Gould hat glaube ich mit seinen Aussagen über Mozart oder auch über Beethovens Op. 57 Marketing betreiben wollen, mehr nicht. Einfach mal provokanten Unsinn raushauen, über den diskutiert wird und der einen ein bisschen wie das verrückte Genie aussehen lässt.
Die Frage bei Julia Fischer ist, was sie mit "eigenen Akzenten" meint.
Es könnte heißen, dass sie:
- irgendetwas Gestalterisches macht, was nicht in den Noten steht, was so oder ähnlich macht oder viele machen (gerade auf der Geige hat man da ja noch mehr Möglichkeiten als am Klavier, Stichwort vibrato, glissando etc. - auch dynamisch hat man ja noch mehr Möglichkeiten)
- Verzierungen, Kadenzen etc. epochen- und komponistengerecht ergänzt, was je nach Stück jeder macht. Auf ihrem Instrument nicht so relevant sind natürlich ausgesetzte b.c.
- irgendetwas Gestalterisches macht, was nicht in den Noten steht und etwas ungewöhnlich ist, aber nicht oder zumindest nicht eindeutig im Widerspruch zum Text steht. Vielleicht ein ungewöhnich hohes oder niedriges Tempo, ungewöhnliche Phrasierung, die nicht notiert ist, ungewöhnliche Dynamik, die nicht notiert ist...
Soetwas kann zu einem gewissen Grad notwendige Anpassung an ein modernes Instrument sein, kann sehr gut sein, kann aber auch völlig bescheuert sein wie beispielsweise einige unterirdisch schlechte Aufnahmen von Glenn Gould
- streitbare Stellen im Notentext - und davon gibt es tendenziell umso mehr, je älter das Stück ist - anders umsetzen, als die meisten es tun.
- bewusst den Text verändert oder ergänzt. Bei dem ein oder anderen Händel, Scarlatti oder so sind einige improvisierte Elemente sicher nicht verkehrt. Das muss auch nicht nur bei Barockmusik so sein. Bei manchen Lisztschen "Showstücken" kann das auch durchaus passen. Wer derartige Dinge aber meint, bei Après une lecture de Dante oder gar der h-Moll-Sonate oder bei Chopin, Schumann und Beethoven einbringen zu müssen, betreibt einfach nur dämliche Selbstinszenierung