Hallo zusammen,
ich bin auf das Forum gestoßen, weil ich unser Klavier stimmen will. Meine Voraussetzung: Ich bin Akkordeonbaumeister und stimme seit 33 Jahren diese Heimwehkompressoren. Ich bin damit jeden Tag ca. 4-5 Stunden beschäftigt und es macht von Jahr zu Jahr mehr Freude. Erst mal vielen Dank an Martin, der sich viel Mühe gemacht hat, dieses Thema zu bearbeiten. Generell sind im Forum viele gute Dinge geschrieben worden. Aus meiner Erfahrung kann ich aber behaupten, dass es die Praxis ist, die zum Erfolg führt. Ich kann die technische Herangehensweise von Christoph gut nachvollziehen, muss aber sagen, dass das eine technische Stimmung bringt. Da kann ich auch gleich ein Keyboard kaufen, das klingt eben wie es klingt. Aber da fängt es meiner Meinung nach aber erst an. Wenn ein Kunde in meine Werkstatt kommt, versuche ich erst ein mal heraus zu kriegen, was sein Klangideal ist. Will heißen, ich lasse ihn spielen. Dann erfahre ich, welche Art von Musik er spielt und wo er hin will.
Ich hatte z.B mal einen jungen Mann, der in einer irischen Band Akkordeon spielt. Als ich ihn nach den gängigen Tonarten fragte, stellte sich heraus, dass das überwiegend Kreuztonarten waren. (bedingt durch die Geige in der Band). Darauf hin habe ich die Ouinten in D,A,E rein gestimmt und die B Tonarten hinten runter fallen lassen. Eine Woche später rief mich der Band Leader an und fragte, was ich da gestimmt habe. Als ich sagte, ich könne das Instrument auch gerne wieder temperiert stimmen lehnte er das vehement ab und meinte:" That's the first german Accordion, that sounds irish.
Das kommt beim Klavier natürlich nicht vor , ebenso wenig wie das beim Akkordeon typische Tremolo.
Da geht es bei den Musette Fans von heftiger Schwebung bis hin zum Schatten bei den Klassikern und Jazzern. (Musette bestehend aus drei Tönen: Grundton a' 440 Hz, Oberschwebung 444 Hz, Unterschwebung 437 Hz. Schatten bestehen aus zwei gleichen Tönen, die aber nur um ca. 2 Cent differieren.) Das erlaubt ein Bending, ähnlich der Blues Harp.
Was ich grundsätzlich mit diesem Artikel sagen will: Ein guter Stimmer muss sich immer mit dem Klangideal des Kunden und den technischen Voraussetzungen des Instrumentes auseinander setzen. Ich habe oft Akkordeons, die kommen mir beim stimmen sehr entgegen, so als wollten sie unbedingt gestimmt werden. Auf der andern Seite haben ich sehr sensible High End Instrumente, die sich zieren und nicht immer da stehen bleiben, wo ich sie gerne hätte. Und das ist m.M sehr wichtig, dies dem Kunden klar zu machen. Ich muss aber auch sagen, dass viele Spieler erst durch ihren Dirigenten darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Akkordeon mal gestimmt werden muss.
Ich will nicht überheblich klingen, aber ein Großteil meiner Kundschaft hört die Verstimmung nicht. Diese Kunden sind oft verunsichert, wenn sie nach Jahren der Verstimmung dann ein gut gestimmtes Instrument spielen.
Ich habe auch ein Stimmgerät. Das ist nützlich, wenn nach 4 Stunden die Konzentration nachlässt. Das Gerät zeigt mir die Richtung, die letzte Beurteilung macht aber immer mein Ohr. Und das ist immer schneller, als das beste Stimmgerät. Nach dem ich Temperatur in Quinten (kleiner als rein) und Quarten( größer als rein ausgehend a' ) gestimmt habe und dann über Intervalle, deren Schwebungen gut hörbar sind überprüft habe, spiele ich die Akkorde in Dur und Moll an und höre hin. Das hat mit Frequenztabellen nichts zu tun. Das ist die Erfahrung und das Bauchgefühl. Hilfreich ist es, viel gute Musik auf gut gestimmten Instrumenten zu hören.
Noch eine kleine Anekdote. Ich hatte ein großes Akkordeon ( 41 Tasten, 4 chor im Diskant = 164 mal 2 = 328 Zungen wg Zug und Druckstimme und 48 Stimmplatten im Bass = 96 Stimmzungen) für einen Kunden gestimmt. Nach einer Woche kam er und meinte, er habe sich eine Software (zum Hersteller gibt es auch in diesem Thread einen Link) zum Akkordeon stimmen gekauft und alles nach gemessen. Da wäre ihm aufgefallen, das 3 bis 4 Töne nicht zu 100 % mit der Software überein stimmen. Da habe ich ihn gefragt, was er denn mit nimmt, wenn er in ein Konzert geht. Die Software oder seine Ohren?
Abschließend kann ich nur jeden ermutigen, der sich ans stimmen traut. Es ist ein riesiges Feld und mit der Zeit und der damit verbunden Erfahrung hat man immer mehr Spaß als Frust.
Gruß Michael
PS.: wer mal in Köln ist und Lust hat sich die Kölner Akkordeon Werkstatt anzuschauen, ist herzlich eingeladen.