Legato als Default-Spielweise ?
Also ich nehme aus der Diskussion über den Legato-Begriff für mich mit, dass der Begriff in verschiedener Bedeutung beim Klavierspiel auftaucht - zum einen als Kennzeichnung einer Artikulationsweise (auch beim Klavier!), so wie Staccato, Portato usw.
Und zum anderen als Versuch, eine sangliche Linie auf dem Klavier hinzubekommen, so dass die einzelnen Noten ineinander übergehen, in möglichst sanglicher Weise (mein Mißverständnis ist offensichtlich, dass ich das bisher unter dem Begriff "cantabile" aufgefasst habe, oder Phrasen durch Melodiebögen gekennzeichnet und nicht unter dem Begriff legato, daher meine Konfussion).
reduziert man freilich alles auf grundlegenden motorische Muster, so kann folgender Satz als beste Basis verstanden werden:
"legato ist eine Bewegung in die Tasten, staccato ist eine Bewegung weg von den Tasten" - Prof. Vitaly Margulis, Aphorismen zum Klavierspiel
Das erinnert mich an eine schöne Analogie, die mir meine Klavierlehrerin als Kind gesagt hatte: bei Legato sind die Tasten klebrig, so dass die Finger dran hängen bleiben. Bei Staccato sind die Tasten heiß wie eine Herdplatte.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass man sowohl legato als auch non-legato oder sogar staccato, einen Melodiebogen spielen kann, also cantabile spielen kann. Eben durch die Stilmittel dynamischer Gestaltung und/oder Rubato. Von daher sehe ich sangliche Spielweise unabhängig von der Artikulationsweise beim Klavier.
Da Legato sozusagen die Default-Spielweise ist, hätte er manch endlosen Legato-Bogen nicht hinschreiben brauchen, es sei denn, er glaubte sein Leben lang, daß er malt und nicht komponiert.
Tja, es scheint eine Sitte (oder Unsitte?) zu sein, dass Legato heutzutage die Default-Spielweise ist, egal was man spielt.
Zu Zeiten des Barock und mglw. auch noch der Klassik war non-legato die Default-Spielweise (also auch noch bei Mozart- es gibt Zeitzeugenaussagen dazu bzgl. Mozarts Spielweise!). Und eine Tendenz ist zu erkennen, dass manche Leute auch heute wieder Bach eher non-legato als default spielen, wie er es offenbar auch tat, gewichtet nach Notenlängen und schweren Taktzeiten. Finde ich schön, weil dadurch der frische barocke Drive und Schwung besser zum Vorschein kommt, als durch ständiges Dauerlegato.
Mglw. war zu Chopin's Zeiten Legato auch noch nicht überall als Default-Spielweise etabliert, so lange lag die Klassikzeit schließlich noch nicht zurück bei ihm? Vielleicht eben deshalb die vielen Legato-Spielanweisungen, weil non-legato noch nicht so lange vor ihm Usus war?
Nur mal so als Frage oder Hypothese in den Raum...
Hier übrigens ein Link zu einer (wie ich finde interessanten) Abhandlung über die historische Entwicklung des Legatos, passt auch in den Kontext zur Entwicklung bis zu Chopin's Zeiten:
historische Entwicklung des Legatos