Guten Abend,
ich habe mir gerade den Faden durchgelesen. Als Historiker, der auch viel im Bereich der historisch-politischen Bildung und hier speziell im Bereich Nationalsozialismus arbeitet, hätte ich zu vielen Posts etwas zu sagen, halte dies aber im Rahmen der bereits erstellten Beiträge für etwas zu aufwändig und zudem den anonymen Rahmen eines Forums aus verschiedenen Gründen dafür nicht angemessen. Interessant ist allerdings, dass die Argumentstrukturen auch hier in diesem Forum mit meinen bisherigen Diskussionserfahrungen mit Lehrgangsteilnehmern usw. einhergeht, prägnante Positionen wie etwa die strikte Ablehnung von allem was mit dem NS in mehr oder weniger enger Verbindung stand, die Aussage von der "Siegergeschichte" wie auch solche die in die Richtung "ich höre lieber meinem Opa zu" oder "wir hätten damals wahrscheinlich damals auch mitgemacht" sind durchaus typisch und werden sehr häufig vorgebracht. Ich möchte einzelne Aussagen hier auch nicht bewerten, bekräftigen oder verurteilen, sondern stattdessen einige Punkte anmerken:
- Konkret zu Bechstein: dass Helene Bechstein eine bekennende ******-Unterstützerin in den frühen Jahren der sog. "Bewegung" war ist historisch zweifelsfrei nachgewiesen. Sie sprang vor 1933 mehrmals mit größeren Geldsummen ein, um u. a. den Wahlkampf Hitlers und der NSDAP zu finanzieren, welche zu diesem Zeitpunkt notorisch pleite war.
- Ich halte es für angebracht, die Bechsteininstrumente jedoch strikt von der Weltanschauung der Firmenleitung zu trennen, ein Produkt ist schließlich ein "dummes" Ding, welches nichts dafür kann wenn es zu Propaganda- oder Kriegszwecken vereinnahmt wird. Wäre dementsprechend streng vorgegangen worden, hätte man nach dem Ende des NS etwa niemals mehr einen VW Käfer ("KdF-Wagen") bauen dürfen, niemand mehr Klamotten von Boss tragen dürfen, die Autobahn nicht mehr Autobahn heißen dürfen usw. Beispiele könnte ich hier Hunderte erbringen. Wichtig ist lediglich immer, dass ich um den historischen Kontext bzw. auf diesen aufmerksam mache nicht schön rede oder verheimliche, was Bechstein leider auf seiner Website für die Zeit des NS leider tut. Ein wenigstens kurzer Hinweis auf die Verstrickungen der Firmenleitung wäre hier zumindest angebracht und würde die Glaubwürdigkeit des Unternehmens erhöhen und nicht beschädigen, denn es ist unbestritten, dass niemand der in der der Zeit des NS noch nicht geboren oder noch zu jung war auch nur irgendetwas für den Krieg oder die Verbrechen konnte. Dass wir heute aber immer noch eine gewisse Verantwortung der Nachwelt besonders bezüglich dem Wachhalten der Erinnerung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Geschehenen haben darf nicht bestritten werden.
- Ich kenne mich zwar in der Geschichte des deutschen Klavierbaus in der Zeit des NS nicht genau aus, aber ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass nicht nur das Unternehmen Bechstein bzw. dessen Firmenleitung in den NS verstrickt waren und diesen unterstützen. Bei Grotrian-Steinweg wurden z. B. Teile für Flugzeugmotoren gefertigt und sicherlich produzierten auch alle anderen deutschen Klavierbauer teile für die Rüstungsindstrie und unterstützen damit den Krieg. Ob die Firmenleitungen zur Produktion solcher Produkte gezwungen wurden oder sich freiwillig zur Verfügung stellten müsste im Einzelfall erforscht werden, aus meiner Erfahrung heraus war aber der Wille zur Kooperation weitaus häufiger anzutreffen als die staatlich erzwungene Herbeiführung solcher Maßnahmen, auch wenn man davon später freilich nichts mehr wissen wollte.
Unabhängig von diesem Faden empfehle ich allen Interessierten bezüglich der hier angeklungenen Problematiken die Lektüre der hinreichend bekannten "Lingua Tertii Imperii, Notizbuch eines Philologen", in welcher der jüdische Philologe Victor Klemperer die Sprache des NS analysierte und dabei auch teils heitere Einblicke in die Gegebenheiten der Zeit gibt. Erst danach wird einem deutlich, wie sehr der NS in alle Bereiche des Lebens eingedrungen war, v. a. auch in die Sprache, Schrifttypen und viele Begriffe, die wir heute noch selbstverständlich verwenden. Dass der NS aber bis in Musikinstrumente (die Berufsmusiker aber durchaus) vorgedrungen sei und deshalb Negativassoziationen entstehen sollten, halte ich für reichlich übertrieben, ich setze mich ja auch nicht in meinen Ford und denke mir jeden Tag "mein Gott, der Gründer dieser Firma war aber ein böser Antisemit und Hitlerförderer" was aber auf Henry Ford wirklich zutrifft...
Gruß
Ka8