Meine Frage an die Profis: „ Führt Ihr Stücke auf, die euch missfallen? Und wie sieht bei euch in diesem Fall der Übeprozess aus. Dauert es länger, bis ihr ein solches Stücke vorspielreif eingeübt hat?
Bisher habe ich noch an jedem Stück, das ich spielen musste, etwas Positives gefunden. Ich will es mal mit einem kleinen Beispiel aus der Kammermusik erklären, das ich schon kürzlich erwähnt habe (weiß nicht mehr, in welchem Faden): Wenn zum Beispiel ein Streichquartett auf höchstem Niveau spielt, ist egal, was genau sie spielen. Wenn mir die Musik gefällt, ist es natürlich gigantisch toll, aber selbst wenn sie nicht meine erste Wahl ist (und dabei aber keine grottenschlechte Komposition) ist es ein unvergessliches Erlebnis. Denn die Musik ist nur das Mittel, etwas viel Umfassenderes zu transportieren - Die "Gleichschwebung", die Absolute Verlässlichkeit, das aufeinander Eingespielt sein und sich verlassen, das perfekte gemeinsame schwingen mehrerer Menschen. Das gibt es nur sehr selten überhaupt. Bei Kammermusik, beim Tanzen, vielleicht wenigen anderen Tätigkeiten. Das zu erleben ist ein Geschenk.
Wenn ich Musik spiele, die nicht als Komposition wirklich flach und schlecht ist, steckt dort auch immer Sinn und Inhalt darin. Den herauszuarbeiten, sichtbar bzw. hörbar zu machen, die kleinsten musikalischen Elemente schön zu spielen und den großen Bogen herauszuarbeiten, das ist bei jedem einigermaßen guten Stück möglich und bringt dabei Genugtuung und Schönheit, völlig unabhängig von der Komposition. Das ist es meiner Meinung nach, was beinahe jedes Stück zum "Lieblingsstück" werden lassen kann.
Das, was bei einem ungeliebten Stück so anstrengend ist, ist die Arbeit, die vorher erledigt werden muss. Also es kennenlernen, verstehen, durchschauen, sich merken, die Hände sortieren. Es kann natürlich sein, dass der Klang und die "Botschaft" einen wirklich abstoßen. Wenn die Motivation fehlt, kostet es viel Energie, sich zu dieser Arbeit, bei der man seinen Geist dem Stück gegenüber öffnen muss, zu bewegen.
Ich musste vor einigen Jahren Stücke von Max Reger üben. Das hat mich sehr viel Nerven gekostet, und eines der drei Stücke habe ich tatsächlich abgelehnt, weil ich es wirklich absolut abscheulich hässlich und dabei noch krachschwer fand. Die übrigen drei habe ich geübt und fand sie auch teilweise reizvoll, außerdem hat eines davon mich später zu einer Komposition inspiriert, ohne dass ich mir dessen in dem Moment so bewusst war. Heute lehne ich Stücke ab, wenn sie mir nicht gefallen, es sei denn, es bringt mir einen besonderen Vorteil, sie zu spielen.
Ich sehe es nicht so, dass man sich als Profi nicht aussuchen kann, was man spielt. Ich such emir immer aus, was ich spiele, das ist dann mein Klavierabendprogramm. Wo ist das Problem?