Es gab halt viele neue gute und unsinnige Ideen, die aber selten über längere bis zur Vollkommenheit weiterentwickelt wurden wie die Fuge von Bach.
Wenn es einen alles Überragenden Meister der Epoche wie es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Bach und Anfang des 19. Jahrhunderts Beethoven war gibt, ist das meiner Meinung nach in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts am ehesten Messiaen.
Das ist völlig richtig. Ich glaube allerdings, dass die Ansicht bleibt, dass er zu der Zeit der größte war.
Ob sich an der Wertschätzung der Komponisten der E-Musik nach dem zweiten Weltkrieg viel ändern wird, ist ebenfalls interessant.
Ein Problem ist da meiner Meinung nach die Vergleichbarkeit.
Bachs Werk ist mit dem ebenfalls genialen von Händel sicher noch besser vergleichbar als irgendwelche elektronische Musik von Stockhausen mit einem an alte Formen angelehnten Prelude von Messiaen oder z.B. diesem komischen Stück von Ligeti, in dem man fast nur die Note a spielt.
Diese drei Beiträge tangieren meines Erachtens einen Punkt, über den es sich - meines Erachtens - lohnt nachzudenken. Ich weiß nicht mehr welcher Komponist es war (ich dachte es wäre Stockhausen gewesen, aber ich finde das Zitat nicht mehr), aber ein Komponist des 20. Jahrhunderts sagte mal sinngemäß, dass die Komponisten der näheren Vergangenheit es leicht gehabt hätten, da sie innerhalb eines bestimmten Systems komponieren konnten, aber mittlerweile der Komponist für jedes Stück ein eigenes System entwerfen muss. Diese Aussage legt zwei Attribute nahe, mit welchen man musikalische Ideen innerhalb eines Musikstücks meines Erachtens versehen kann: Einerseits Ideen die sich innerhalb eines existierenden Systems bewegen und andererseits Ideen, welche ein "neues" kompositorisches System betreffen.
In diesem Sinne kann man auch Komponisten/Werke in "zweierlei Kategorien" einteilen: Komponisten/Werke, welche existierende kompositorische Systeme zusammenfassen/verwenden (und eventuell auch gewissermaßen zur Blüte bringen) und Komponisten/Werke, in welchen neue kompositorische Systeme erforscht werden.
Zur ersten Kategorie: Wären Bach oder Mozart denkbar gewesen ohne die Vorarbeit zahlreicher "experimentellerer" Komponisten in den Jahrhunderten zuvor? Ich denke nicht. Beides sind für mich Komponisten, die die "in ihrer Epoche entwickelten kompositorischen Systeme" auf ihre Art und Weise zu einer Art "Vollendung" gebracht haben. Das wertet aber meines Erachtens nicht die Arbeit der Vorgänger ab, auf die sie sich gestützt haben.
Ein Beispiel für die zweite Kategorie ist meines Erachtens Skrjabin: In seinen Werken experimentiert er sehr stark mit Harmonik und erschafft seine ganz eigene harmonische Sprache, die das harmonische System seiner Epoche verlässt. In anderen Aspekten (wie z.B. der Form oder der motivisch-thematischen Arbeit) ist er meines Erachtens wenig fortschrittlich.
Ein Beispiel für beide Kategorien ist meines Erachtens Messiaen: Er entwickelt (auf der Schultern vieler Vorgänger) ein eigenes kompositorisches System und reizt gewissermaßen alle Möglichkeiten dieses Systems aus.
Ein Problem der "moderneren" Musik ist nun, dass hier (wie in meinem Eingangszitat schon angeklungen) oft neuartige Systeme erforscht werden. Dies macht es naturgemäß unmöglich, die musikalischen Ideen, welche in diesen Stücken auftreten, zu bewerten, wenn man versucht, diese innerhalb existierender Systeme zu bewerten. Soll heißen: Eine Melodie von Mozart ist für uns schön und geistreich, weil sich unsere Ohren an dieses kompositorische System gewöhnt haben und die Melodie innerhalb dieses Systems geistreich ist. Für einen steinzeitlichen Knochenflötisten wäre diese Melodie jedoch bizarr, weil er das System innerhalb dessen Mozart operiert nicht kennt. Auch manche Sonate von Haydn erscheint wenig geistreich, wenn man versucht auf diese die "Sonatenhauptsatzform" anzuwenden. Sie erscheint aber plötzlich sehr geistreich, wenn man sich auf die Ideenwelt des Komponisten einlässt und seine Ideen unabhängig von dem formalen System späterer Sonaten bewertet.
Der Schritt den man gehen kann, um "zeitgenössischere" Musik zu wertschätzen ist - meines Erachtens - dass man beginnt nicht nur innerhalb eines Systems zu denken und zu hören, sondern strukturelle Ideen von Musikstücken auf ihre eigene Art und Weise wertzuschätzen beginnt. Natürlich sollte Musik auch "schön" klingen. Aber Musik kann eben auch sehr geistreich sein, ohne, dass sie unsere alten Hörgewohnheiten bedient.
P.S. Ein Beispiel, welches ich gerne verwende um Menschen die Musik von Stockhausen nahezubringen ist Mozarts Klaviersonate KV332. Stellen wir uns vor wir wären im Spätbarock aufgewachsen und hören anschließend die erste Seite dieser Sonate. Was hören wir? Ein paar Takte Lied, dann plötzlich einen Kanon, anschließend plötzlich Hornquinten, dann ein paar Takte opernhafte Dramatik... Für Ohren, welche an den kontinuierlichen Fluss barocker Musik gewöhnt sind klingt das hochgradig bizarr. Auch Stockhausens Klavierstücke klingen für unsere Ohren erstmal hochgradig bizzar...