Stirbt klassische Musik irgendwann aus?

Den Don Tomaso de Torquemada (Chef der Inquisition der Allerchristlichsten Könige Isabella und Ferdinand im frühen 16. Jahrhundert) lese ich lieber im Original. :-P

Das Klavierfestival Ruhr hatte mir vor zwei Jahren nicht mehr so ganz gefallen. Seither nur "kleine Klassik", Westfälische Symphonie bei Draußen-Events für umme an der Stadthalle Hamm, oder Kamen z.B.

Bei Draußen-Events ist das mit dem Zigarrengestank auch nicht so dramatisch.

...oder wolltest du abstreiten, dass klassische Klassik etwa bewegungs-fern oder -feindlich sei!?

Oder ist das Sich-bewegen-Dürfen Privileg derer erwartungsfrohen Jung-Dirigenten, vorn den Vortänzer zu geben? ;-)
(...lauter so Klischees...)

Jungejunge, habe du mal 700 EUR für ein hochklassiges Bordeaux-Event gelöhnt, und neben dir nimmt eine 220-pfündige Dame Platz, die sich im Bad zuvor an Chanel No.5 derbe vergriffen hat...
Klischee? Leidvolle Erfahrungen.
Und der Zigarrengestank tatsächlich im Konzert.
 
Musik? Abzappeln? Krass zu wenig. Da geht mehr.
Sicherlich ... aber gewiss braucht Mancher eine Weile, um zu erkennen, dass man mit Musik auch mehr als Party, Abzappeln und den Tinnitus nach dem Konzert verbinden kann.

Ich habe das erst so mit etwa 15 Jahren erkannt ... davor fand ich Klassik immer scheiße. Ich wusste damit nichts anzufangen.

Wirklich geändert hat sich das erst, als ich begann, mit anderen zu musizieren ... da kam dann die Frage auf, was ausser "das Gleiche" denn auf 2 Gitarren gut klingt. Rumprobieren bis 16 ... und dann im Hauptfach vorm Abi an eine Schule, an der ein ähnliches Programm für die Musik-LKler gefahren wurde, wie weiter oben beschrieben (konkret:. 4,5 Stunden die Woche "Musikunterricht Theorie" und 60 Minuten die Woche Unterricht auf einem Instrument dazu noch 5-wöchige Intensivphasen, in denen es dann auch mal nur mehrstimmigen Satz gab ... aber auch strumpfes "Tonleitern-Shreiben" ... 4-jähriges Curriculum, 3 Teilnahmen an den jährlichen Vorspielen sind zwingend nötig, um zu den Prüfungen zugelassen zu werden).

In dem Alter begann ich dann, auch klassische Musik zu hören .. aber immer wieder auf Partys oder einfach zuhause gabs halt noch immer hauptsächlich Punk, Pop, Metal, HipHop und ein bisschen Elektro. Klassik zunächst eher als "Hausaufgabe".
Im Elternhaus gabs natürlich auch mal Klassik ... aber dann waren das oft festliche Anlässe ... und die Weihnachstlieder von unserem Kinderchor fand ich halt nie "schön" ... noch immer nicht ... obwohl ich mittlerweile die Qualität anerkennen kann. Mutter und Vater waren Teil der "Beat-Generation" ... da gabs dann Beatles, Stones, Troggs, CCR und Flower-Power Mucke ala Woodstock (Mama war 1968 gerade 17).
Aus der Ecke kam bei mir also nicht viel Klassik ... aber irgendwie hat es mich übers Machen erwischt. Erst auf der Gitarre, dann auf dem Klavier, später auf Trommeln oder einfach auf Rhythmusinstrumenten. Dadurch kam das Interesse auf, mehr darüber zu wissen, "wie man das macht". Was funktioniert, was funktioniert nicht? ... und wie bekommt man es hin, dass etwas trotzdem funktioniert? Anfangs ging das Interesse auch garnicht in Richtung Klassik ... ich wollte halt Mucke machen und wollte wissen, wie man seine eigenen Stücke schreibt.
Am Ende meines insg. 5-jährigen Abitur-Martyriums habe ich dann mehr Klassik gehört, schrieb eigene Stücke und fühlte mich der Komponier-Tradition der 2. Wiener Schule verbunden ... vor allem Anton Weberns Arbeit begeistert mich noch immer). Ich schreibe fast nur noch moderne Musik in klassischer Tradition ... aber ich nutze dieses Wissen auch, um Fortführungen,Übergänge, Intros, Outrros etc. für meine Bands zu schreiben.

Aussterben im Sinne von "komplett verschwinden", wird die "klassische Musik" sicherlich nicht, solange es noch genug Menschen gibt, die ein Instrrument lernen oder sich mit der Theorie hinter den Werken beschäftigen. Das Problem ist eben, dass es nicht mehr wirklich notwendig ist, ein Instrument spielen zu können, oder etwas von Musik zu verstehen. Ein paar Clicks entfernt spielt eine KI Schlagzeug, Bass, Klavier ... u name it. Etwas hitverdächtiges bekokmmt mittlerweile auch ein Laie hin.

Das, was hier als klassische Musik diskutiert wird, kann von Aussenstehenden als rein reproduktiv wahrgenommen werden ... man spielt existierende Stücke ... man spielt also nach. Das wirkt vielleicht auch ein bisschen unattraktiv auf jemanden, der gerne kreativ sein will.
Dass auch das Nachspielen einen kreativen Akt beinhaltet und wie man sich diort letztlich auch "austoben" kann, das sieht man vvon aussen nicht ... dass Popstar XY Spass hat, das sieht man ... dafür sorgen die Medienberater und -designer.

Meine Jugendvorbilder waren auch nicht Herbert von Karajan und Anne-Sophie Mutter, sondern Angus Young und Jello Biafra.
 
Zuletzt bearbeitet:
Haben trotzdem nur anekdotische Relevanz. Ich habe in den letzten Jahren hunderte Konzerte und Opern besucht und wurde dort weder mit Zigarren- noch mit Chanel-Gestank konfrontiert.

Jungejunge, habe du mal 700 EUR für ein hochklassiges Bordeaux-Event gelöhnt
Habe ich nicht und werde ich niemals tun. Dass mir das Publikum bei solchen Veranstaltungen nicht behagt, ahne ich, ohne jemals da gewesen zu sein. Ist sicher ein Tummelplatz von Neureichen - da erstaunt mich die Überdosis Parfüm gar nicht. Man muss schließlich zeigen, dass man sich sein Chanel leisten kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Deren Ziel war es, durch das Studium eine qualitativ hochwertige musikalische Ausbildung zu genießen und danach als Künstler Karriere zu machen. (Dass viele letztlich "nur" im Instrumentalunterricht z.B. an Musikschulen landen würden, war ihnen während des Studiums nicht bewusst oder wurde verdrängt.)
Waren für diejenigen die Anforderungen für ein Konzertfachstudium zu hoch, sodass sie sich schließlich für Schulmusik quasi als zweite Wahl entschieden haben?
 
Abzappeln.

Die Musik nicht als Musik an sich, sondern als Begleitmedium zum Sich-zu-Musik-Bewegenwollen.

Das Erleben von hochwertiger Musik an sich

Musik? Abzappeln? Krass zu wenig. Da geht mehr.

Eigentlich bekommt Musik durch den Tanz erst ihren Sinn.

Ohne Tanz ist Musik Wertlos.

Tanz ohne Musik irgendwie auch.

Vielleicht sollten sie eine Symbiose eingehen.

Klassischer Tanz zu klassischer Musik z.B.
 
Haben trotzdem nur anekdotische Relevanz. Ich habe in den letzten Jahren hunderte Konzerte und Opern besucht und wurde dort weder mit Zigarren- noch mit Chanel-Gestank konfrontiert.

Habe ich nicht und werde ich niemals tun. Dass mir das Publikum bei solchen Veranstaltungen nicht behagt, ahne ich, ohne jemals da gewesen zu sein. Ist sicher ein Tummelplatz von Neureichen - da erstaunt mich die Überdosis Parfüm gar nicht. Man muss schließlich zeigen, dass man sich sein Chanel leisten kann.
Das wird so sein.

Bin eben ein Mensch aus einfachem Hause.
Das wird uns wohl unterscheiden, dass Dir Deine Ellies einiges mehr an Rüstzeug mitgeben konnten, wo man hingehen kann, und wo man sich besser nicht untermischt. ;-)

Meine Ellies waren einfache Handwerker vom Dorfe. Da ist die Möglichkeit, seinen Kids mitzugeben, was man tut und was nicht, bisschen limitiert.
Weintastings waren mal, mache ich auch nicht mehr - nicht mehr "draußen". Die Dame mit Chanel war auch Ausnahme, bekenne ich.

Wenn ich ... Konzert will, mache ich dann hier auch gern selber. Ragtime, Blues, Boogie Woogie, und bisschen Chopin. Sowie gelegentlich das Andante des Klavierkonzertes KV 467, als Zweites Piano neben Derek Bell bei den Londoner Symphonikern mitzuspielen. Die Cantonboxen unter Dampf setzen, und große Freude an den Tasten.
 

Nach dieser Definition müssten jegliche Ballermann-Hits oder Sauflieder wertvoll sein - man kann toll dazu tanzen.
Stimmt nicht.

"Musik ohne Tanz ist wertlos" bedeutet NICHT, dass jede Musik mit Tanz wertvoll ist, sondern dass jede wertvolle Musik mit Tanz ist. Logische Umkehrung - ganz wichtig, sie korrekt zu machen.

PS: Auch die Ballermann-Hits erfüllen einen Zweck. Damit haben sie einen gewissen Wert. Finanziell ist der Wert unbestreitbar - denn die einschlägigen Bars und Diskotheken machen (über den Umweg des Getränke- und Eintrittskartenverkaufs) viel Gewinn damit.

Eigentlich bekommt Musik durch den Tanz erst ihren Sinn.

Ohne Tanz ist Musik Wertlos.

Tanz ohne Musik irgendwie auch.
Dem möchte ich in dieser Absolutheit widersprechen.
Musik hat den Zweck, eine Gruppe zu koordinieren. Sie vereinfacht, dass viele Individuen etwas gleichzeitig (bzw. aufeinander abgestimmt) machen. Tanz ohne Musik ist nicht unbedingt wertlos, aber jedenfalls sehr viel schwieriger. Irgendein Rhythmus sollte schon vorhanden sein. Wenn das schon als Musik gilt, ist Tanz ohne Musik nicht wertlos, sondern unmöglich.

Der Tendenz des ersten und dritten Satzes stimme ich also zu, dem zweiten aber nicht.
Musik mag daraus hervorgegangen sein, eine Grundlage für den Tanz zu liefern. Meiner Meinung hat sie sich aber davon emanzipiert. Tanz ist ein möglicher Zweck der Musik, aber nicht der einzige.
(Gute) Musik löst eine physische / somatische Reaktion aus. Das muss aber nicht automatisch ein Tanz sein.
 
Nur, wenn schon die Implikation falsch ist, so denn auch der Umkehrschluss.
Ich bin nicht ganz sicher, was du meinst.

Aber: Wenn eine Aussage falsch ist, dann kann man sie widerlegen. (jaja, Gödel wird jetzt ignoriert)
Oder man bildet den Umkehrschluss und widerlegt den. Das ist gleichwertig.
Was jedenfalls nicht zulässig ist: Einen falschen(!) Umkehrschluss zu bilden und den widerlegen. Das sagt über die ursprüngliche Aussage nichts aus.
 
Stimmt nicht.

"Musik ohne Tanz ist wertlos" bedeutet NICHT, dass jede Musik mit Tanz wertvoll ist, sondern dass jede wertvolle Musik mit Tanz ist.
Und genau das ist Käse (genau wie mein von dir zitierter Umkehrschluss).

Beispiel:
„The unanswered question“ von Ives - ein wertvolles Stück, aber warum dazu tanzen?

Oder wie sieht es mit Brahms 4. Sinfonie aus?
Im Sinne der „absoluten Musik“ wäre gemäß des Komponisten ein Tanz unerwünscht.
 
Ich gebe mal bisserl Hilfe. Boole'sche Algebra, bei mir seit 1971.

Oder Mittelstufenmathe:
A => B
ist was anderes als
A <=> B

A: Es regnet
B: Die Straße wird nass.
A => B
Wenn es regnet, wird die Straße nass.
Nun ist die Straße nass. Muss es geregnet haben? Nein, das war ja nicht Aussage.
Kann auch die Straßenreinigung oder der Nachbar gewesen sein.
Die Implikation A => B ist dann falsch, wenn A wahr ist und B falsch. Wenn B wahr sit, dann ... kann man keine Aussage über A machen.

Und wer in Mathe in der Mittelstufe aufgepasst hat, der kennt auch die Begriffe 'hinreichend' und 'notwendig'.
A ist hinreichend, B ist notwendig.
Also, Regen ist eine hinreichende Bedingung für eine nasse Straße, aber keine notwendige, könnte ja auch Straßenreinigung gewesen sein.
Umgekehrt ist B, die nasse Straße, eine notwendige Bedingung für Regen. Wenn die Straße trocken ist, kann es auch nicht regnen.

Einige kennen das auch aus der Konvergenzuntersuchung von Reihen:
Wurzelkriterium als hinreichend, Nullfolfe als notwendig.
Ist das Wurzelkriterium nicht erfüllt, kann man keine Aussage zur Konvergenz machen. (Wurzelkriterium ist hinreichend, aber nicht notwendig.)
Hat man eine Nullfolge, kann man ebenfalls keine Aussage zur Konvergenz machen. (Nullfolge ist notwendig, aber nicht hinreichend.)

Grüße
Häretiker
 

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