auch in diesem Forum nicht ganz unbekannte Bach-Expertin antwortete mir auf die Frage, wie sie Glenn Gould einschätzt, dass dieser noch nicht das Wissen hatte, über das wir heutzutage hinsichtlich historisch informierter Aufführungspraxis verfügen.
Das ist eine sehr seltsame Idee!
Alle Quellen sind seit langer Zeit zugänglich! Schon Anton (nicht Artur) Rubinstein hatte im 19. Jh. CPE Bachs Versuch gelesen. Auch alle anderen wesentlichen Quellen waren öffentlich zugänglich und in Bibliotheken zu bekommen. Viele Interpreten kannten diese Quellen auch.
So groß ist der Fortschritt denn nun doch nicht!
Der entscheidende Unterschied ist, dass es heute Mode ist die Quellen anders zu lesen und sich oft hinter den gerade aktuellen Moden zu verstecken. Gerade beim Bachspiel existieren heute die Interpretationen von Glenn Gould neben denen von Edwin Fischer, Samuel Feinberg, Wanda Landowska, Daniel Barenboim, Vladimir Ashkenazy, Angela Hewlett, Carlos Martins und Andras Schiff, um nur einige wenige zu nennen, und was diese gemeinsam haben sollen, oder was die neueren vor den älteren 'auszeichnet' würde mich schon interessieren!
Glonn Gould gehörte zu den ersten, die Bach rhythmisch lebendig und wirklich polyphon durchgehört gespielt haben, dazu - meist! - mit sensibler Tongebung. In vielen seiner Aufnahmen ist er in dieser Beziehung einmalig gut.
 
Musikhistorische und stilistische Kenntnisse und deren Anwendung verhindern, dass Bach wie Chopin und Mozart wie Czerny klingt. Dass die Pianisten fähig sind verschiedene Werke verschiedener Komponisten verschieden zu spielen.
 
"eigentlich" wolltest du doch mehr Klavier üben ... :schweigen:

Tue ich auch (um zwischendurch auch mal was zum Fadenthema zu sagen). Es läuft gut, ich sehe, dass die Passage auf Viertel = 140 bis 150 hinauslaufen wird, darüber wird die Möglichkeit, musikalisch zu gestalten, zu stark eingeschränkt... es fängt dann irgendwo an, zu schnell gespielt zu wirken (zumindest für meinen Geschmack) und das will ich erstmal nicht. Die Passage ist musikalisch so überlegt und faszinierend komponiert, ich finde, das kann man durch sein Spiel auch ruhig zeigen und den Hörer erkennen lassen.

Bin in der Festigungsphase für meine angepeilte Geschwindigkeit. Manchmal flutschen die Griffmuster noch weg, aber dann ziehe ich alles ggf. von niedrigerer Geschwindigkeit erneut hoch. Das klappt sehr gut, und ist ansonsten völlig normal... motorisches Lernen braucht halt normalerweise auch seine Zeit, gerade auch bei den Sachen, die nicht so besonders einfach sind...
 
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Liebe clavios,

ich wollte schon lange hier ein Update geben und euch wissen lassen, was mein Üben in Sachen "Tempo-Wahn" gebracht hat. Die angehängte Aufnahme beantwortet das. Ich bin einerseits zufrieden damit, dass eine wesentliche Temposteigerung möglich wurde, die mir auch alles andere als leicht fiel, und andererseits bin ich etwas enttäuscht, dass es lange nicht so leicht und elegant klingt wie bei meinem lieben Vorbild Marc-André Hamelin (s. Beitrag #1). Deshalb ist mir auch etwas die Lust am Weiterüben vergangen. Ich habe dieses Projekt nicht aus rein sportlichem Interesse verfolgt, sondern weil mir das hohe Tempo bei ihm auch musikalisch sehr gut gefällt. Bei mir klingt es aber zu grob und zu gehämmert. Deshalb belasse ich es nun dabei. Vielleicht wird sich ja in einigen Jahren die Leichtigkeit einstellen, die ich mir jetzt nicht mit einem vertretbaren Aufwand er-üben kann. Das Projekt Tempo-Wahn ist für mich daher halb gelungen, halb gescheitert :)

Ich bedanke mich nochmals ganz herzlich für die vielen wunderbaren Tipps u.a. von @Stilblüte, @rolf, @chiarina ! Lieber rolf, noch ein extra großes Dankeschön für die Übemuster, die du mir aufgeschrieben hast. Die waren sehr hilfreich, aber auch hammerhart zum Üben. Ganz gemeistert habe ich sie natürlich nicht, aber sie haben die Grenzen des für mich möglichen verschoben.

lg marcus

P.S.: Im Trio-Teil waren dann so viele Fehler, dass ich die Aufnahme lieber geschnitten habe. Und ich hatte nun auch keinen Ehrgeiz, in weiteren Aufnahmeversuchen eine möglichst gute Version zu spielen. Das ist jetzt "first take".
Also, ich finde den Spielstand schon jetzt verdammt cool! :super::drink:
Und die dahinterstehende Haltung sagt mir deutlich mehr zu als die von Hamelin.

Einzig diese intermittierenden Bassoktaven würde ich noch nen Ticken zurückhaltender nehmen. Bei H. sind die sowieso viel zu laut. Diese Oktaven sind in der Stilistik völlig unwichtig, weil Allerweltsfigur. Das wäre umgekehrt so, wie wenn ein Jazzer bei der Sonata facile den Albertibass heraushebte.

.marcus., bitte unbedingt dranbleiben! :003:
 
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Also, ich finde den Spielstand schon jetzt verdammt cool! :super::drink: (...) .marcus., bitte unbedingt dranbleiben! :003:
Diesen Appell an @.marcus. finde widerum ich cool...! Vielleicht läßt er sich ja erweichen (obwohl er schon kommuniziert hat, daß es das für's erste gewesen sein soll).

Gewisse Dinge, die noch zu (ver-)ändern wären, werden auf jeden Fall nicht ganz leicht zu ändern sein, da inzwischen "mit der Geschwindigkeit mit hochgeübt" und entsprechend zementiert... aber schauen wir mal, was @.marcus. dazu meint...
 
Musikhistorische und stilistische Kenntnisse und deren Anwendung verhindern, dass Bach wie Chopin und Mozart wie Czerny klingt.
Wie "muss" denn Chopin so klingen? ;-) (das ist eine ganz böse Fangfrage: denn Chopin hat ja Stücke unterschiedlichsten Charakters komponiert!)

Ich meine viel eher: man darf Musik vor allen Dingen nicht flach oder einfallslos gestalten. Und wenn man sie dann auch noch fesselnd gestaltet (den Zuhörer fesselnd, begeisternd), dann hat man eigentlich schon gewonnen, und seinen Job gemacht.

Natürlich benötigst du analytische Fähigkeiten. Wie willst du sonst die Bausteine eines Stückes verstehen? Denkst du nicht, dass es wichtig ist, Trugschlüsse, Tonartenwechsel, Sequenzen und vieles mehr erkennen zu können (...)

Eine Antwort darauf, und wohl auch noch Weiterführendes, findest Du hier:

 

Nein, das ist eher eine grund-unmusikalische Frage.

Au contraire... das ist - wenn überhaupt - die einzige Frage, die überhaupt zählt.

Als Musiker würde ich mich allenfalls fragen, wie Chopin klingen "möchte".
Und wie möchte er dann klingen? Dumm, dass wir ihn heute nicht mehr fragen können, nicht wahr? Und dumm, dass wir seine Meinung zu exzellenten Interpretationen seiner Arbeiten, die alles andere als "werktreu" sind, heute (leider Gottes) nicht mehr einholen können...

Und wie möchte ich denn, als Musiker, dass er klingt? Als Jemand, der alles Recht der Welt hat, so zu musizieren, wie er gerne möchte (wenn dabei nicht gerade musikalischer Bockmist herauskommt)

Und da interessiert mich natürlich brennend, warum Chopin diese oder jene Stelle so und nicht anders geschrieben hat...
Er hat "diese oder jene" Stelle so geschrieben, wie es seinen eigenen hohen Ansprüchen an seine Musik (und an Qualität von Musik überhaupt) angebracht schien, würde ich sagen...

Zum Glück für uns heute.

__________________

Und: starten wir hier gerade die "Werktreu-ja-oder-nein"-Diskussion in der fünften Auflage...? Lieber nicht... da gehen die Meinungen auf der Welt auseinander... ich denke, heute mehr denn je...
 
Und wie möchte er dann klingen? Dumm, dass wir ihn heute nicht mehr fragen können, nicht wahr?

So dumm, wie Du glaubst, ist die Situation gar nicht. Zum Glück hat er die Stücke, die er zum Klingen bringen wollte, in Notenschrift aufgezeichnet und mit zusätzlichen Hinweisen versehen. Dabei hat er natürlich damit gerechnet, daß seine Kollegen einen gewissen Ausbildungsstand mitbringen und beim Lesen des Notenmaterials zahlreiche Informationen (auch impliziter Art!) abrufen können. Wenn da z. B. "Mazurka" steht, hat der Profi bereits eine gewisse Vorstellung von Tempo, Rhythmus, Betonungen usw. (Dasselbe, wenn z. B. ein Herr Krieger "Menuet" über sein Stück schreibt...) Und natürlich hat kein Musiker seinen Kollegen so Dinge wie "Achtung, hier ist ein Vorhalt" in die Noten geschrieben, weil jeder damit gerechnet hat, daß jeder Profi den Vorhalt auch so erkennt.


Und wie möchte ich denn, als Musiker, dass er klingt? Als Jemand, der alles Recht der Welt hat, so zu musizieren, wie er gerne möchte (wenn dabei nicht gerade musikalischer Bockmist herauskommt)

Du, Dreiklang, bist ein Dilettant, und wie Du möchtest, daß dies oder jenes klingt, interessiert mich sicher nicht brennend.

Falls Du mich "als Musiker" meinst: Ich mache eigene Musik und habe natürlich eine Vorstellung, wie sie klingen soll. Und wenn sie im Druck erscheint, ist ein Profi sicher in der Lage, sie anhand meiner Hinweise so aufzuführen, daß sie meinen Vorstellungen entspricht (oder günstigstenfalls sie sogar übertrifft). Wenn sie von einem Stümper aufgeführt wird, kann es leider passieren, daß sie stümperhaft klingt.
 
:008: - seid mir nicht böse, aber da kommt schon wieder jemand, der zum x-ten Mal diese blöde vorhersehbare Endlosdiskussion anstarten will. Was nicht funktioniert, wenn der Gegenpart nicht (mehr) diskutieren und seine Zeit verschwenden will.

Jetzt kommt sicher noch eine rhetorisch gewandte und wahnsinnig einfallsreiche Replik... und dann geht's zum Fadenthema zurück.

In medias res: ich muss aufpassen, dass mir die Passage, die ich übe, nicht langsam... zu den Ohren rauskommt... ich setze jetzt einmal ein open end für die nächste Einspielung eines nächsten Standes...
 
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Das passiert halt, wenn die Levels inkompatibel sind.
Ja, höchstwahrscheinlich...
So dumm, wie Du glaubst, ist die Situation gar nicht. Zum Glück hat er die Stücke, die er zum Klingen bringen wollte, in Notenschrift aufgezeichnet
Ja, zum Glück. Denn ansonsten hätten wir seine Musik heute nicht (noch die eines anderen klassischen Komponisten). Es lebe die Notenschrift...!

Dabei hat er natürlich damit gerechnet, daß seine Kollegen einen gewissen Ausbildungsstand mitbringen und beim Lesen des Notenmaterials zahlreiche Informationen (auch impliziter Art!) abrufen können. Wenn da z. B. "Mazurka" steht, hat der Profi bereits eine gewisse Vorstellung von Tempo, Rhythmus, Betonungen usw. (Dasselbe, wenn z. B. ein Herr Krieger "Menuet" über sein Stück schreibt...) Und natürlich hat kein Musiker seinen Kollegen so Dinge wie "Achtung, hier ist ein Vorhalt" in die Noten geschrieben, weil jeder damit gerechnet hat, daß jeder Profi den Vorhalt auch so erkennt.
Das ändert nichts daran, dass jeder grundsätzlich so musizieren kann, wie er gerne möchte*). Und daran ändern auch "Malen-nach-Zahlen"-Verfechter nichts, die sich hier oder sonstwo als Musikpolizei aufspielen wollen

Du, Dreiklang, bist ein Dilettant, und wie Du möchtest, daß dies oder jenes klingt, interessiert mich sicher nicht brennend.
Das muss es auch nicht. Und die musikalische Ausgestaltung in meiner Campanella hat übrigens Profi-Niveau. Peng, aus... und auch die Alle-meine-Entchen-Variation spielt kein "Dilettant"

Ich mache eigene Musik und habe natürlich eine Vorstellung, wie sie klingen soll. Und wenn sie im Druck erscheint
Ich hoffe ja sehr, das fällt nicht in's Klassik-Milieu. Denn dort gibt es so viele Perlen, Diamanten, Rubine, und so weiter, dass wir da sicher nichts Neues und/oder Minderqualitatives mehr brauchen

ist ein Profi sicher in der Lage, sie anhand meiner Hinweise so aufzuführen, daß sie meinen Vorstellungen entspricht (oder günstigstenfalls sie sogar übertrifft). Wenn sie von einem Stümper aufgeführt wird, kann es leider passieren, daß sie stümperhaft klingt.
Du sei mir ned bös - aber wenn die Musik dann stümperhaft oder wenig reizvoll etc. klingt, dann kann sowas auch durchaus an der Komposition selbst liegen (und nicht an den Interpreten)... :004:
_____________
*)ggf. auf eigenes Risiko (was aber nicht weiter erwähnenswert ist)
 
Das muss es auch nicht. Und die musikalische Ausgestaltung in meiner Campanella hat übrigens Profi-Niveau. Peng, aus... und auch die Alle-meine-Entchen-Variation spielt kein "Dilettant"

Herzlichen Glückwunsch!
Ich erreiche leider sogar bei einfachsten Stücken nicht das Niveau von Sokolov, Argerich, Gould etc.
Aber ich Dilettant lasse mich in keinster Weise von dem Umstand runtergehen, sondern finde es einfach großartig, solchen Künstlern zuhören zu dürfen.

Deine Kommentare zu @Pedall finde ich übrigens absolut daneben. Ich verstehe nicht wirklich, was du für ein Problem hast.
 
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@Rheinkultur ja, ich merke, dass die Diskussion in Gefahr ist, zu entgleisen, oder bestenfalls wenig erfreulich und hilfreich oder erhellend zu werden... was alles nicht Sinn und Zweck der Sache und eines Forums ist. Meinethalben werfen wir hier einen Anker, und kehren zum Fadenthema zurück.
 
Ich erreiche leider sogar bei einfachsten Stücken nicht das Niveau von Sokolov, Argerich, Gould etc.
@Muck ob das für einen persönlich hilfreich ist, sich mit Weltklasse-Pianisten zu vergleichen, möchte ich in Frage stellen...
Aber man kann ihnen zuhören, von ihnen lernen, und sich an ihren Arbeiten freuen. Da stimme ich absolut zu.

 

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