Das erste Mal ist es Kunst, folgende Male nicht. Interessante These. Holzschnittpuppen mit Fadenöse zu Weihnachten sind demnach auch keine Kunst mehr, selbst dann nicht, wenn sie handgemacht sind. Exakte Kopien und Plagiate sind – das kaufe ich ab – in der Tat keine Kunst, weil da niemand annähernd so viel Zeit investiert hat als für das Erstexemplar, den Prototypen aufgewandt wurde. Routine tötet Kunst, das könnte meine Message sein, verkürzt.
Einen Teil der Grundlagen, aus denen ein Kunstwerk hervorgegangen ist, muss gewöhnlich sein. Wie alle Kommunikation einen bekannten Teil und einen unbekannten Teil hat. Alte Information, neue Information. Bei zu viel neuer Information herrscht maximale Entropie, heißt, belanglose Beliebigkeit, dann ist nix mehr vom andern unterscheidbar.
Beide Teile sollten sich halt in einem Gleichgewicht befinden. Am Ende entscheidet neben Originalität auch die Ausführung, flankiert von den Risiken des Scheiterns, Versaubeutelns. Die eine Partei kann die andere dominieren, denn auch die Ausführung kann die neue Information auf sich konzentrieren. Die Appassionata zu interpretieren ist demnach weniger eine Kunst, wenn vom erfahrenen Musiker auf dem Klavier interpretiert, als wenn es einem afghanischen Hirten auf der Maultrommel gelingt. Pianisten werden das nicht zu schätzen wissen. Die interessiert mehr, ob bei Minute 12:34 der interpretierende Pianist den Mund wieder schließt, und welche originellen Auswirkungen das auf den Klang hat, während sie schon wissen, dass das auf der Maultrommel nix werden kann, und selbst wenn doch, dann war es trotzdem schlecht, ja, in des einen oder anderen Augen schon Blasphemie.
Und warum sollte Musik viel neue Information liefern, wenn der Begleitkontext schon so viel beisteuert? Das kann ein Film sein, oder das Kopfklima des Zuhörers – wenn das chaotisch ist, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ersies eher auf triviale Musik abfährt. Von daher kann ich nicht verstehen, warum bei "langweiliger" Musik die Nase gerümpft und die "Kunstmusik" zum allein seelig machenden heiligen Gral erhoben wird, denn das ist dann schon eine recht eingeschränkte, euromanische Sichtweise.
Dieses Zweiklassendenken in der Musik lässt mich daran denken, wie viel unsere Gesellschaft doch noch an die gute alte koloniale Zeit erinnert, die ihren faulen Odem ins Heute und Morgen perfümiert. Die Kunstmusik wurde vor allem für die satte Aristokratie geschrieben und aufgeführt, nicht für den Müller, der nach zehn Stunden Mahlen, Mehlsäcke schleppen und Mechanik in Schuss halten tot ins Bett fiel. Auch habe ich gelesen, dass der Jazz nicht von den Nachfahren der Sklaven stammt, sondern von Weißen, die sich von den Worksongs und C&Rs der Sklaven auf den Feldern haben inspirieren lassen. Seine Brutstätte waren die Military Bands.
Was ich damit sagen will: Die europäische Kunstmusik hat einen historischen Fußabdruck voll ethischer Fragwürdigkeit, die Verklärung ist somit eigentlich nicht rechtfertigt.
Gerade höre ich Beethovens Pathétique, worin das A-Thema des 3. Satzes mir am besten von allen Themen des Stückes gefällt. Danach höre ich wieder Glassworks. Mal hören ob es mich in dessen Einfachheit abstößt im Vergleich ... hm, doch etwas langweilig, aber wisst ihr was? Ich bin gerade selbst etwas gelangweilt. Vielleicht sollte ich mir eine andere Beschäftigung suchen, davon, auf clavio.de abzuhängen, wird meine kleine Welt auch nicht besser.