Ambros_Langleb
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Ich fand die Diskussion um das frühs recht erheiternd, bis ich auf Äußerungen der folgenden Art stieß:
Sie zeigt, wie sehr wir ein Leben lang Opfer des normativen Sprachunterrichts in der Schule bleiben und dazu neigen, sprachliche Äußerungen schematisch in »richtig« und »falsch« einzuteilen. Die Sprachwirklichkeit im deutschen Sprachraum ist aber eine andere als im französischen, wo die Akademie die alleinseligmachenden Lösungen vorgibt. Denn sie ist durch ein hohes Maß an Varietät gekennzeichnet, und der Duden täte gut daran, bei Bezeichnungen wie »landschaftlich« oder »regional« deutlicher klarzustellen als er es tut, dass damit nicht »Substandard«, also ein Verstoß gegen rezipierte standardsprachliche grammatische Konventionen, gemeint ist. Diese Varietäten kombinieren oft regionale und historische Charakteristika (die Linguisten nennen das diatopische und diachronische). So ist etwa der Abbau des Dativs im Schweizerdeutschen viel weiter fortgeschritten als hierzulande (Das Auto gehört mein Vater) und gleichzeitig ein Beleg für die Tatsache, dass die Fehler von gestern oft die Regeln von morgen sind.
Wenn also eine Sprechergemeinschaft die Form »frühs« verwendet, ist sie erst dann als »unvernünftiges« Muster zu kritisieren, wenn nachgewiesen ist, dass sie gegen die morphologischen und syntaktischen Möglichkeiten des Deutschen verstößt. Aber das tut sie nicht, sondern ist vielmehr vollkommen »systemkonform«:
In Sätzen wie
ist »frühs« temporales Adverbiale, d.h. eine semantische Modifikation von »klingelt«. Nun gehören zu den konventionellen Ausdrucksformaten des Adverbials im Deutschen (a) Adjektiv minus Kasusendung, (b) Präposition, (c) Kasus, z.B.
(a) Er kommt spät (vs. der spät-e Gast beim Adjektiv),
(b) er kommt in der Frühe,
(c) er arbeitet des Tags und schläft des Nachts.
»Des Tags« in (c) zeigt uns nun, wie aus der Kasuskonstruktion wiederum Adverbien abgeleitet werden: ich arbeite tag-s und schlafe nacht-s. Voraussetzung dafür ist, dass bereits die Kasuskonstruktionen als Adverb-Periphrasen begriffen werden können. Dass das so ist, zeigt uns »des Nachts« statt zu erwartendem »der Nacht«: das Genus wird irrelevant (Adverbien haben ja keines) und es wird eine einzige Kasusform, die maskuline, grammatikalisiert.
In diese Kategorie gehört unser »frühs«. Es ist eine Adverbialbildung des Typs (c) »nachts« und damit perfekt systemkonform. *)
*) Das ebenfalls oben angeführte sog. »Fugen-s« wie etwa in österr. »Zugskomposition« hat hiermit nichts zu tun. Hier ist die Komposition einfach konservativer als im »Reichsdeutschen« und erhält die Genitivmarkierung des Attributs (~ Komposition des Zug-s).
Ich sagte ja auch, dass ja sogar "frühs" in den Duden aufgenommen werden soll, bloß weil einige Leute es nicht schaffen vernünftig zu reden.
Sie zeigt, wie sehr wir ein Leben lang Opfer des normativen Sprachunterrichts in der Schule bleiben und dazu neigen, sprachliche Äußerungen schematisch in »richtig« und »falsch« einzuteilen. Die Sprachwirklichkeit im deutschen Sprachraum ist aber eine andere als im französischen, wo die Akademie die alleinseligmachenden Lösungen vorgibt. Denn sie ist durch ein hohes Maß an Varietät gekennzeichnet, und der Duden täte gut daran, bei Bezeichnungen wie »landschaftlich« oder »regional« deutlicher klarzustellen als er es tut, dass damit nicht »Substandard«, also ein Verstoß gegen rezipierte standardsprachliche grammatische Konventionen, gemeint ist. Diese Varietäten kombinieren oft regionale und historische Charakteristika (die Linguisten nennen das diatopische und diachronische). So ist etwa der Abbau des Dativs im Schweizerdeutschen viel weiter fortgeschritten als hierzulande (Das Auto gehört mein Vater) und gleichzeitig ein Beleg für die Tatsache, dass die Fehler von gestern oft die Regeln von morgen sind.
Wenn also eine Sprechergemeinschaft die Form »frühs« verwendet, ist sie erst dann als »unvernünftiges« Muster zu kritisieren, wenn nachgewiesen ist, dass sie gegen die morphologischen und syntaktischen Möglichkeiten des Deutschen verstößt. Aber das tut sie nicht, sondern ist vielmehr vollkommen »systemkonform«:
In Sätzen wie
und so klingelt mein Wecker weiterhin frühs
ist »frühs« temporales Adverbiale, d.h. eine semantische Modifikation von »klingelt«. Nun gehören zu den konventionellen Ausdrucksformaten des Adverbials im Deutschen (a) Adjektiv minus Kasusendung, (b) Präposition, (c) Kasus, z.B.
(a) Er kommt spät (vs. der spät-e Gast beim Adjektiv),
(b) er kommt in der Frühe,
(c) er arbeitet des Tags und schläft des Nachts.
»Des Tags« in (c) zeigt uns nun, wie aus der Kasuskonstruktion wiederum Adverbien abgeleitet werden: ich arbeite tag-s und schlafe nacht-s. Voraussetzung dafür ist, dass bereits die Kasuskonstruktionen als Adverb-Periphrasen begriffen werden können. Dass das so ist, zeigt uns »des Nachts« statt zu erwartendem »der Nacht«: das Genus wird irrelevant (Adverbien haben ja keines) und es wird eine einzige Kasusform, die maskuline, grammatikalisiert.
In diese Kategorie gehört unser »frühs«. Es ist eine Adverbialbildung des Typs (c) »nachts« und damit perfekt systemkonform. *)
*) Das ebenfalls oben angeführte sog. »Fugen-s« wie etwa in österr. »Zugskomposition« hat hiermit nichts zu tun. Hier ist die Komposition einfach konservativer als im »Reichsdeutschen« und erhält die Genitivmarkierung des Attributs (~ Komposition des Zug-s).
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