Eure Fragen an eine erfahrene Klavierprofessorin

Stilblüte

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Hallo liebe Clavios,

Ich hatte das Privileg, viele Jahre bei einer herausragenden Klavierprofessorin Unterricht zu haben. In wenigen Jahren wird sie in den Ruhestand gehen. Es kam nun die Idee auf, dass wir beide ein bisschen was zu Papier bringen, um ihren großen Wissensschatz, ihre Erfahrung und Ideen zu bewahren. Gibt es Dinge, die ihr gerne wissen würdet? Fragen zu Klaviertechnik, Interpretation, Musikalität, Lehre, Sonstiges? Wir sind sehr gespannt!

Viele Grüße
Anne / Stilblüte
 
Ich wäre an einer Art von Abhandlung interessiert, welche die folgende Kette durchleuchtet

"Komponist -> Noten -> Pianist -> Piano -> Zuhörer",

und zwar mit einem gewissen "System" bei welchem immer die gleichen Aspekte beleuchtet werden, bzw. Fragen beantwortet werden.

Am besten wäre es, die bekanntesten und meistgespielten Solo-Klavier Komponisten in dieser Art "durchzunehmen".

D.h. Bach, Scarlatti, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Chopin, Schumann, Brahms, Bartok etc. etc.

Es sollte in einer Art zu Papier gebracht werden, wie wenn die erwähnte Klavierprofessorin einen Vortrag halten würde zu einem spezifischen Komponisten, welcher die ganze "Kette" durchleuchtet (natürlich aus ihrer pianistischen Sicht).
Die Sammlung der Vorträge in diesem Sinne zu den jeweiligen Komponisten würde dann das Buch ergeben.

Fragen zur Kette könnten sein:

Komponist: Sein Klavierstil. Was ist gemeinsam an all seinen Klavierwerken (aus kompositorischer Sicht gesehen), vielleicht unterteilt nach früh, mittel, spät. Was unterscheidet ihn am meisten von anderen Komponisten (auch derjenigen seiner Epoche). Wie wichtig war das Klavier für ihn.

Noten: was sind die charakteristischen Notationsbesonderheiten des Komponisten, die Geschichte der Noten und der Abschriften.

Pianist: wie spielte und spielt man diesen Komponisten (früher und heute). Was ist die Bandbreite der Interpretationsweisen, die technischen Besonderheiten. Auf was sollte man bei der Interpretation besonders achten.

Piano: Welche Typen von Clavieren hatte der Komponist zur Verfügung, welchen Einfluss hatte das auf seine Kompositionen. Welchen Einfluss hat der moderne Flügel auf die heutige Spielweise.

Zuhörer: Wie oft wird Klaviermusik dieses Komponisten gehört, resp. aufgenommen oder an Konzerten gespielt. Wie soll man die Klaviermusik hören auf was ist zu achten etc. etc.

Eine gute strukturierte "Abhandlung" im Sinne von vordefinierten Fragen und der Durchleuchtung der oben genannten Kette für einzelne Komponisten wäre sicher ein guter Leitfaden für angehende und praktizierende Pianisten.

Das wäre jedenfalls eine Schrift, die mich interessieren würde.

Viele Grüsse,
Ameiossi
 
Das wäre jedenfalls eine Schrift, die mich interessieren würde.
Solche Schriften gehören eher in den Verantwortungsbereich der Musikwissenschaft - und dort gibt es sie auch zuhauf. Wenn es dich interessiert, können wir sicher jede Menge entsprechender Monographien - auch zeitgenössische - empfehlen.

Hier geht es wohl eher um die konkrete pianistisch-musikalische Ausbildung. Da spielen o.g. Themen zwar auch eine Rolle, aber sie bilden nicht den Mittelpunkt des Interesses.
 
Für mich wären interessante Fragen:

Welche Kriterien sollten bei der Wahl eines angemessenen Tempos für das jeweilige Musikstück bedacht werden? Unter Berücksichtigung des jeweiligen Stils bzw. der Epoche.

Worin liegen die Vorteile und Grenzen, eine Komposition für Klavier instrumentiert zu denken? Nach welchen Gesichtspunkten ist es sinnvoll zu entscheiden, ob Musik auf dem Klavier die klangliche Vorstellung anderer Instrumente (oder z.B. bei Schubert auch des Gesangs) braucht, oder ob der Klavierklang für sich spricht? Und welche Rolle spielt dabei die Einstellung des Komponisten zum Klavier?

Und schließlich als großer Überblick zur Technik: Wo und wodurch verlaufen die Trennlinien verschiedener Traditionen des Klavierspiels? Was ist allgemeiner Konsens? Wo gibt es gelehrten Streit? Warum haben frühere Generationen trotz „Münze auf dem Handrücken“ hervorragende Pianistinnen und Pianisten hervorgebracht?

(Für Schülerinnen und Schüler, v.a. fortgeschrittene, finde ich auch noch die Frage interessant, welche Kriterien die Wahl eines sinnvollen Fingersatzes entscheiden.)
 
Interessant, eure Fragen. Es war keine einzige dabei, die ich erwartet hätte. Zu @Armel s Interesse hat Mick schon das Richtige gesagt - solche Themen stehen im Hintergrund des Unterrichts, quasi als Hintergrundwissen, Orientierung, Ideenquelle etc., aber für sowas braucht man nicht unbedingt einen Klavierprofessor.

@Demian Tempofrage? Instrumentierung sinnvoll? Singen? Fingersatz? Ja, das sind grundsätzlich sinnvolle Fragestellungen. Klavierschulen - das geht eher in Richtung Musikgeschichte, Musikpädagogik und Klavierdidaktik. Spielt im Hauptfachunterricht keine Rolle.

@Peter Kannst du dich präziser ausdrücken? Ich verstehe die Frage nicht. Welcher Aspekt genau?
 
Mich würde die Frage interessieren nach der Erlernbarkeit von verschiedenen Dingen, also z.B. individuelle Grenzen, Verschiebung/Akzeptanz solcher Grenzen? Ist alles erlernbar? Da dürfte deine Professorin ja auch aus einem sehr reichen Erfahrungsschatz schöpfen können.

lg marcus
 
Superschönes Thema @Stilblüte
Es war ja schon vieles dabei, was mich auch interessiert (schon das Lesen des Threads macht Lust auf das spätere Buch ... fast egal, was dann drinsteht).

Da ich viel improvisiere, und das auch die Grundlage meiner kompositorischen Tätigkeit bildet, interessieren mich natürlich Themen rund um die Improvisation. Wie lehrt man das ... und wie kann man es sich erleichtern, das zu lernen.
Ich bin über die Improvisation zum Klavier gekommen (vom Blatt geht garnicht, und die ersten 10 Jahre waren klassische Stücke selten flüssig). Also habe ich leider keine Ahnung, vor welchen Problemen ein Schüler steht, der schon länger Unterricht hat, bei dem Impro aber nie ein Thema war.
Ich habe viele solche Leute kennen gelernt (auch welche, die meinten, sie könnten das nicht mehr lernen ... es schließt also auch an die frage von @.marcus. an). Ich würde liebend gerne "gute Tipps" geben können, wie man den Weg zum freien Spiel finden könnte.

Mein Thema wäre also wohl. "Improvisation lernen und lehren".
 
@.marcus. Interessante Frage! Meine spontane Antwort: Ein wichtiger Teil der Grenzen besteht im Kopf. D.h. Ehrgeiz, Interesse, Mut, Engagement, Durchhaltevermögen, Kreativität - wenn es daran mangelt, helfen auch Engelszungen im Unterricht und beim Zeigen / Erklären nichts. Grenzen können teilweise durch physische Gegebenheiten bestehen (z.B. Handgröße), aber die sind relativ vernachlässigbar. Musikalisches Verständnis und Technik kann man gut vermitteln. Ob jeder alles lernen kann - ich weiß nicht, inwieweit die Frage sich beantworten lässt... Aber ich stelle sie gerne.

@DerOlf Das ist keine Frage für einen Klavierprofessor, da spielt Improvisation normalerweise im Unterricht (leider) keine Rolle. Aber ich habe Klavierimprovisation studiert und kann mal an anderer Stelle etwas dazu schreiben. Kurzversion: Improvisation ist genauso erlernbar wie alles andere auch. Und es braucht genauso Übezeit, Geduld und eine sinnvolle Anleitung, wie ein Instrument zu lernen.
 
Ein wichtiger Teil der Grenzen besteht im Kopf. D.h. Ehrgeiz, Interesse, Mut, Engagement, Durchhaltevermögen, Kreativität - wenn es daran mangelt, helfen auch Engelszungen im Unterricht und beim Zeigen / Erklären nichts.
Du hast zwei der wichtigsten Faktoren vergessen:

1) Intelligenz

2) Glaubenssätze (über sich selbst oder darüber, wie Musik sei oder zu erlernen sei)
 
@Peter Kannst du dich präziser ausdrücken? Ich verstehe die Frage nicht. Welcher Aspekt genau?

Nun, zum Unterricht gehören ja immer mindestens zwei: Lehrer und Schüler. Die Konstante ist hier der Lehrer, die Klavierprofessorin, deren Unterricht Du aus Schülersicht als herausragend beschreibst. Die Variable ist der Schüler. Sofort sind mir Fragen eingefallen wie:
- welche Art von Schülern erhalten überhaupt das Privileg solchen Unterrichts (Anfänger, Fortgeschrittene, Studenten, Altersgruppen, soziale Schichten, Bildungsstand...)
- inwieweit beeinflusst der Schüler die Methodik, oder auch
- haben sich im Laufe der vielen Jahre Unterrichtsmethoden der Professorin verallgemeinert oder im Gegenteil erweitert und noch mehr individualisiert
- liegt der Grund für erfolgreichen, herausragenden Unterricht eher am Empfänger oder am Sender
Davon ausgehend, dass in den vielen Jahren auch "schlechte" Schüler "erfolglosen" Unterricht genossen, die gleiche Frage:
- liegt der Grund für erfolglosen Unterricht eher am Empfänger oder am Sender
- was macht einen schlechten und was macht einen guten Schüler aus
- wo sieht, auch in diesem Zusammenhang, die Professorin ihre größten Fehler, die sie nicht noch mal machen würde
- wo hat die Professorin wenig Kompetenz, was und wen kann sie nicht unterrichten
- wo hat sie ihre Stärken, was und wen kann sie besonders gut unterrichten

Sowas alles wäre für mich ein spannendes Kapitel.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, ich hätte eine ganz ähnliche Frage:

Hatte sie schon schlechte Schüler (bzw. "untalentierte"), die sich dann aber irgendwann überraschend gut entwickelt haben oder gar Musiker wurden?

Und welchen Anteil daran schreibt sie eindeutig ihrem Unterricht zu? (Also was von den Dingen, die sie gemacht hat, hat ihrer Meinung nach den Wandel des Schülers "bewirkt"?)

Ich frage u.a. auch deshalb, weil es nicht wenige gerühmte KL / Professoren gibt, die ausschließlich ohnehin schon sehr "talentierte" und engagierte Schüler nehmen und es dadurch natürlich deutlich einfacher haben, als pädagogische Granaten dazustehen...
 
Hatte sie schon schlechte Schüler (bzw. "untalentierte"), die sich dann aber irgendwann überraschend gut entwickelt haben oder gar Musiker wurden?
Das weiß ich sogar: Kommt nicht ständig vor, aber kommt vor. Einer davon ist heute Klavierprofessor im europäischen Ausland und auch sonst sehr erfolgreich unterwegs. Ob man ihn nun als untalentiert bezeichnete, sei dahingestellt - jedenfalls war in keinster Weise abzusehen, dass er es zu solchem Erfolg bringen würde. Manchmal fällt der Groschen eben recht spät. Auf die anderen Fragen gehe ich gerne später noch ein und werde sie auch mit meiner Professorin besprechen - danke euch sehr, das ist wirklich spannend!

Habt ihr auch konkrete Fragen zum Klavierspielen ganz direkt? Zur Technik? Interpretation? Übeweise? Das war, was ich eigentlich gedacht hätte, dass euch interessiert. Aber umso besser, dass ich gefragt habe ;-)
 
Was mir noch einfällt: inwiefern entwickelt eigentlich jeder so seine "eigene Technik" (denn das hat ja schon Grenzen?). Also für mich ist das Interessante immer auf der einen Seite das Althergebrachte, die Tradition, die Technik und dann auf der anderen Seite der individuelle Schüler und wie der sich etwas aneignet (was ja auch Veränderung beinhalten kann), neu findet, übernimmt, kopiert, imitiert.

lg marcus
 
Eine Frage hätte ich noch: Wie bringt sie den Schülern Auswendigspielen bei? Gibt es da individuelle Ansätze je nach Schüler (und/oder Alter?) oder heisst es einfach 5000x spielen, bis es sitzt?
 
Welche Methoden gibt es, die Übezeit möglichst effizient zu gestalten, um sich so Werke relativ schnell zu erarbeiten?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin Fan vom Impressionismus und spiele einiges grade davon, mich würde daher interessieren, wie Sie den Einsatz vom Haltepedal oder una corda Pedal in impressionistischen Werken (wie Debussys "Images" oder Ravels "le tombeau de couperin oder Miroirs") steuern, um Klarheit zu erreichen, insbesondere in Räumen mit variierender Akustik?
 
Ich hätte noch eine Frage:
Wer wären denn die Adressaten?
Klavierlehrer, Pianisten, Musiker, Nichtmusiker, Erwachsene….

Das müsste sicherlich bedacht werden.
 

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