10 000 Stunden; die Expertise Theorie

Eines verstehe ich an der ganzen Intelligenzdiskussion und Begabungdiskussion hier nicht: Erstens bedeutet eine Begabung ja nicht, dasz man auch wirklich gut in einer Sache wird, dazu ist ueben noetig. Der Begabte wird es in kuerzerer Zeit weiter bringen. Aber inwiefern bringt uns diese Trivialerkenntnis weiter? Diese Tatsache sagt noch nicht einmal etwas darueber aus, ob man spaeter etwa auf dem Gebiet auch tatsaechlich seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Ich kenne Hochbegabte, bei denen das nicht gut funktioniert, andererseits nicht Hochbegabte, bei denen es ganz gut funktioniert.
Mir fallen sogar ein paar sehr, sehr hochbegabte Pianisten ein, die gar nicht (mehr) so beruehmt sind.
Letztlich bringt einem also die Erkenntnis, auf einem Gebiet besonders begabt zu sein, eigentlich gar nicht weiter. Ich koennte mir sogar vorstellen, dasz ein solches "Begabungsverdikt" Leute ins Unglueck stuerzt. Womoeglich machen sie dann etwas, wofuer sie eigentlich gar keine Lust haben, nur weil sie dafuer "begabt" sind und werden furchtbar ungluecklich damit.
Auszerdem kenne ich auch Faelle, in denen wirklich begabte Kinder auf ganzer Linie scheitern, weil ihnen gesagt wurde, dasz sie sehr intelligent sind (wurde durch IQ-Test festgestellt).
Deswegen stehe ich der ganzen Begabungs-/Intelligenzfrage sehr skeptisch gegenueber. Fuer Wissenschaftler mag das interessant sein, fuer die Betroffenen bzw. rein praktisch ist es nicht bedeutend.
Viel nuetzlicher mag da eine Berufsberatung sein, welche alle Aspekte mit einschlieszt, oder eine Art "Persoenlichkeitsanalyse" zur Berufsberatung.
 
Es wird mir niemand erzählen, dass man in der Musik ohne ein überdurchschnittliches Arbeitsgedächtnis sehr weit kommt.
Das ist sicher richtig.

Besonders interessant ist dieser Fall eines von Geburt an blinden Autisten namens Rex Lewis-Clack, der sich sofort alles(!) einprägt und es umgehend nachspielen will und vor allem kann. Er hatte schon als kleines Kind (2 Jahre alt) ein Klavier, und hat sich alles selbst beigebracht. Ein Musikgenie. Inzwischen hat er Unterricht.

Das ist nicht primavista, sondern einmal gehört und abgespeichert, wo auch immer.
Hier kommt Begeisterung, Begabung und ein geniales Musikgedächtnis zusammen.


View: https://www.youtube.com/watch?v=NaHlPrKXNiI



View: https://www.youtube.com/watch?v=WTqVanXWylM
 
Das ist sicher richtig.

Besonders interessant ist dieser Fall eines von Geburt an blinden Autisten namens Rex Lewis-Clack, der sich sofort alles(!) einprägt und es umgehend nachspielen will und vor allem kann. Er hatte schon als kleines Kind (2 Jahre alt) ein Klavier, und hat sich alles selbst beigebracht. Ein Musikgenie. Inzwischen hat er Unterricht.

Das ist nicht primavista, sondern einmal gehört und abgespeichert, wo auch immer.
Hier kommt Begeisterung, Begabung und ein geniales Musikgedächtnis zusammen.


View: https://www.youtube.com/watch?v=NaHlPrKXNiI



View: https://www.youtube.com/watch?v=WTqVanXWylM


Hmm, ja, er ist ein Phaenomen, aber mir gefaellt der letzte Satz aus der Mondscheinsonate trotzdem nicht...
 
Das ist nicht primavista, sondern einmal gehört und abgespeichert, wo auch immer.
...davon träumen viele: einmal hören und dann gleich spielen können...
Ich habe Zweifel daran, dass das den autistischen Savants derart gelingt, wie es dargestellt wird: die Mondscheinsonate dauert ca 20min - einmal hören und dann gleich abspielen können sind 40min. Das ist wenig am Tag, der hat gut 16 h Zeit zum hören und abspielen: da müsste beim autistischen Genie mehr drin sein - und das jeden Tag...
Mag sein, dass die Aufnahmetechnik Mängel hat, aber auch ohne diese klingt die vorgeführte Mondscheinsonate derb, undifferenziert und - Pardon - ziemlich scheußlich. Nimmt das vermeintliche Genie keine Klanggestaltung wahr?

Der - bedauerlicherweise öffentlich als Sensation zur Schau gestellte - Jüngling betreibt das Klavier spielen schon länger (Film) und es wirkt beschämend peinlich, wie er vorgeführt wird. Wie bei allen derartigen "Vorführungen" wird weder tatsächlich virtuose Literatur gebracht*) noch wird dargelegt, dass das eingeschränkte "Genie" die meiste Zeit am Klavier verbringt...

Verblüffende Leistungen wie unten in der Fußnote wären ein Anlaß, über motorische Begabung neu zu räsonieren - aber die gibt es bislang nicht.

__________
*) ein Savant, gerne autistisch, blind, sprachlich extrem reduziert und sonstwie zusätzlich eingeschränkt, der schwups die Hammerklaviersonate und Gaspard mit sinnvollem Klang hinlegt, nachdem er das gehört hat, wäre ein Wunder. Dieses Wunder fand aber noch nicht statt!
 
Eine Diskussion ist umso heißer, je unfruchtbarer sie ist, weil man mangels valider Definition nicht weiß, worüber genau man redet.

Beispiel IQ-Test. Ein IQ-Test misst:
Getestet werden: Sprachverständnis, Zahlenverständnis, räumliches Denken, logisches Denken und ….. Arbeitsgedächtnis (früher nannte man das Kurzzeitgedächtnis).
[...]
Logisches Denken wird z.B. anhand von Symbolen, Symbolfolgen getestet

Implizit auch Konzentrationsfähigkeit und eine gewisse Stressresilienz (so ein Test ist ja nicht in 10 Minuten abgefrühstückt wie die Spaßtests im Internet).

Verblüffenderweise sind all die abgetesteten Parameter "nur" Fertigkeiten, die man durchaus trainieren kann. Also werden die Menschen seit Anfang des 20. Jh. nicht "intelligenter", sondern nur geübter im Umgang mit den Anforderungen.

Die einzige greifbare Definition von "Intelligenz" ist das Ergebnis eines IQ-Tests. Dass man sich seit Jahrtausenden darüber den Kopf zerbricht, warum zur Hölle die Individuen so unterschiedlich performen, aber trotzdem keine umfassende Definition gefunden hat, ist bezeichnend: Es scheint nicht möglich zu sein, das zu definieren, was man mit "Intelligenz" bezeichnet, denn es ist grundsätzlich umfassend und zumindest vom Anspruch her bedeutend mehr als die im IQ-Test getesteten Fertigkeiten.

Das soll keine Abwertung von diesen Tests sein, im Gegenteil! Aber ihre Aussagekraft ist beschränkt darauf, was abgefragt wird. Sinnvoll im Bereich der Intelligenzgeminderten, um zu schauen, in welchem Bereich man bei der Förderung ansetzen sollte.


Entscheidend fuer einen Lernerfolg ist aber nicht nur eine "gewisse Intelligenz", sondern die Freude am Lernen, das Interesse.

... und Beharrlichkeit, Leistungsbereitschaft (!) und alles mögliche sonst, was auch unter dem Oberbegriff


fällt und trotzdem nicht zu "fassen" ist, nicht mit Tests, nicht mit Langzeitstudien, und über die wichtigen Umwelteinflüsse (kultureller Hintergrund, Wertegerüst, Selbstkonzept, familiäre Situation, zufällige Erlebnisse) kann man überhaupt nichts aussagen, weil man die Studienteilnehmer nicht Jahrzehntelang unter Laborbedingungen (exakt vergleichbaren Einflussfaktoren) halten kann.


*** Kann man kognitive Leistungsfähigkeit überhaupt ohne Leistungsbereitschaft denken? Welche Rolle spielt der WILLE, die Resilienz gegen Widrigkeiten undundund.


So spannend alle Forschungen im Bereich "Nosce te ipsum" sind ... was bringt es?

Was bringt es dem Klavierschüler zu wissen, dass er die volle Punktzahl im Bereich "räumliches Denken" hat? Der muss trotzdem üben, die Tasten zu treffen. :012: Vielleicht hat er ne super Raumvorstellung, aber ein defizitäres Arbeitsgedächtnis. Vielleicht hat er auch ein üppiges Arbeitsgedächtnis und einen 140er-IQ, aber trotzdem keine Beharrlichkeit beim Lernen/Üben.
 
Zugegeben, auch wenn ich sie für praktisch-sinnlos halte – spannend sind solche Experimente schon. :super:

Brisant würde die Frage nach Expertise vs. Begabung dann, wenn ein Proband ohne oder mit ganz geringen Vorkenntnissen binnen kürzester Zeit tatsächlich besser Klavier spielen könnte als der (qualifiziert geübt habende) 10.000-Stunden Proband. :021: Von den beiden bitte mal den IQ abtesten. Privatmeinung à part: Ich halte das für extrem unwahrscheinlich.

Oder umgekehrt: Man nehme ca. 60 körperlich gesunde und mit vergleichbarer Anatomie ausgestattete in etwa gleich alte 120er-IQs. Maßvoll überdurchschnittlich also. Alle haben keine Ahnung von Harmonielehre und noch nie irgendein Instrument gespielt. Alle nehmen bei der gleichen Lehrkraft und unter möglichst identischen Übebedingungen ein Jahr lang Klavierunterricht. Das Ergebnis wird heimlich dokumentiert, um alle Fremdeinflüsse auszuschließen. Viel Freude beim Einwerben der Drittmittel für diesen Versuchsaufbau. :lol:
 
Man müsste noch weiter gehen und auch die sonstige musikalische Bildung von früher abfragen, außerdem dafür sorgen, dass alle ein gleichwertiges Instrument zum Üben haben.
 
Ich bin ganz happy mit mir, wie weit ich nun nach exakt 1 Jahr Klavierspiel gekommen bin. Das hätte ich im Dez 2017 nicht so gedacht. Natürlich bin ich immer noch unzufrieden mit meiner Spielqualität aber diese Unzufriedenheit treibt mich weiter.:blöd:
 
Wie seht ihr bei der Entwicklung das Thema "Öffentliches Vorspielen"? Bringt das einen Kickstart?
 
Zuletzt bearbeitet:

Die einzige greifbare Definition von "Intelligenz" ist das Ergebnis eines IQ-Tests. Dass man sich seit Jahrtausenden darüber den Kopf zerbricht, warum zur Hölle die Individuen so unterschiedlich performen, aber trotzdem keine umfassende Definition gefunden hat, ist bezeichnend: Es scheint nicht möglich zu sein, das zu definieren, was man mit "Intelligenz" bezeichnet, denn es ist grundsätzlich umfassend und zumindest vom Anspruch her bedeutend mehr als die im IQ-Test getesteten Fertigkeiten.
An eine kulturunabhängige dem Individuum sozusagen als Attribut lebenslänglich anhängende 'Intelligenz', wie auch immer getestet, kann ich beim besten Willen nicht glauben.
Dass es ein bislang nicht hinreichend erforschtes Verhältnis von angeborenen Anlagen und durch die Umwelt bedingten Ausprägungen derselben gibt wird banalerweise niemand bestreiten wollen!
Mangels wirklich überprüfbarer Fakten bleibt die Diskussion am Ende immer auf Meinungen und Ansichten beschränkt.
Um aufs Klavierspiel zurück zu kommen, es ist für jeden, der ein paar Jahre unterrichtet offensichtlich, dass es bei gleichem Zeitaufwand bei verschiedenen Schülern zu sehr verschiedenen Ergebnissen kommt. Und wie nennen wir dieses Phänomen? Musikalische Intelligenz, pianistische Dextrität, Begabung, ...
ist doch letztlich egal, jeder muss mit seiner .... leben!
 
...schneeschippen ist eine Aufgabe, die nahezu jeder ohne langjährigen Lernaufwand bewältigen kann. Quantenphysik, Atomkraftwerke bauen, Herzen verpflanzen, Hammerklaviersonaten spielen schafft nicht jeder (und die es hinkriegen, schaffen es nicht ohne langjährigen Lernaufwand)
Das dürfte jedem als Faktum, als "Jepp, so isses" einleuchten.

Jetzt stellt sich die Frage, wie man denkerisch mit diesem Faktum umgeht...
...en Mode ist das quantitative einordnen: je komplexer die Tätigkeit, umso langwieriger ist der Lernprozess. Klingt logisch. Aus diesem denken folgt die Hoffnung, dass jeder, der den langwierigen Lernprozess durchhält, am Ende die Leistung zu erbringen fähig ist...

Daran kann man glauben, das ist nicht verboten. Die Konsequenz daraus ist: wer es nicht schafft, der hat nicht genug getan.

Diese banal quantitative Denkweise will ich nicht bewerten. Wer so denkt, dem kann man nur raten: frisch voran, viel hilft viel, immer vorwärts - und wenn's nicht klappt, dann weiß man ja, warum...
 
Johann Sebastian Bach:
"Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können"
hat er angeblich laut seinem Biographen Forkel gesagt. Bach war religioes, deswegen sage ich jetzt:
Wer das glaubt wird selig, aber wer es nicht glaubt, kommt auch nicht gleich in die Hoelle.
Deswegen: Sich auf seiner Begabung auszuruhen hat noch nie jemandem etwas gebracht, auch wenn man nicht in die Hoelle kommt. Man zieht die Motivation aber aus Erfolgen und der damit verbundenen Arbeit und kommt damit in den musikalischen Himmel, nicht aus dem Bewusztsein einer abstrakt bestehenden Begabung.
 
Also ich kann dazu sagen: Es tauchen bei mir jedes Jahr Dinge, Ideen, Fähigkeiten und Ebenen des Verstehens auf, die ich vorher nicht kannte und nicht für möglich gehalten hätte. Woher kommen die? Keine Ahnung. Vom Üben, Arbeiten, Unterricht haben, Nachdenken, Älterwerden, aus dem unerschöpflichen Topf der Begabung?
Vielleicht alles ein bisschen?
 
Tja, dass Du Wissenschaft nur dann akzeptierst, wenn sie Deine Vorurteile bestätigt, ist ja aus Deinen Forumsbeiträgen schon lange klar.

Nur weil etwas formal den üblichen "wissenschaftlichen" Methoden und Prozessen folgt, ist es noch längst keine Wissenschaft.

"Diese Studien zeigen dies, jene Studien zeigen das und die neueste Metastudie zeigt nun blahhh"

...und wenn man in die Studien reinschaut, dann sieht man schnell, die Studien zeigen genau das, was derjenige sich jeweils vorher vorgenommen hatte zu zeigen (oder sein Geldgeber).

...auf Grundlage von genau so vielen (bzw. wenigen) Daten, bis das Geld alle war - meistens recht schnell - also macht man lieber gleich eine Studie über Studien (Metastudie), das kostet weniger.

Ein Deckmäntelchen von wissenschaftlicher Forschung, sauber wissenschaftlich niedergeschrieben und sich untereinander fein wissenschaftlich zitiert. Gern behauptet man dann noch als Presse-Teaser: "das Ergebnis war überraschend und hatte man vorher so nicht erwartet" *unwissenschaftliches Augen-roll*

Sorry, dieses Soziologen- und Pädagogen-Wissenschaftstheater kann man zu großen Teilen (es gibt Ausnahmen) nicht ernst nehmen.


Keiner wundert sich - dass wegen physischer Varianz nicht alle Menschen so schnell wie Ursian Bolt werden können, egal wie man sich abstrampelt - aber wehe man zweifelt an der These, man müsse nur fleißig genug sein und die Lehrer nur gut genug - dann haben alle das Zeug zum nächsten Albert Einstein. Denn dem "Experten" schwant sofort: Biologismus-Gefahr.

Prinzipiell gebe ich manchen Zwischentönen des Autos in deinem Artikel recht - die Nachricht "so ist das halt, lebe damit - ist gottgegeben" ist ggf. für eine gute Pädagogik fatal, wenn die Leute schulterzuckend die Flinte ins Korn werfen. Ich glaube schon, dass gute Pädagogik immens viel bringt und das nur eine lahme Ausrede wäre.

Aber dann mit solch einer These durchs Land zu streifen, schadet dem Zweck mehr als es nutzt. Menschen sind verschieden, physische Grundlagen, Neigungen, Talente und Intelligenz (letztlich eine Art universeller, besonders nützlich empfundener Talentmix, auf den man sich geeinigt hat) sind zu großen Teilen erblich - nicht im Sinne von "Wie der Vater, so der Sohn", sondern "der große Gen-Würfel". Ohne Fleiß gehts mit guten Genen dann auch nicht automatisch an die Spitze - und umgekehrt, ohne die perfekten Gene kann man mit Fleiß was Gutes erreichen.
 
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Sorry, dieses Soziologen- und Pädagogen-Wissenschaftstheater kann man zu großen Teilen (es gibt Ausnahmen) nicht ernst nehmen.
Leider hast du Recht und es macht mich nachdenklich, dass diese Unwissenschaftlichkeit in der Wissenschaft sich auch langsam in den Naturwissenschaften ausbreitet. Auch da heißt es inzwischen häufig genug "ohne Gelder aus der Industrie kein Forschungsauftrag" und schon bestimmen Industrieverbände, in welche Richtung die Forschung zu gehen hat.
Menschen sind verschieden, physische Grundlagen, Neigungen, Talente und Intelligenz (letztlich eine Art universeller, besonders nützlich empfundener Talentmix, auf den man sich geeinigt hat) sind zu großen Teilen erblich - nicht im Sinne von "Wie der Vater, so der Sohn", sondern "der große Gen-Würfel". Ohne Fleiß gehts mit guten Genen dann auch nicht automatisch an die Spitze - und umgekehrt, ohne die perfekten Gene kann man mit Fleiß was Gutes erreichen.
Das wird wohl niemand ernsthaft bestreiten wollen.
 
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