Es ist ganz einfach so: wenns stimmt, dann stimmts - egal was jemand misst. Ich mag keine gestreckten Stimmungen
Aber "wenn´s stimmt", dann ist die Stimmung gestreckt.
Vielleicht wird es anders herum erklärt deutlicher:
Die Frage, ob der Klavierstimmer gespreizt hat oder nicht, stellt sich erst, seitdem es die ersten Stimmgeräte gibt und man damit die Arbeit der Stimmer nachzuvollziehen versucht.
Wenn ein Stimmer ein Instrument für die Ohren eines Musikers super gestimmt hat, und man dann mit einem Frequenzzähler die Grundtöne vermisst, würde man feststellen, dass er den Bass zu tief und den Diskant zu hoch gestimmt hat - verglichen mit dem, was man aufgrund der Frequenz bei einer gleichstufig schwebenden Stimmung erwarten würde, nämlich z.b. a=440Hz, b= 440x2^(1/12), h=Frequenz von bx2^(1/12), etc.
Der Stimmer kommt nicht zu einem Instrument und sagt: "Ach, wie schön, ein Konzertflügel, den spreize ich weniger stark" oder "iihh - ein Kleinklavier, das muss ich stärker spreizen".
Der Stimmer macht seine Arbeit so, "dass es passt" und wenn man dann die Grundtöne vermisst, würde man feststellen, dass die Stimmung des Konzertflügel weniger stark gespreizt ist als die des Kleinklaviers. Die Spreizung hat sich der Stimmer aber nicht vorgenommen sondern sie ist das Resultat.
Physikalische Notwendigkeit des Spreizens:
Die Notwendigkeit der Spreizung liegt in der Inharmonizität der Saiten, durch die sich die natürliche Obertonreihe spreizt. Damit ist leider der 1. Oberton nicht mehr die Oktave auf den Grundton, sonder er liegt etwas höher. Und der zweite Oberton ist nicht mehr die Quinte auf die Oktave, sonder auch minimal darüber.
Jetzt haben wir gerade im Bass das Problem, dass sehr viele der Obertöne noch im hörbaren Bereich liegen und das Phänomen, dass der Grundton nicht die größte Intensität zu haben braucht. Nicht selten ist z.B. der 2. Oberton (= 3. Teilton = Quinte auf die Oktave des Grundtones) lauter als der Grundton.
Würde man jetzt mit einem Stimmgerät den Grundton frequenzrichtig stimmen, würde sich ein Akkord falsch anhören, da der lautere 2. Oberton noch zu hoch ist. Stimmt man so, dass "es passt", hat man sich korrekt an dem lauteren Oberton orientiert - aber damit den Grundton tiefer als errechnet gestimmt.
Das war dann aber auch das Problem, als die ersten elektronischen Stimmgeräte auf dem Markt kamen:
Diese errechnen die Frequenzen der einzelnen Töne, indem Sie eine Oktave in 12 gleiche Halbtonschritte zerlegen, wie oben dargelegt ( a=440Hz, b= 440x2^(1/12), h=Frequenz von b x2^(1/12), etc.).
Die ersten weit verbreiteten Stimmgeräte waren von Wandel&Goltermann das STG-1 (Mitte der 50er Jahre) und v.A. danach das STG-5. Die heutigen "Chromatic Tuner" arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Zur Messung werden immer die Grundtöne oder immer die gleichen, festgelegten Obertöne herangezogen, ohne zu berücksichtigen, welcher Oberton tatsächlich der lauteste oder für den Höreindruck der relavanteste ist.
Wenn man damit ein Klavier stimmt, stimmt es eben nicht, weil es nicht gespreizt wurde.
Der vermeintliche Durchbruch kam dann (Anfang der 90er) Jahre mit dem TLA CTS-5 - das ich damals natürlich auch gleich haben musste.
![Zwinkern ;-) ;-)](/styles/splash/xenforo/smileys.clavio/Winking.png)
Diese Geräte berücksichtigten die Spreizung zumindest ansatzweise, da Sie verschiedenen voreingestellte Spreizungskurven hatten, bei den größeren Geräten konnte man sogar eigene Spreizungen speichern.
Mit dem Wissen, dass ein gut gestimmter Konzertflügel schwächer gespreizt ist als ein Kleinklavier, hat man vor dem Stimmen eine der voreingestellten Spreizungen ausgewählt, z.B. "stark 1". Je nach Auswahl der voreingestellten Spreizung musste man hauptsächlich im Bass noch mehr oder teilweise auch erstaunlich wenig nachkorrigieren und das Ergebnis war schon nicht schlecht, auf jeden Fall um Welten besser, als mit einem chromatischen Stimmgerät.
Aber auch diese Gerätegeneration liegt nun schon 20 Jahre zurück.
Die aktuellen Stimmgeräte sind eigentlich gar keine Geräte mehr sondern eine Analysesoftware für das Handy oder andere Computer.
Diese Geräte vermessen die Instrumente hinsichtlich der Spreizung der Obertonreihe/Inharmonizität.
Entweder wird vor dem Stimmen eine Spreizungskurve ermittelt (z.B. bei Tunelab) oder während der Stimmung wird bei jedem einzelnen Ton die Verteilung und v.A. Intensität der einzelnen Obertöne ermittelt und festgelegt, welcher der Obertöne der hör-relevanteste ist und als Referenz herangezogen wird. Es wird nicht mehr stur nach Grundton oder x-ten Oberton gestimmt.
Man mag es glauben oder nicht:
Die Stimmungen mit diesen Geräten haben nichts im geringsten mit den Stimmungen von Chromatic-Tuner oder dem CTS-5 zu tun, das ist eine ganz andere Qualität.
Es setzt aber voraus, dass man entweder das Instrument vorher vermisst und darauf achtet, dass einige Parameter richtig einstellt sind (bei Tunelab) oder man arbeitet mit Programmen, die im Hintergrund analysieren und muss sich um gar nichts mehr kümmern (z.B. Tunic/Onlypure oder ansatzweise noch Verituner).
Mit tunelab einfach mal drauf los stimmen liefert genauso grässliche Ergebnisse wie mit 30,- Euro- Chromatic-Tunern.
Das man mit Tunelab hervorragende Ergebnisse erzielen kann, wollte ich bis zu dem Zeitpunkt auch nicht glauben, als mir vor Jahren (da lief Tunelab noch auf dem Pocket-PC, Android gab´s noch nicht) der Stimmer des Hessischen Rundfunks die Vorteile dieser Software zeigte und meinte, dass dort alle Flügel mittels Tunelab gestimmt würden.
![Schweigen :schweigen: :schweigen:](/styles/splash/xenforo/smileys.clavio/Not-Talking.png)
Gerade im Studio-/Konzertbetrieb ist es ein unglaublicher Vorteil, wenn man die Stimmung des Flügels abgespeichert hat und in einer Konzertpause chromatisch die Töne durchgehen und sehen kann, wo sich was verzogen hat.
Oder Duo-Stimmen: Zwei Steinway D müssen in der Aufnahmepause zueinander passend nachgestimmt werden, stehen sich aber bereits mit einem Klaviaturabstand von 3m gegenüber auf der Bühne und dürfen nicht mehr verschoben werden, da sie schon fertig mikrofoniert sind.
Gerade im High-End-Bereich sind die "Computer-Stimmungen" mittlerweile extrem verbreitet, weil der Musiker, der den Flügel wenige Stunden vor dem Konzert/der Aufnahme das erst mal anspielt, sich eben u.U. nicht über eine schöne, charaktervolle Cis-Dur-Stimmung freut, sondern einheitliche Arbeitsbedingungen erwartet.
Nach diesem kurzen Exkurs über Stimmgeräte zurück zum Thema Spreizung:
Eine aus Sicht eines Musikers richtig gut klingende Klavierstimmung ist gespreizt.
Warum klingt eine gespreizte Stimmung besser/richtiger?
- Zum einen ist dies aufgrund der Inharmonizität der Saiten wie oben dargestellt notwendig.
- Zum anderen hat der Klavierstimmer aber noch mit solchen Problemchen zu kämpfen, dass er in die 7 Oktaven eines Klaviers irgendwie 12 Quinten unterbringen muss.
Nur sind jetzt blöderweise 12 reine Quinten mehr als 7 Oktaven (pythagoräisches Komma).
Eine Oktave ist ein relativ dankbares Intervall, das leicht(!!!) überzogen immer noch als Oktave angenehm erklingt, sodass es sich anbietet, das pythagoräische Komma ein Stück weit von den Quinten weg Richtung der Oktaven zu verschieben.
Werden also die Oktaven minimal (!!!) größer gewählt, kommt man mit den Quinten eher Richtung rein. Dies ist auch gerade in der Kammer-/Orchestermusik von Bedeutung.Betrachtet wir z.B. ein Klaviertrio: Cello (in reinen Quinten c-g-d-a), Geige (in reinen Quinten g-d-a-e) und Klavier (mit zu kleinen Quinten) sollen zusammen musizieren.
Bei den Streichern werden reine Quinten aufeinander geschichtet, beim Klavier müssten die Quinten
- Ein psychoakustisches Phänomen, die sog. "Tonheit".
Rein physikalisch entspricht eine Verdoppelung der Tonhöhe einer Verdoppelung der Frequenz, d.h., ein Ton von 880Hz ist doppelt so hoch wie ein Ton mit 440Hz. Soweit klar.
Bei der Psychoakustik entspricht die Verdoppelung der Tonheit der Verdoppelung der wahrgenommenen Tonhöhe.
Im Bass verlaufen Frequenz und Tonheit weitestgehend parallel. Ein Ton mit der Tonheit 200 wird als doppelt so hoch wahrgenommen wie ein Ton mit der Tonheit 100.
Tonheit und Frequenz scheinen also nur verschiedene Einheiten zu sein.
Im Bass stimmt das, über etwa 500Hz muss man die Frequenz des zweiten, hintereinander gespielten Tones deutlich größer als doppelt so hoch wählen, sodass der Eindruck einen Tonhöhenverdoppelung (Oktave) erfolgt.
Einfach mal ausprobieren:
Die Oktave eines Tones stimmen, ohne die Töne gleichzeitig anzuschlagen, nur nacheinander, ohne Hilfsintervalle/Proben.
Wenn nacheinander gespielt der Eindruck einer Oktave entsteht, ist der ober Ton viel zu hoch.
gleich geht´s wieter...