ein Klavier, ein Klavier... Teil 1
Das kam so, to tell a looong story short - ich hatte schlicht zuviel Geld.
Sehr fleißig gewesen. Mein Arbeitgeber (internationaler Anlagenbau) hat einige exzellente Jahre hinter sich, die sich auch - entgegen heutigen Usancen - wohlthätig in den Portemonnaies der Mitarbeiter auswirkten, insbesondere mit wahrlich fetten Weihnachtsgeldern. Zudem war ich sparsam - als mir vor ca 18 Monaten der Motor meines TDI-Autos kaputtging, entschied ich mich, beim Tachostand von 472.000 km schlicht noch eben mal einen anderen Motor einzubauen, einen günstigen Fang von ebay, statt mir - was nach 13 Jahren mal drangewesen wäre, ein anderes Auto zu kaufen.
Außerdem mag ich alte Technik, ganz generell. Auf diesem Sektor bin ich bekennend ein wenig gestört: als Ingenieur betreibe ich hier - zum Leidwesen meiner Frau - im eigenen Hause ein Technik-Museum. Die Garage voller alter Autos, Mopeds und Motorrädern, in meinem Jungs-Spielzimmer stehen weit über 1000 Modellautos. Dann sind da noch mehr als 20 Spiegelreflexkameras, die meisten defekt gekauft und wieder gangbar gemacht. Sowie eine derbe ausgeuferte Sammlung von Märklin. Zudem besitze ich - mitn einer Ausnahme - noch alle Computer meiner 35 jährigen EDV-Vergangenheit; sie verzieren (oder verunzieren) hauptsächlich den Dachboden, wo sich als wertvollstes Stück eine Unix-Workstation Risc-Sparc von Sun, eine ehemalige CAD-Zeichenmaschine findet.
Zudem war das Thema Geldanlage bei mir unbeliebt - Papiere der Lehman Brothers sind nicht mehr sehr wertgeschätzt.
Seit ich 16 bin (momentan 53) spiele ich Klavier. Traum ist, seit ich das bei Nachbarn meiner Eltern sah, einen Flügel zu besitzen. Der Platz für einen Flügel ist in unserem zweiten Haus seit 18 Jahren freigehalten. Eigentlich wäre die Anschaffung eines Flügels erst nach meinem 55. dran gewesen - Geld aus einer Lebensversicherung..
So dachte ich also jetzt - mit zweimal gutem Weihnachtsgeld auf dem Konto - an Jungs-Spielzeuge, mir mal endlich ein feines Motorrad von BMW zu kaufen oder feinste italienische Ware, mindestens eine Moto Guzzi, besser aber Bimota oder Ducati. Habe da aber etwas Angst vor der eigenen Courage bekommen - ich wäre der typische Wiedereinsteiger-Kandidat, vor einem Baum zu landen. Ich begann zu erwägen, ob ich mich nicht dem Porsche 911 widmen sollte - erster Ansatz: sich mal einen Berg Literatur zu besorgen. Dann einen defekten Motor: diesen im Keller zu zerlegen, wieder fit zu machen. Dann ein passendes Fahrzeug dafür suchen zu gehen - aber das Thema „zündete“ nicht richtig in mir.
Ich wollte es ruhiger, häuslicher. Meine Überlegungen landeten bei Tasteninstrumenten - ob es nicht mal an der Zeit sei, sich ein gutes Digitalpiano, ein Stage Piano von Kawai, Roland oder Yamaha zu holen, dieses mit gutem Verstärker und richtig großen Boxen zum Klingen zu bringen..
Ich zog los, mir hierzu Informationen zu beschaffen. Besuchte ein großes Dortmunder Musikhaus mit zwei Dependancen - hätte mich um ein Haar für eine große Yamaha-Motif-Workstation mit Graded-Hammer-Mechanik und 88 Tasten entschieden. Guckte dann mal ins Internet. Landete eher zufälllig in den ebay-Rubriken für akustische Instrumente. Stolperte da über das Angebot eines großen Händlers für gebrauchte Klaviere bei Münster . Besuchte dieses Haus an einem Urlaubstag.
Erkannte dort schlagartig: in meinem „Taschengeld-Bereich“ sitzt jetzt bereits ein Flügel drin.. Ich hatte zuvor gedacht, ein Flügel sei teurer, ohne das nun genauer zu eruieren. Ich war der Auffassung, bevor ich nicht bereit sei, 30 tausend Euro anzulegen, bräuchte ich gar nicht erst loszuziehen. Irrtum.
Hier muss ich einen Sidekick einflechten, zu meinem guten alten Adam-Piano von 1909.. Unter den 50 dort ausgestellten Flügeln waren recht viele, die mir entweder mit der „Taktilität“; dem Spielgefühl unter den Fingern, nicht besonders behagten. Oder aber bei mehreren Flügeln besserer Mechanik fehlte es an einem zusätzlichen Kick guten Klanges. Diese beiden recht subjektiven Kategorien waren mir im Fokus. Da waren dann viele Instrumente (mit wenigen Ausnahmen), bei denen ich mir dachte: OK, die klingen schon ein bisschen was besser als der olle Adam.. Aber klingen sie SO VIEL besser, wie sie teuer sind? Zuallermeist beantwortete ich mir diese Frage negativ: nein, so viel mehr Spaß machte deren Klang nicht.
Somit muss ich heute in der Nachschau meinem alten Adam-Klavier (und meniem Schwager, der es mir vor 25 Jahren vermachte) dankbar sein, die Messlatte guten Klanges so hoch gelegt zu haben..
Flügel, die mir dort sowohl zur Taktilität als auch zum Klang in frage kamen, waren ein Zweimeter-Bechstein, dann ein 240er Konzertflügel von Ibach - und zwei Maschinen von Steinway, ein mittellanger „O“ von 180 - und die „Muttergottes des Klanges“, ein B-Flügel mit 211cm Länge. Der Bechstein hätte, wenn ich nicht irre, 16.000 Euro kosten sollen, der Ibach-Konzerter 18.000 - die Steinways 25.000 und 46.900 Euro. Letztere beiden klar außerhab meiner spontanen Reichweite - um sie zu kaufen, hätte ich finanzieren müssen. Dazu aber bin ich tief innen drin wohl zu konservativ - nur für meinen Spaß mich verschulden? Ich bin Famlienvater, der Sohn noch in der Ausbildung.. Hm, nein. Entweder etwas kaufen, das ich mir leisten kann - oder eben noch eine Weile sparen..
Weiter hatte ich das Angebot bei ebay im Blick, wo doch gelegentlich namhafte Anbieter auftauchen..
Wie ein Schlag kam es dann: in Hannover wurde zu einem unfassbar tiefen Kurs ein riesiger Konzertflügel von Steinway angeboten. Spontan verfiel ich in Herzrasen: DAS darf doch nicht wahr sein.. Um ein Haar hätte ich sogar einen Blindschuss gesetzt, aber ich fühlte mich einfach noch nicht gut genug informiert.. Meiner Frau hatte ich das eventuelle Bieten angekündigt - sie kennt mich, sehr gelegentlich mache ich so verrückte Dinge. Ich hatte ihr vor einigen Jahren auch mal einen alten VW Golf auf ebay ersteigert, den wir vier Jahre lang mit wenig Ärger fahren konnten.. Meine Frau war somit Verrücktes gewohnt. Ich bin das „Snipern“ gewohnt: hauptsächlich für Spielzeug und für alte Weine aus Bordeaux im letzten Moment Gebote abzugeben und sie damit - Heckenschütze, Abschuss - in meinen Besitz zu bringen.
Die Auktion lief aus - flatterigen Herzens: der große Konzertflügel blieb unbeboten. Auf seiner Website bot er den Flügel zu einem 20% höheren Preis an, der mich einiges in den Dispokredit getrieben hätte.
Das Ding ließ mir keine Ruhe - am nächsten Tag rief ich den Anbieter an, um am folgenden Samstag bei ihm mitsamt Familie aufzulaufen. Denn ein Flügel ist nicht nur Musikinstrument, er ist auch Möbelstück. Das einfach mal zu kaufen traute ich mich nicht - da ist „embedded family“ angesagt. Sohn und Frau sollten mitkommen. Mir ließ das Ding keine Ruhe - ich entschied mich, nach diversen Familienratssitzungen teils kontroverser Verläufe, einen Tag eher schon hinzufahren: ich quittierte meine Wochenarbeit des Freitags mittags und fuhr die 170 Kilometer nach Hannover.
Musste das Auto weit draußen stehenlassen, da die Hannoveraner nun eine grüne „Umwelt“plakette verlangen, unsere alten Autos aber nur rote haben.. Nun will ich nicht das Betrügerische dieser Maßnahmen geißeln - die U-Bahn-Fahrt in die Gegend des Hauptbahnhofs verschaffte mir geruhsame Minuten, nachzudenken, was ich denn da eigentlich triebe, auch, wie privilegiert ich bin gegenüber den Mitreisenden, mit einer - im Vergleich - dicken Hosentasche loszuziehen auf Flügelkauf..
Den Innenhof einer einfachen Häuserzeile erreichte ich nach ein wenig Suchen. Ich klingelte. Freundlich wurde ich von dem Inhaber der Klavierwerkstatt empfangen. Es roch anheimelnd nach frischem Lack und Holzarbeiten. Gleich erfasste mein Auge den großen samtschwarzen Flügel gegenüber dem Eingang. Der Inhaber war gerade mit seinen Stimmarbeiten zu ende gelangt. Mein vorverlegter Besuchswunsch hatte ihn auf Sondereinsatz getrieben.
Ich spielte mich ein. Gleich fiel mir das Straffe, Schwerere der Klaviatur auf - ein herausforderndes, aber präzises Spielgefühl. Ich spielte unter anderem meinen G-Dur-Medley, zu dem eine Passage der Beatles gehört: „God Save the Queen“ - der Inhaber, Schotte, sprang aus einem Nachbarraum herbei und salutierte!, als guter Brite. Grinste dann.
In dieser knappen Stunde waren zwei Spielphasen, dazwischen etwas Unterhaltung, dann abschließendes Gespräch. Zweimal zuvor war ich durch die Tremolo-Etüde von Tarrega gegangen („Recuerdos de la Alhambra“), die ich zum einen als wunderschönes Klanggemälde ansehe, zum anderen aufgrund des Tremolos als sehr geeignet, das Repetitionsverhalten eines Klaviers zu beurteilen: ob mir die Klaviatur und das Spielgefühl zusage.
Obschon in der Werkstatt die Akustik alles andere als gut war, ist mir das Besondere dieses großen Flügels sofort präsent gewesen. Aber ich wollte mich nicht überfahren lassen, von einer Eigenschaft „Klang eines Konzertflügels“, zu deren Beurteilung mir die Erfahrungsbandbreite völlig abging - all das ging mir entschieden zu schnell, ich fühlte mich mit meinen wenigen Inaugenscheinnahmen von Flügeln einer Entscheidung von solcher Tragweite nicht recht gewachsen. Demgegnüber bin ich aber ein entscheidungsfreudiger und auch risikobewusster Mensch - hier mag ich nicht die Geschichten unserer Hauskäufe ausbreiten, aber da waren Dinge von noch weit größerem Kaliber geschehen. Ich lernte, meinem Bauchgefühl bei solchen Entscheidungen zu trauen. Das mich - seit Studentenzeiten bei einigen miesen alten Autos - niemals mehr getrogen hatte: ich bin als Techniker schon einerseits ein Kopfmensch, aber mein Bauch scheint auch recht leistungsfähig zu sein..