O.K. diesem Argument muss man eindeutig zustimmen. Ich habe aber den Eindruck, dass in der Praxis dem nicht so ist: Um Wettbewerbe zu gewinnen, muss man heutzutage die schwierigsten Stücke spielen. Bitte belehrt mich, wenn es anders ist !
Mir geht es genauso. Man kann ja erst ein Urteil abgeben, wenn man Vergleichsmöglichkeiten hat, wenn man das Werk - vielleicht durch eigenes Musizieren gut kennt.
etwas rebellisch muss ich Dir leider sagen, Destenay, dass ich dem nicht zustimmen kann.
Ich sehe ein, dass es von verschiedenen „schwierigsten“ Werken der Klavierliteratur vereinzelte hervorragende historische Aufnahmen gibt. (in Skrjabins Werken kenne ich mich leider noch nicht so gut aus, aber ich kenne zum Beispiel von Benedetti-Michelangeli eine hervorragende Aufnahme von „Gaspard de la nuit“.)
Es gibt viele recht junge Aufnahmen von „Gaspard de la nuit“: Ingolf Wunder, Benjamin Grosvenor, Anna Vinnitskaya, Yevgeni Sudbin, Freddy Kempf. Ich kenne eine Reihe davon und finde sie wirklich hervorragend ! Von „unreif“ kann da nicht die Rede sein!
Zudem halte ich den Ausdruck „reif“ für musikalische Interpretationen unpassend. Was soll er ausdrücken? Wenn ich Yundi Li’s Aufnahme der h-moll Sonate Liszts anhöre und nicht wüsste, wer da spielt, könnte ich nie auf das Alter des Pianisten schließen.
Es ist, wie SingSangSung glaube ich einmal in einem anderen Thread festgestellt hat: (in meinen Worten) mit der Anschlagstechnik eines Klaviers kann man selbstverständlich viel machen, doch ist sie begrenzt im Vergleich zur Tonerzeugung bei Streichinstrumenten. Wie soll man da erklären, dass eine Interpretation „unreif“ ist. Ich kenne hektische, exaltierte Aufnahmen (z.B. Bilder einer Ausstellung) des exzentrischen Pianisten Eduard Erdmann (alte Generation), die ich (mit aller Vorsicht) überhaupt nicht als reif, sondern eher als „pubertär“ bezeichnen würde. Aber wie gesagt: eigentlich passen diese Bezeichnungen nicht für musikalische Interpretationen.
Darum erneuere ich meine Ansicht: ich halte die Aufnahmen auch gerade von schwierigen Werken von jungen Pianisten für genauso ergötzlich wie diejenigen der Pianisten der alten Generation. Vielleicht bin ich ein Banause, wenn ich einen gewissen „Reifevorsprung“ der alten Pianisten nicht heraushöre, vielleicht ist es aber auch eine Art Grundeinstellung, älteren Pianisten von vornherein größere musikalische Reife zuzuschreiben. Alles in allem bleibt es eine Geschmacksfrage.
Noch ein „Fall-Beispiel“: die extrem virtuosen Erstlings-Einspielungen von Arcadi Volodos wurden von der Kritik völlig zerrissen – nicht ganz zu unrecht. Inzwischen hat Volodos eine Schubert und eine Liszt CD vorgelegt, die ihresgleichen suchen – meinem Geschmacksurteil nach. :)