Noten sind in erster Linie dazu da, gelesen zu werden, das Spielen ist je nach Schwierigkeitsgrad und Affiniät dann doch eher zweitrangig. Ich hatte das Glück, von den Eltern regelmäßig nach deren DDR-Besuchen stapelweise Noten zu bekommen - und zwar durchaus viele Sachen, die ich nie spielen werde, will oder kann. Aber so habe ich die Klavierliteratur kennengelernt, auch die etwas abseitigere wie Skrjabin. Ohne diese Notengeschenke wäre ich kaum zum Skrjabinisten geworden.
Nebenbei ist Notenlesen beim Hören von Aufnahmen enorm instruktiv. Zudem ist es eine große Hilfe beim Vomblattspielen, wenn man regelmäßig neue Stücke sieht und gleichzeitig hört. Man muß sich heute auch keine Riesenstapel mehr kaufen, praktisch die gesamte Klavierliteratur ist heute online als PDF erhältlich und läßt sich zum Beispiel ganz gut mit einem größeren Tablet lesen. Zum Kennenlernen und dafür, eine Entscheidung zu treffen, ob man ein Stück spielen möchte, ist es allemal gut genug.
Zu Op. 54: Eine meiner liebsten Sonaten - und gleichzeitig eine der vertracktesten. Beim ersten Satz sind weniger die Oktaven das Problem, sondern eher die nachfolgenden Sexten-Sequenzen, die nicht wirklich angenehm liegen. Und die 32stel Umspielungen vor der Coda wirklich schön zu spielen, mit gleichmäßigem Anschlag, den dynamischen Anweisungen folgend und dabei noch in der linken Hand eine schöne Linie zu singen - heikel, aber herrlich.
Das Finale ähnelt ein wenig dem von Op. 26, aber in der F-Dur Sonate ist die Toccata konsequent in 16tel durchkomponiert, mal als gebrochener Akkord, mal als absteigende Linie, mal als abwechselnd rechts/links. Technisch schwer sind durchaus jene Passagen, in denen rechte und linke Hand die gleiche Bewegung machen, also nicht gespiegelt. Das klappert sehr gern auseinander und hört sich dann wirklich nicht schön an. Differenzierte Dynamik in manchen Passagen zu spielen, hat es auch in sich, zum Beispiel in dem As-Dur Mitelteil, wo die linke Hand sanft eine Melodie gegenüber den perlenden 16tel der rechten Hand spielt, alles mit Binnendynamik, die der Hörer braucht, weil es sonst langweilig klingt.
Dennoch, mit dem, was Du bisher gespielt hast, sollte das eine machbare und dankbare Aufgabe sein.
Es gibt übrigens eine herrliche Live-Aufnahme von der BBC mit Wilhelm Kempff, die mich bei jedem Hören tief berührt. Anti-virtuos - und dabei gleichzeitig von atemberaubend sicherer Technik, die die Schönheit der Sonate noch mehr zum Klingen bringt.
Viel Spaß!