Problem mit "Tiefenentspannung" beim Spielen

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Alexalamander

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29. Jan. 2025
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Liebes Forum!

Erst mal danke für die Aufnahme! Mein Problem ist recht komplex, aber ich versuche, mich möglichst kurz und klar zu fassen.

Bin 45 und habe mit 11 angefangen, Klavier zu spielen. Vor ca. 20 Jahren hatte ich erstmals - das überkam mich damals recht plötzlich - mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen, die sich im schon Alltag bemerkbar machten, aber vor Allem mein Klavierspielen und -üben ganz entscheidend beeinträchtigten. Es ist ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich dabei nicht um "klassische" Konzentrationsprobleme handelte, die man mit frischer Luft, Koffein o.Ä. in den Griff kriegen könnte; im Gegenteil, diese Maßnahmen machten es eher noch schlimmer, weil ich mich gefühlt dadurch noch mehr auf das Ziel fixierte, möglichst entspannt zu sein. Folge: Verkrampfung.

Nun die gute Nachricht: Es ist mit den Jahren VIEL besser geworden, offenbar durch geregelten Tagesablauf und verbesserte finanzielle Situation. Im Alltag machen sich diese Konzentrationsprobleme so gut wie nicht mehr bemerkbar, aber das Klavierspiel leidet immer noch ein wenig darunter. Mir ist natürlich klar, dass Entspannungstechniken u.Ä. helfen können, bei mir hilft es aber nur bedingt. Was bei mir wirklich hilft, ist, sich eine halbe Stunde auf's Ohr zu hauen; umgekehrt ist Unausgeschlafenheit ein Trigger für meine Probleme.

Ich beschreibe noch kurz, wie sich diese Probleme konkret auf mein Spiel auswirken: Komplexe, technisch herausfordernde Passagen und schnelle Läufe werden gar nicht so beeinträchtigt, weil die Grundtechnik ja da ist; aber sobald ich ganz einfache Sachen à la "Notenbüchlein für A. M. Bach" spielen möchte, verkrampft sich alles. Ein Therapeut hat es übrigens mal als "Panik ohne Panik" beschrieben, dh, man würde keine Angst verspüren, aber die Symptome zeigen. Das trifft es ganz gut, finde ich!

Wie gesagt, es ist viel besser geworden, aber ich bin mir sicher, dass es noch Luft nach oben gibt. Und mir ist auch klar, dass es keine einfachen Lösungen gibt, aber vielleicht hat ja jemand ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und kann mir da mit konkreten Tipps weiterhelfen. Vielen, vielen Dank!!
 
Erstmal herzlich willkommen @Alexalamander! :blume:

Das sogenannte Powernapping scheint ja schon mal ein guter Ansatz in Richtung Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit zu sein.


Falls nicht schon geschehen, würde ich dir raten, deine Beeinträchtigung medizinisch abklären zu lassen, damit man im Anschluss gezielt handeln kann.

 
Lieber @Alexalamander , auch von mir ein herzliches Willkommen!
Klavierspielen ist schön und entspannend, selbst, wenn man sich stark konzentriert, fühlt man sich hinterher seltsam wohl.
So gesehen, scheint mir die Musik eine fantastische Therapie für Dich zu sein.
Wenn Du einfache Stücke spielst, driftest Du wahrscheinlich gedanklich ab, das nimmst Du Dir vielleicht unbewusst übel und schon verkrampfst Du Dich, weil Du nicht willst, dass das so ist.

Ohne Deine Situation genau zu kennen, kommen mir ein paar Ansätze in den Sinn, die Du probieren könntest:

  • Spiel ein leichtes Stück und lass das Gehirn ruhig wandern, mach Dir nix draus.
  • Spiel ein leichtes Stück und singe dazu (das gibt Dir unbewusst einen Fokus)
  • Improvisiere, klimpere herum, lass es geschehen und:
  • Bewerte Dich nicht!
  • BEWERTE! DICH! NICHT! :-)

Schau mal, wie sich das alles so anfühlt. Meistens stehen wir uns im Weg, weil wir so hohe Ansprüche an uns haben.
Einfach mal Kopf ausschalten kann sehr gut tun. Und dann übst Du wieder konzentriert an den komplexen Stücken herum.
Letztlich soll die Musik Dir Freude bereiten und das tut sie nur, wenn Du sie einlädst und nicht über Dich haderst.:-)
 
Liebes Forum!

im Gegenteil, diese Maßnahmen machten es eher noch schlimmer, weil ich mich gefühlt dadurch noch mehr auf das Ziel fixierte, möglichst entspannt zu sein. Folge: Verkrampfung.

(....) Ich beschreibe noch kurz, wie sich diese Probleme konkret auf mein Spiel auswirken: Komplexe, technisch herausfordernde Passagen und schnelle Läufe werden gar nicht so beeinträchtigt, weil die Grundtechnik ja da ist; aber sobald ich ganz einfache Sachen à la "Notenbüchlein für A. M. Bach" spielen möchte, verkrampft sich alles. Ein Therapeut hat es übrigens mal als "Panik ohne Panik" beschrieben, dh, man würde keine Angst verspüren, aber die Symptome zeigen. Das trifft es ganz gut, finde ich!

Liebe Alexalamander,

aus der Ferne ist es schwierig, Klarheit zu erhalten, was deine Probleme genau sind und was dir helfen könnte. Ich kann also nur vermuten. Aber gleich zwei Gedanken sind mir beim Lesen deines Beitrags durch den Kopf gegangen:

1. Ist es generell so, dass die Probleme stärker auftreten, je weniger du am Klavier zu tun hast? Also ganz besonders bei langsamen/einfachen Stücken? So verstehe ich dich wenigstens.

Du schreibst, dass schnelle Läufe etc. nicht so das Problem sind, "weil die Grundtechnik ja da ist". Es kann aber sein, dass der eigentliche Grund ist, dass du da mehr zu tun hast und dich konzentrieren MUSST, weil du die Stelle sonst nicht hinbekommst.

Wenn die Vermutung stimmt, könnte es im Umkehrschluss sein, dass du dich bei langsamen/einfachen Stellen verkrampfst, weil du da wenig zu tun hast und dieses "Weniger Tun" eine Beklemmung bei dir auslöst, die die Verkrampfung zur Folge hat.

Wenn ich das weiter denke, könnte es sein, dass du dir nicht gut zuhörst, vor allem nicht auf den Verlauf der klingenden Töne. Es könnte sein, dass du immer auf die Aktion des Anschlags von Tönen achtest/hörst und nicht auf den Klangverlauf der Töne nach dem Anschlag und ihre Verbindung mit dem nächsten Ton/den nächsten Tönen. Das ist jedenfalls mein Verdacht.

Deine Aufmerksamkeit auf das Geschehen "zwischen den Tönen" und die "Verbindung der Töne nach dem Anschlag" zu lenken könnte dir helfen, deine Beklemmung zu lösen und zuzulassen, was da ohne dein Zutun erklingt bzw. was du durch dein Tun zum Klingen gebracht hast. Es ist herrlich und ein großer Genuss, dem Schwingen der Töne zuzuhören, zu hören, wie ein Ton endet, wie er in den nächsten übergeht, wie Pausen wirken u.v.a.

Was meinst du? Könnte das sein? Wenn ja, wie kann man das erlernen?

Du bräuchtest einen guten Klavierlehrer, der sich mit dir gemeinsam auf diese Entdeckungsreise macht. Dieses Gebiet ist so vielfältig und groß, dass es nicht möglich ist, in einem Forumsbeitrag auch nur annähernd Hilfestellung zu geben. Ein paar Möglichkeiten:

a) spiele einen einzigen Ton und höre zu, wie er immer leiser wird, bis du nichts mehr hörst. Wähle andere Töne in verschiedenen Registern mit unterschiedlicher Lautstärke und mache diese Übung über längere Zeit.
b) mache dasselbe, schließe aber immer zu unterschiedlicher Zeiten einen zweiten Ton in der Lautstärke, in der der erste Ton gerade erklingt, an. Es darf keinen Bruch geben. Achte dabei darauf, dass der Arm die Finger führt. Du könntest dies sogar beim Gehen erleben: stehe erst einmal still und verlagere dein Körpergewicht gleichmäßig auf beide Füße. Dann machst du in Zeitlupe einen Schritt und richtest deine Aufmerksamkeit ganz auf die Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere und auf die Fußsohlen. So ähnlich funktioniert die Übertragung von einem Finger zum nächsten auch am Klavier.
c) Improvisation - für mich ein wichtiges Mittel zur Lösung deiner Probleme:
  • Experimentiere mit Klängen, spiele mit liegendem Pedal zum Beispiel Einzeltöne, lasse sie lange klingen und höre darauf, wie sie sich vermischen und welche Farben sich ergeben. Zufallsklänge also ...
  • Das Gleiche mit mehr Tönen: spiele leise beliebige Akkorde und nimm sie einfach wahr. Was lösen sie in dir aus? Mich würde ja interessieren, ob du dich bei solchen Experimenten auch unwohl fühlst oder ob du es schaffst, ein Klangbad zu nehmen, indem du alles annimmst und wahrnimmst, was da ist und was du hörst.
  • spiele links ein einfaches Ostinato, es kann auch nur eine sich wiederholende Quinte sein, und spiele rechts dazu eine einfache Melodie. Sehr zu empfehlen ist das Buch von Francis Schneider "In Tönen reden" und vor allem "Fast nichts - und doch so viel"!
2. Meine zweite Idee beim Lesen deines Beitrags war, dass du evtl. zu fingerlastig spielst. Es hilft grundsätzlich nie zu denken, "ich will mich jetzt entspannen"! Das funktioniert nahezu bei keinem! Sondern man muss möglichst genau wissen, welche Bewegungen man machen kann und will. In Bewegung bleiben, fließende und zusammenfassende Bewegungen auszuführen (Armführung!) ist wichtig, dabei stellt sich automatisch die richtige Balance zwischen Spannung und Entspannung ein und du fühlst dich zwischen den Tönen nicht so unwohl. Und es klingt so viel besser! :D

Achte also mal darauf, wie du dich bei langsamen Stücken bewegst.

Ich bin gespannt, was du zu meinen Gedanken meinst.

Liebe Grüße

chiarina
 
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Liebe Leute!

Schon mal jetzt vielen herzlichen Dank an alle für die sehr ausführlichen Antworten. Habe noch nicht alles durchgelesen, aber ich sehe schon beim Überfliegen, dass ich da einiges mitnehmen werde. Werde mich mal durcharbeiten und antworte euch dann individuell - THX!:026:
 
Und hier mal, was ich mir zu euren Antworten gedacht habe!

@Franzine: Das könnte mit reinspielen. Ich habe tatsächlich oft den Eindruck, "einfache" Stücke nicht genug zu würdigen. Logisch, mit schnellen Läufen kann man auch schneller mal angeben ("einedrahn", wie wir Ösis auch gerne sagen;-))

@Klein wild Vögelein: Medizinisch ist alles in bester Ordnung. Schlaf ist jedenfalls wirklich das Wichtigste, für jede Lebenssituation!

@Tastatula: Richtig, die Ansprüche an einen selbst dürfen nicht zu hoch sein, Hab mal gelesen (auch wenn das ein physiologisches Problem betrifft), das "Klassiker" öfters vom gefürchteten Musikerkrampf heimgesucht werden als Jazzer - weil Erstere höhere technische Ansprüche an sich stellen.

@Stephan: Offensichtlicher, aber sehr wichtiger Punkt. Ich schaue mittlerweile auch zu oft aufs Smartphone.

@chiarina: Da sind einige sehr interessante Übungen dabei, die ich auf jeden Fall ausprobieren werde! Erinnert mich an den Ansatz eines meiner Klavierlehrer, der auch sehr davon überzeugt war, dass die Bewegung der Finger dem generellen Flow des Armes folgen müssen.

Eines, was mir noch eingefallen ist: Wenn ich solche angespannten Phasen habe, fällt es auch relativ schwer, piano oder gar pianissimo zu spielen. Da tue ich mir dann mit Klavieren mit schwergängigerer Klaviatur interessanterweise leichter, auch weil die Gefahr geringer ist, dass einzelne nervös herumhüpfende Finger Tasten erwischen, die sie nicht erwischen sollen. Und noch was: Was auch manchmal gut hilft, ist, mal ein paar Tage bewusst nicht zu spielen, um so eine Art natürlichen Abstand zum Instrument zu kriegen. Keith Jarrett hat auch gesagt, dass er schon Stunden vorm Auftritt zu spielen aufhört, um möglichst frisch und unverkrampft durchstarten zu können.

Danke nochmal an Alle!
 

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