singender Priester

[Rheinkultur]

Lieber ein singender Pfarrer als eine pfeifende Orgel....


View: https://youtu.be/CCyjcKeuuLo


So ein Erlebnis hatte ich neulich auch bei Freunden und wir haben noch gewitzelt, ob so etwas passiert

Da lag es wohl eher an dem Zeitgenossen vor den Tasten als am Instrument. Eine höhere Trefferquote wäre sehr zu begrüßen gewesen.

Wer weiß, ob mir vorhin nicht etwas Ähnliches hätte blühen können - nicht als Spieler, sondern als Hörer?! Vorhin hat ein aus Kasachstan stammendes Paar in den Mittvierzigern ein zweites Mal den Bund fürs Leben besiegelt - diesmal vor Gott. Bis nach Beginn des verspätet startenden Hochzeitsgottesdienstes war Chaos pur angesagt - Details lasse ich außen vor, mit der Aufzählung allein könnte ich locker die ganze Seite voll schreiben. Wenige Minuten vor Beginn beispielsweise ließ mich die Pfarrerin wissen, dass eine Freundin des Brautpaares zum Einzug den Dauerbrenner aus "Lohengrin" spielen und später auf dem ebenfalls bereit gestellten Klavier aus dem Gemeindesaal ein Lied aus der kasachischen Heimat vortragen wolle - für mich blieben demnach die zwei Gemeindelieder und ein Orgelstück zum Auszug. Süffisant bemerkte ich, dass ich eine Orgelfassung vom Wagner in meiner Kladde drin hätte, falls die unbekannte Kollegin es auch noch fertig bringen sollte, ihre Noten zu vergessen. Ob es zu so etwas Ähnlichem wie dem versemmelten Händelsohn-Bacholdy aus dem Video gekommen wäre, habe ich leider nicht erfahren. Beim Glockenläuten teilte man mir mit, dass die Freundin etwa vierzig Kilometer entfernt im Stau fest säße - also musste ich selber ran an die Orgel. Der Einzug verzögerte sich etwas, weil der Bräutigam und seine Kumpel draußen erst ihre Zigarette zu Ende rauchen mussten - die Pfarrerin war stocksauer. Später hatte ich zum Glück noch ein paar Sachen aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion parat und zwischendurch ein gepflegtes "Ich bete an die Macht der Liebe". Natürlich sang die Pfarrerin die Gemeindelieder alleine - die Hoffnung, dass wenigstens die in Deutschland groß gewordenen und bereits erwachsenen Kinder des Brautpaars mit den etwas moderner gewählten Liedern etwas anfangen konnten, sollte sich leider nicht bewahrheiten.

Wäre ich nicht so ein frommer Christ, müsste ich im nachhinein ganz laut SCHEIẞE* brüllen!!!

LG von Rheinkultur



*P.S.: Dieser Nachsatz musste sein. Habe schon tagelang auf eine Gelegenheit gewartet, endlich mal ein großes "ß" zu schreiben...!

 

[Stephan]

Sehr schöner Praxisbericht! Muss da an jene "Freundin der Braut" denken, "die ja so schön singen kann" (Laie). Obschon ich der Frau, die exakt genauso aussah wie die Braut, sagte, sie solle von Anfang an auf der Orgelbühne verweilen, nachdem ich mit ihr vorher das einfallsreiche "Ave Maria" (B/G) eingespielt habe, blieb sie unten. Weil sie nicht wußte, was ein Evangelium ist, rannte sie dann verspätet, wie von der Tarantel gestochen, die lange, enge, hohe Treppe zur Orgelempore hinauf, wo ich schon liebevoll über dieses Werk improvisierte, um ihr einen Wink zu geben und die peinliche Pause zu überbrücken.
Und dann geschah das Vorhergesehene: A..HÖ..ve Maria..Hö..Graaa-Höö--tia--Höö plena...
grenzenlos peinlich...und vor allem ärgerlich, denn man könnte ja einfach mal auf einen Rat eines Hauptamtlichen hören. Aber das scheint in der Kirche wohl das Los vieler Musiker und auch Theologen zu sein: Alle wissen alles besser, na dann...

 

[Rheinkultur]

Muss da an jene "Freundin der Braut" denken, "die ja so schön singen kann" (Laie).

Andere "Freundinnen der Braut" bevorzugen irgendwelche mit dünnem Stimmchen gesungene Popballaden, die sich trotz der aus dem Probenraum einer Rockband (in der der Freund spielt) ausgeliehenen Gesangsanlage zum Davonlaufen anhören. Da hätte es bei DSDS mit Sicherheit nicht zum Recall gereicht. Natürlich braucht die für lau singende Freundin zuvor noch ausgiebig Probenzeit, da es ohne Notenkenntnisse nun mal länger dauert. Mit einer professionellen Solistin hätte eine kurze Verständigung vorher genügt - aber die macht den Job verständlicherweise nicht für 'n Appel und 'n Ei. Dabei kostet jedes Tablett mit Schampus, der draußen vor der Kirche zur Begrüßung der Hochzeitsgäste gereicht wird, bereits mehr als die gesamte Kirchenmusik zusammen. Und dafür ist die Kohle natürlich da, ohne dass einer über die Preise meckert... .

Hat weniger mit dem Neid der Musiker zu tun als mit fragwürdigen Einstellungen vieler Mitmenschen - Sparen am falschen Ende eben. Dazu könnte man jede Menge Erfahrungsberichte schreiben.

LG von Rheinkultur

 

[dussek]

Muss da an jene "Freundin der Braut" denken, "die ja so schön singen kann" (Laie). Obschon ich der Frau, die exakt genauso aussah wie die Braut, ...

Ist mir auch schon aufgefallen, dass zumindest die Braut und die Trauzeugin immer schlank, blond und langhaarig sind, am besten aber alle weiblichen Hochzeitsgäste. Ist wohl im § 1 HoGB gesetzlich so geregelt

Dagegen waren für die männlichen Gäste in den 90ern immer leichte Korpulenz, Schnauzbart und passtellfarbener Sakko vorgeschrieben, aber da wurde wohl inzwischen was geändert.

 

[Stephan]

..vielleicht war ja auch die komplette optische Identität von Braut und Trauzeugin/beste Freundin als Austauschbarkeit im Notfall angedacht, prüfe, wer sich ewig binde...

 

[KrautundRueben]

Für die Trauerrede bin ich nicht zuständig, für die Trauermusik allerdings schon. Allerdings wähle ich grundsätzlich dem ernsten Anlass gerecht werdende Literatur und die "schrägen" Sachen gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch des Auftraggebers. Ich erinnere mich an genügend tragische Anlässe wie die Trauerfeiern für Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes vor gut zwei Jahren, bei denen ich zu spielen hatte. Da kommt keiner auf die Idee, platte Witze zu reißen und dümmliche Schlager anzuspielen. @mick: Lass Dir mit dem Sterben noch ganz viel Zeit - ich bin vermutlich eher dran... .


So geht es mir beim Anblick dieses Videos:



LG von Rheinkultur

Hi,

die Anmerkung brennt mir unter den Nägeln: "Hurt" ist original von Trent Raznor, Nine Inch Nails, auf dem Album "Downward Spiral", und das ist nochmal deutlich ergreifender als das Cover von Cash...

Viele Grüße
Krauti

 

[Rheinkultur]

..vielleicht war ja auch die komplette optische Identität von Braut und Trauzeugin/beste Freundin als Austauschbarkeit im Notfall angedacht, prüfe, wer sich ewig binde...

Diese Konstellation hatte ich mal vor knapp zwei Jahren: Braut und die singende beste Freundin gehörten beide in die Kategorie "erblondete Friseuse" (die Sängerin war tatsächlich in diesem Beruf tätig). Im Gedächtnis geblieben ist mir dieses Ereignis, weil es der singenden Freundin bei der zweiten Gesangsnummer plötzlich einfiel, sie nun doch nicht in H-Dur, sondern in Cis-Dur singen zu wollen - das Original war in F-Dur, wenn ich mich recht entsinne. Dieser Einfall kam ihr dreißig Sekunden, bevor wir dran waren... . Geklappt hat allerdings trotzdem alles.

Drum prüfe ewig, wer sich binde... .

LG von Rheinkultur

 

[Stephan]

... eine überm. Quinte über Normal? Die war wohl zu lang unter'm Haartrockner...aber Respekt, Rheinkultur, da hätte ich zumindest abgelehnt, echt...

 

[Dorforganistin]

Ob sie gemerkt hätte, wenn man's einfach in C gespielt hätte?

 

[Stephan]

Das ist prima, und man erklärt dann, sie speziell würde am besten in His-Dur klingen...

 

[Rheinkultur]

Das Problem war ein anderes. Dreißig Sekunden vor dem Einsatz ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt für Diskussionen. Da hat man nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Einfach machen oder einfach machen! Genau genommen gibt es sogar drei Möglichkeiten: H-Dur, His-Dur oder Hisis-Dur. Darauf kann man nur mit einem entschiedenen Jein antworten.

LG von Rheinkultur