Beethoven Op111

Es ist der erste Beitrag den ich überhaupt nachvollziehen kann. :-) Bisher waren viele Worte für einen Laien wie mich einfach unverständlich.
 
Es ist der erste Beitrag den ich überhaupt nachvollziehen kann. :-) Bisher waren viele Worte für einen Laien wie mich einfach unverständlich.

Peter, ich bin ja der totale Theorie-Depp und musste z.B. auch einige Begriffe nachschlagen, aber was mir vor allen Dingen geholfen hat, die Ausführungen nachvollziehen zu können, war das Schauen in den Notentext. Da wurde es wesentlich klarer und verständlicher, die "Mühe" hat sich gelohnt. Ich werde keinen der beiden Sätze von op. 111 je auch nur ansatzweise adäquat spielen können. Es ist aber total spannend und lehrreich, wenn Profis sich auf diesem Niveau austauschen und uns dankenswerterweise an ihren Gedanken teilhaben lassen:super:. Den Beitrag von DonBos muss ich erst mal sacken lassen:puh:;-).
 
Aufgrund von Rolfs interessanten Ausführungen zur metrischen Struktur des 2. Satzes und unterschiedlicher möglicher Tempoaufassungen bin ich neugierig geworden und habe nachgemessen wie einige namenhafte Interpreten spielen. Die erwähnten Margulis und Kempf sowie meine persönlichen Favoriten Solomon und Gulda und ein paar willkürlich gewählte andere sind dabei.
op111.jpg
Bei Solomon tritt die Auffassung: Notenwert=Notenwert deutlich zu Tage. Er spielt den ganzen Satz in rel. konstantem Grundtempo. In den so aufgefassten um je ein Drittel kürzeren Variationen 2 und 3 spielt er folglich die Taktdrittel 50% schneller als in Variation 1 und in Variation 3 entfaltet sich krass Dynamik (!).
Auch Michelangeli spielt den ganzen Satz mit geringen Tempoänderungen und zwar Taktdrittel=Taktdrittel. Dadurch geraten Var. 2 und 3 bei ihm spürbar langsamer als bei Solomon, obwohl er in der Arietta und den anderen Variationen schneller als jener ist.
Auffällig bei der Mehrzahl der Beispiele finde ich noch das geringe von 60 weit entfernte Tempo in der Arietta, die häufigen Temposteigerungen in Var. 1 und 2 (nur Margulis wird langsamer) sowie die von Rolf erwähnte Temporücknahme in Var. 3.
Aber wie gesagt, ist das nur eine zufällige kleinere Auswahl.
 
@kitium erst mal DANKE!! für deine ausführlichen und wohldurchdachten Ausführungen (auch wenn sie ein wenig "mensurnotationslastig" sind...;-)...) - missversteh mich nicht: mir leuchtet ein, was du schreibst - aber wir wissen beide, dass es sich bei deinen (wie auch bei meinen) Überlegungen nicht um eindeutige Beweise, sondern lediglich um argumentative Indizien handelt. Bon, das müssen wir nicht weitschweifig ausufern lassen, denn die Argumente sind mehr oder weniger vollständig aufgereiht.

Ebenfalls!

also hierbei muss ich dir ein wenig widersprechen! Aber das weniger aus rechnerisch-rhythmischen Gründen, als aus spielpraktischen Gründen: den Taktwechsel von 9/16 zu 6/16 exakt mit der Vorgabe Takt=Takt zu realisieren, ist alles andere als einfach... Und insgesamt ist die rhythmische Progression im Variationensatz durchaus staunenswert (dergleichen findet man nicht alle Nase lang in der Klaviermusik) --- aus schnöde praktischer Sicht (also das Zeugs zu spielen) empfiehlt es sich, eben nicht in 9/16 oder 6/16 oder 12/32 zu denken, sondern stur in 3/8 (!!) zu denken [also als rhythmische Orientierung, als Puls, das Taktdrittel zu nehmen] und sich dabei einhämmern, dass allerlei verschiedenes innerhalb von einem Taktdrittel erforderlich sein kann.

Damit könnten wir peu a peu zu den spielpraktischen Problemen kommen - hast du Interesse, diese detailliert anzuschauen und beizutragen? Das würde mich freuen!

Ich muss dich leider enttäuschen, denn ich kenne mich bei solchen Sachen nicht gut aus. Vielleicht kann ich trotzdem einpaar Einzelratschläge mitteilen.

Wer es schwierig findet, "stur in 3/8 zu denken", der denke lieber beim ersten Wechsel an durchgehende 32tel, und beim zweiten in 6 Schlägen pro Takt (i.e. was für uns punktierte 16tel sind).

Ich fang mal an:
Der 1.Satz ist "schwierig" im herkömmlichen Sinn: wenn man das Finale der Appassionata oder Chopins op.10 Nr.4*) noch nicht beherrscht, wird man im Kopfsatz technisch scheitern. Damit ist ganz grob und ungefähr das technische Niveau umrissen. Aber leider gilt das nur für ca 95% des Kopfsatzes: darüber hinaus gibt es ~ 5% Notentext, dessen Schwierigkeitsgrad deutlich darüber hinaus geht (das ist gelegentlich das praktisch ärgerliche an den späten Beethovensonaten, dass sie Momente enthalten, die katastrophal schwierig zu spielen sind und obendrein gar nicht mal als herausragende Effekte eingesetzt sind - dem fiesen Beethoven war schnurzegal, ob es nur schwer oder ob es fürchterlich sauschwer ist: "wer´s nicht greifen kann, soll´s bleiben lassen")
Also kurzum op.57 Finale und ähnliches sollte man drauf haben, wenn man den 1.Satz gerne spielen können möchte.
Wählt man hier Viertel = 120-126 dann ist das alles noch (vorausgesetzt man kann die Etüde und das Appassionatafinale) ganz passabel, steigert man das bis 144 oder darüber hinaus, ja dann wird´s ganz verflucht schwierig...

Meine persönliche Meinung: die Musik von Beethoven ist noch keine, die schneller als verständlich gespielt werden muss. (Das ist für mich oft bei der Musik des späteren 19. Jhs anders.)

Diese Musik soll "gleichzeitig singen und sprechen". So schnell zu sprechen, dass man die Worte nicht mehr versteht, gehört nicht zum Repertoire eines guten Schauspielers.

Der Variationensatz...
...wenn man sich für Taktdrittel =40 entscheidet, dann gibt es keine besonderen technischen Probleme, vorausgesetzt dass man unermüdlich trillern kann ;-)
...aber Taktdrittel=40 ist schon sehr behäbig...
Taktdrittel~50 klingt schon fließender, aber dann wird die 3.Variation technisch schon sehr sehr anspruchsvoll...
Taktdrittel~60 ist das möglicherweise*) authentische Czerny/Moscheles-Tempo - spielt man (was noch sehr einfach ist!) Thema und Variation 1 in diesem Tempo, stellt man fest, dass das sehr fließend und angenehm cantabel ist: gewöhnt man sich an dieses Zeitmaß, dann erscheint es einem geradezu ideal (!! das spricht sehr für das Czerny/Moscheles-Tempo) Auch die 2.Variation lässt sich mit Taktdrittel=60 noch ganz angenehm spielen und klingt auch sehr schön, ohne dass man sonderlich viel dafür technisch üben müsste***) Aber bei der 3.Variation stellt man dann ernüchternd fest, dass das wunderschön ideal wirkende Tempo Taktdrittel=60 plötzlich an der Grenze der Spielbarkeit angelangt ist!! (wer´s nicht glaubt, der bewaffne sich mit einem Metronom und probiert´s aus :-D:-D:-D in diesem Tempo befindet man sich hier in einem Bereich, der sämtliche Hüpferchen in Liszts La Campanella****) harmlos erscheinen lässt (!!) [wer´s nicht glaubt: Metronom anmachen, in Campanella herumspielen, dann die Synkopen in der 3. Variation probieren... viel Spaß dabei!!;-)...]
=> derartiges erfährt jeder, der sich mit den letzten fünf Beethovensonaten befasst: man wird gelegentlich mit absurd fiesen technischen Schwierigkeiten konfrontiert.

Die Übergänge scheinen zu wollen, dass man bei jedem unmerklich langsamer wird. Es würde für mich hingegen merklich schneller klingen, wenn man nach dem Metronom im selben Tempo bliebe.

Man vergesse nicht: das natürliche Tempo einer Triole ist nicht immer genau 1,5 mal das einer Duole.

Ich würde leicht glauben, dass das ursprünglich gemeinte Tempo vom Thema keineswegs so langsam gewesen ist, wie wir heute es spielen möchten. Anhand des Korpus überlieferter Tempoangaben scheint es überhaupt so zu sein, dass damals generell nicht so langsam gespielt wurde. Allerdings:

(ich zitiere aus einem anderen Beitrag, den ich hier geschrieben habe:)
"Wegen der Frage des Stilbewusstseins in der Interpretation sage ich etwas zu meinen persönlichen Gefühlen, die vielleicht dem heutigen Zeitgeist nicht entsprechen. Sobald die Musik komplex und autonom genug geworden ist, war sie in der Lage, die ganze Denkweite ihrer Komponisten zu umfassen; um an die authentische emotionale Wirkung der Musik herankommen, müssen wir heute auch in der Weite unserer ganzen Welt denken. Manche Musik gibt das her – ohne entstellt werden zu müssen."

Ich habe also nichts dagegen, die Stelle heute langsamer als man es damals je gemacht hätte, um die vermeintliche Wirkung überzeugend für unsere Ohren (denen eine noch extremere Langsamkeit vertraut ist) herüberzubringen.

Dann noch die Trillerketten... zwei solche hat op.111 - - ich kann da nicht viel sinnvolles sagen: Triller und Tremoli machen mir keine Mühe, für mich sind sie einfach (ich muss sie nicht üben) Viele beklagen, dass die Trillerketten in op.106, op.109 und op.111 schwierig seien - das geht mir nicht so und ich kann es nicht nachvollziehen.

Mancher Triller im 1. Satz von Op.106 ist schon unangenehm.

Für den Doppeltriller in Op111: der Doppeltriller ist an sich nicht schwer, wenn man, wie Du sagst, so etwas kann. Aber der Übergang zu dem ist heikel. Ich spiele As-B mit der linken Hand (übergreifend), und fange schon da an, die Bewegung des 4. Fingers rechts vorzubereiten, um zum richtigen Zeitpunkt einfach "weiterzumachen" ohne ein neues Bewegungsmuster aktivieren zu müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu op. 111 kann ich zwar nichts beitragen, aber die Ausführungen zum Tempo damals vs. heute finde ich sehr überzeugend. Authentisch ist es nicht zwingend, wenn es genauso wie zur Entstehungszeit klingt, sondern wenn es bei uns möglichst so ankommt, wie es beim damaligen Hörer ankommt.

Edit: Mir fällt hier auch die Diskussion zu den Tempoangaben bei Schumanns Kinderszenen ein.
 
Zu op. 111 kann ich zwar nichts beitragen, aber die Ausführungen zum Tempo damals vs. heute finde ich sehr überzeugend. Authentisch ist es nicht zwingend, wenn es genauso wie zur Entstehungszeit klingt, sondern wenn es bei uns möglichst so ankommt, wie es beim damaligen Hörer ankommt.

Edit: Mir fällt hier auch die Diskussion zu den Tempoangaben bei Schumanns Kinderszenen ein.
Da wären wir aber schon im Bereich der Esoterik oder Astrologie angelangt. Vielleicht sollte man vor jeder Aufführung die Urahnen befragen.
Überhaupt das über einen Kamm scheren ...
Imsgeheim klingt das wie ein Hilfsargumement...
 
Deshalb schrieb ich von einer "vermeintlichen Wirkung". Schließlich nennen wir uns Interpreten.

Ich glaube, für die Mehrheit zu sprechen, wenn ich behaupte, dass die Aussage, die wir heute in einer alten Musik zu spüren glauben, uns oft zwingend genug erscheint. Demnach geht es darum, diese in einen gegenwärtigen Kontext zu versetzen.
 
Deshalb schrieb ich von einer "vermeintlichen Wirkung". Schließlich nennen wir uns Interpreten.

Ich glaube, für die Mehrheit zu sprechen, wenn ich behaupte, dass die Aussage, die wir heute in einer alten Musik zu spüren glauben, uns oft zwingend genug erscheint. Demnach geht es darum, diese in einen gegenwärtigen Kontext zu versetzen.
Reichen bei der Interpretation aber nicht kleine Nuancen, ohne die Struktur zu weit aufzuheben. Stelle mir gerade vor, jemand würde Shakespeares Hexameter so an die vermeintliche heutige Zeit anpassen, dass die Wirkung völlig Shakespeare widerspricht.
Ich stelle es mir einfach schwierig vor, sich in die Gefühle von Menschen vor langen Zeiten hineinzuversetzen und dann auch noch in die Menschen heututage.
Muss ich dann in Deutschland ein Stück anders spielen, als in China, oder in Japan, in Afrika, in Südamerika, um die gewünschte "vermeintliche" Wirkung zu erzielen, Oder mir sogar überlegen, heute spiel ich im behäbigen Münster, morgen in Köln aber anders, heute spiel ich vor Senioren,morgen vor Teens, heute in LA morgen in Wisconsin.
 
Muss ich dann in Deutschland ein Stück anders spielen, als in China, oder in Japan, in Afrika, <...>
Interessanter Aspekt. Ich würde sagen, die Wahrheit liegt in der Mitte - man wird dort nicht völlig anders auftreten, aber bekannte kulturell bedingte Unterschiede in der Rezeption könnte man schon berücksichtigen. Wobei angesichts der Globalisierung regionale Hörgewohnheiten eine weit geringere Rolle spielen dürften als die Entwicklung der Hörgewohnheiten über die Zeit.
 
er Interpretation aber nicht kleine Nuancen, ohne die Struktur zu weit aufzuheben. Stelle mir gerade vor, jemand würde Shakespeares Hexameter so an die vermeintliche heutige Zeit anpassen, dass die Wirkung völlig Shakespeare widerspricht.
Hmm, Shakespeare &Co im Original wirkt heute nicht mehr so wie früher; im Gegenteil: Es ist für die meisten geradezu unverständlich. Insofern macht es schon Sinn, die Interpretation an die aktuelle Zeit anzupassen, was ja auch ständig passiert. Inwieweit man das für die Musik so pauschalisieren kann, mag ich nicht beurteilen. Aber zumindest sind Hörgewohnheiten und Instrumente heute sicher anders als zur Entstehungszeit.
 
Aber zumindest sind Hörgewohnheiten und Instrumente heute sicher anders als zur Entstehungszeit.

Nicht nur die. Man hört sich heute auch nicht mehr unbedingt eine so gut wie ungeprobte Mattäuspassion in kalten, feuchten Kirchen an - mit stundenlanger Predigt zwischen erstem und zweitem Teil. Und selbst renommierte Spezialisten für Alte Musik treten nicht in Barockkostümen und Puderperücken auf - das wagt nur noch der historisch informierte André Rieu.:lol:
 

Nicht nur die. Man hört sich heute auch nicht mehr unbedingt eine so gut wie ungeprobte Mattäuspassion in kalten, feuchten Kirchen an - mit stundenlanger Predigt zwischen erstem und zweitem Teil. Und selbst renommierte Spezialisten für Alte Musik treten nicht in Barockkostümen und Puderperücken auf - das wagt nur noch der historisch informierte André Rieu.:lol:
Wenn ich die Wahl zwischen André Rieu und der ungeprobten Passion in der kalten, feuchten Kirche und stundenlanger Predigt hätte, dann wäre die Passion definitiv meine erste Wahl. :lol: (Wobei, vielleicht kann man bei André Rieu die Schmerzen Jesu am eigenen Körper besser nachvollziehen als bei der Matthäuspassion...)


Die Übergänge scheinen zu wollen, dass man bei jedem unmerklich langsamer wird. Es würde für mich hingegen merklich schneller klingen, wenn man nach dem Metronom im selben Tempo bliebe.

Man vergesse nicht: das natürliche Tempo einer Triole ist nicht immer genau 1,5 mal das einer Duole.
Das hier kann ich leider nicht so ganz nachvollziehen? Was meinst du damit, dass das Tempo einer Triole nicht immer genau das 1,5 fache einer Duole sein soll? Bzw. was ist "das natürliche Tempo" im Vergleich mit "dem Tempo"?
 
Potztausend, hier hat sich ja eine Menge getan!! Schön!!

Trotzdem mach´ ich noch mal den Spielverderber, indem ich zu den Taktvorgaben zurückkomme:
@DonBos danke für deine sympathisch vorgebrachten Überlegungen - zwar sind sie ein wenig irreführend, aber gerade das ist ja dazu gut, sich genau anzuschauen, was der Beethoven da gemacht hat und vielleicht auch zu verstehen, warum es da zu Problemen in der Notation mit unseren (seit Mozarts Zeiten gebräuchlichen) Noten kommt:
3. Wenn Beethoven "L'istesso tempo" hier als Takt = Takt versteht, warum dann überhaupt der Wechsel von der Vorgabe 9/16 auf 6/16? Beethoven hätte doch eigentlich einfach sowohl die Vorgabe "6/16" als auch "L'istesso tempo" beide komplett weglassen können, die entsprechenden Sechzehntelnoten punktieren und dann wäre rhythmisch alles absolut eindeutig gewesen.
Hier versteckt sich ein unmerklicher Rechenfehler (!)
Wie das?
[Praesupposition: l´istesso Tempo wird als Takt = Takt aufgefasst]
Beethoven verwendet den anfänglichen 9/16 Takt für zwei verschiedene rhythmische Progressionen:
1. wird der "Herzschlag-Rhythmus" Achtel-Sechzehntel erst verdoppelt (Var.2), dann vervierfacht (Var.3)
2. wird der durchgehende drei Sechzehntel-Puls als Fließbewegung verdreifacht (Var.4 bis zum Schluß)

Das Thema stellt den Herzschlag-Puls vor (Achtel-Sechzehntel)
Die 1. Variation bringt die durchgehende drei-Sechzehntel-Fließbewegung

-- erste Beschleunigung durch Halbierung der Notenwerte (Thema - Var.2!!)
1/8 + 1/16 (Thema) wird zu 1/16 + 1/32 + 1/16 + 1/32
-- zweite Beschleunigung wieder durch Halbierung der vorangegangenen Notenwerte (Var.3):
(1/32 + 1/64) x 4
=> das ist elementare Bruchrechnung für Pennäler :-)

...dann aber die ominöse Verdreifachung der Fließbewegung drei mal drei Sechzehntel (entspricht neun Sechzehnteln) des ursprünglichen Taktes (Thema) - und hier müssen die 32stel als Triolen verstanden werden. Das kann man an einem schlichten Experiment erkennen, wenn man nämlich versucht, ohne Taktänderung alles im 9/16 Takt zu notieren:
op.111 neun 16tel.png
1. Zeile = Thema (mit "Herzschlag-Rhythmus")
2. Zeile = Var.1 (Fließbewegung 3 x 3 1/16)
3. Zeile = Var.2 (Halbierung der Notenwerte des "Herzschlags" - Beschleunigung um das doppelte)
4. Zeile = Var.3 (erneute Halbierung der Notenwerte des "Herzschlags" - letztlich eine Beschleunigung um das vierfache in Relation zum Thema)
5. & 6. Zeile zeigen den ursprünglichen "Herzschlag" mit der nun verdreifachten Fließbewegung (aus 9/16 sind 27/32steltriolen geworden)

Notierbar wäre also alles im gleichbleibenden 9/16 Takt gewesen -- ABER wenn man sich in der Praxis an 9/16 (besser 3/8) gewöhnt hat, dann stolpert man rhythmisch bei der Halbierung der Notenwerte*) für die Spielpraxis ist die Notation 6/16 in der 2.Var. weitaus geschickter, da man so die rhythmischen Akzente oder besser gesagt die rhythmischen Verhältnisse besser sieht !! Allerdings nötigt das zur Vorgabe l´istesso Tempo, um klar zu machen, dass das Taktmaß beibehalten werden soll.

Lästig sind einzig die fehlenden Triolenzeichen bei der Rückkehr von den 12/32 zu den 9/16 nach der 3.Variation - indes findet sich in der Erstausgabe ein Triolenzeichen innerhalb der Rückkehr zum 9/16 Takt wie auch in der Abschrift und im Manuskript (wobei Margulis das Triolenzeichen im Manuskript für nachträglich und nicht von Beethovens Hand hält --- ein Fall für musikhistorische Forensiker...)

Prinzipiell hatte @kitium schon auf die Problematik der Notation von Dreier-Rhythmen hingewiesen und auch gezeigt, dass eine ältere Notationsweise hier keine Probleme gehabt hätte - fraglich oder besser unbeweisbar bleibt, ob Beethoven diese kannte oder nicht (wohl eher nicht, sonst hätte nicht so viel Mühe mit der Notation gehabt)
Fraglich oder unbeweisbar bleibt aber letztlich auch, ob Beethovens l´istesso tempo wirklich Takt = Takt meint oder ob damit Notenwert = Notenwert gemeint ist... => diese Überlegungen funktionieren nur, wenn man voraussetzt, dass hier überall Takt = Takt gemeint ist (wobei dann immer noch die Frage offenbleiben muss, warum am Ende von Var.3 bie der Rückkehr zu 9/16 das l´stesso tempo fehlt...)

____________
*) das @DonBos hast du ja sehr schön mit dem Schluckauf beschrieben:-)
 
Ebenfalls!
(...)ohne ein neues Bewegungsmuster aktivieren zu müssen.
@kitium Danke für den schönen Beitrag!!!

Ich hoffe, dass dich ein paar Überlegungen dazu interessieren oder zum weiter diskutieren anregen:
Meine persönliche Meinung: die Musik von Beethoven ist noch keine, die schneller als verständlich gespielt werden muss. (Das ist für mich oft bei der Musik des späteren 19. Jhs anders.).
Da stimme ich dir überwiegend zu - aber es gibt in Beethovens Klavierwerk auch Ausnahmen in dieser Hinsicht: z.B. die klein gestochenen auskomponierten Miniatur-Kadenzen im Finale des c-Moll Konzerts müssen zwar möglichst klar, aber auch möglichst schnell (!!) gespielt werden. Sie bleiben auch in sehr hohem Tempo (also rasant) für den Spieler wie für den Hörer verständlich.
Beethoven wollte gelegentlich rasante Tempi - du kennst sicher den berühmten op.53 Fehler von Clara Schumann: das Finale zu schnell beginnen, und dann das Prestissimo nicht mehr deutlich schneller als das vorangegangene spielen können :-)
--- aber da gibt es noch eine zusätzliche Überlegung: die Perspektiven von Spieler und Hörer sind verschieden! Was für den Hörer schon wie überwältigende Rasanz wirkt, das ist oftmals für den Spieler (wenn er´s kann) bei weitem nicht so "schnell", sondern jeder Ton ist ganz bewußt mitgedacht/mitempfunden und kontrolliert (wäre es anders, wäre schon jede op.10 Nr.1 Etüde ein Fiasko...)
Die Übergänge scheinen zu wollen, dass man bei jedem unmerklich langsamer wird. Es würde für mich hingegen merklich schneller klingen, wenn man nach dem Metronom im selben Tempo bliebe.
Man vergesse nicht: das natürliche Tempo einer Triole ist nicht immer genau 1,5 mal das einer Duole.
Hierzu zwei Überlegungen:
1. es kann nicht schaden, das Experiment zu wagen, den Variationensatz konsequent von der ersten bis zur letzten Note in einem stets gleichbleibenden Puls (Taktdrittel ~ 60) zu spielen (das mache ich so - mal gibt´s dafür Ärger, mal nicht...)
2. mir behagt der Eindruck "je mehr Noten im Takt, umso länger wird der Takt" nicht, der da beim zuhören entstehen kann
...mit dem unmerklichen langsamer werden kann ich mich nicht anfreunden - so hat halt jeder seine privaten Marotten :-) ich bin in diesem Variationensatz eher für rhythmische Strenge und Geradlienigkeit, peu a peu dehnen gefällt mir nicht (bis auf eine Ausnahme: die letzte Trillerkette verträgt ein wenig ritardando, da, wo Thomas Mann sein "so leb´ denn wohl" hineingeheimnist hatte)

Aber wie kommst du zu dem Eindruck, dass ausgerechnet die Übergänge minimale Verlangsamungen erfordern?

Ich würde leicht glauben, dass das ursprünglich gemeinte Tempo vom Thema keineswegs so langsam gewesen ist, wie wir heute es spielen möchten. Anhand des Korpus überlieferter Tempoangaben scheint es überhaupt so zu sein, dass damals generell nicht so langsam gespielt wurde.
...damit betreten wir das lästige Thema "welches Tempo ist authentisch?"... das ist zwar interessant, aber es kann zu Abschweifungen führen (was ist authentisch? authentische Instrumente? (ausgerechnet beim tauben Beethoven...) usw usw...)

Allerdings:
(ich zitiere aus einem anderen Beitrag, den ich hier geschrieben habe:)
"Wegen der Frage des Stilbewusstseins in der Interpretation sage ich etwas zu meinen persönlichen Gefühlen, die vielleicht dem heutigen Zeitgeist nicht entsprechen. Sobald die Musik komplex und autonom genug geworden ist, war sie in der Lage, die ganze Denkweite ihrer Komponisten zu umfassen; um an die authentische emotionale Wirkung der Musik herankommen, müssen wir heute auch in der Weite unserer ganzen Welt denken. Manche Musik gibt das her – ohne entstellt werden zu müssen."

Ich habe also nichts dagegen, die Stelle heute langsamer als man es damals je gemacht hätte, um die vermeintliche Wirkung überzeugend für unsere Ohren (denen eine noch extremere Langsamkeit vertraut ist) herüberzubringen.
98% d´accord!!
(2% betreffen die Metronomangaben von ein paar berühmten Etüden und Paraphrasen - da sollte man schauen, ob die geforderten Tempi geschafft werden können)*)
...allerdings gäbe es hierzu immens viel zu diskutieren, völlig unabhängig von op.111 - - da wäre ein eigenes anderes Thema vielleicht nützlich (?)

Mancher Triller im 1. Satz von Op.106 ist schon unangenehm.
also den 1.Satz finde ich rein manuell relativ harmlos - der letzte Satz hingegen, der auch etliche Triller enthält, ist haarsträubend...

Für den Doppeltriller in Op111: der Doppeltriller ist an sich nicht schwer, wenn man, wie Du sagst, so etwas kann. Aber der Übergang zu dem ist heikel. Ich spiele As-B mit der linken Hand (übergreifend), und fange schon da an, die Bewegung des 4. Fingers rechts vorzubereiten, um zum richtigen Zeitpunkt einfach "weiterzumachen" ohne ein neues Bewegungsmuster aktivieren zu müssen.
das finde ich jetzt hochinteressant!!!
das hier ist der Notentext:
op.111 Doppeltriller.png
das hier ist von Bülows Lösung:
op.111 Doppeltriller Bülow.png
den langen Triller d-e (später d-es) spiele ich mit 23, die Außenstimmen (Sextenparallelen) spiele ich mit der linken Hand mit 52 - meinst du das mit übergreifen?
im drittletzten Takt wechsele ich beim Triller (d-es) von 2-3 auf 2-1 (!! 2 auf d, 1 auf es!!) während des letzten Achtels
den Doppeltriller rechts spiele ich mit 24-15 (2d-4as / 1es-5b) - das geht bei mir problemlos (der dritte Triller links mit 2-1, parallel zu 2-1 rechts) ==> auf diese Weise finde ich diese Stelle unproblematisch und eigentlich sogar entspannend, angenehm (aber Triller und Tremoli haben mich noch nirgendwo geärgert, keine Ahnung warum, die machen mir keine Mühe (auch die Tremoli in Petrouchka liegen mir - andere Stellen finde ich da viel schlimmer und muss sie lange üben...)



______________
*) op.106 Finale mit Viertel = 144, Wagner/Liszt Tannhäuser Ouvertüre allegro mit Halbe = 80, 3-4 Chopinetüden, Petrouchka)
 
@DonBos danke für deine sympathisch vorgebrachten Überlegungen - zwar sind sie ein wenig irreführend, aber gerade das ist ja dazu gut, sich genau anzuschauen, was der Beethoven da gemacht hat und vielleicht auch zu verstehen, warum es da zu Problemen in der Notation mit unseren (seit Mozarts Zeiten gebräuchlichen) Noten kommt:

Hier versteckt sich ein unmerklicher Rechenfehler (!)
Wie das?
Danke für deine ausführliche Antwort, rolf. Ich habe zwar ehrlich gesagt den Rechenfehler auch nach deinen Erklärungen nicht gefunden, und soweit ich das überblicke haben wir die gleiche Argumentation. Nur dass du es in deutlich bessere Worte gefasst hast als ich. Ich entschuldige mich für jegliche eventuelle Verwirrungen die ich gestiftet habe (als ob Beethoven selbst nicht schon verwirrend genug geschrieben hätte). :)

Vor allem aber habe ich den Fehler gemacht, nur auf den Wechsel von der 1. zur 2. Variation zu schauen und den Rest des Satzes ein wenig aus den Augen zu verlieren. Deshalb sind mir zwei Punkte entgangen, die ich nochmal aus deinem Beitrag hervorheben will, siehe unten. Danke hierfür!
Zitat von rolf:
...dann aber die ominöse Verdreifachung der Fließbewegung drei mal drei Sechzehntel (entspricht neun Sechzehnteln) des ursprünglichen Taktes (Thema) - und hier müssen die 32stel als Triolen verstanden werden.
Zitat von rolf:
=> diese Überlegungen funktionieren nur, wenn man voraussetzt, dass hier überall Takt = Takt gemeint ist (wobei dann immer noch die Frage offenbleiben muss, warum am Ende von Var.3 bie der Rückkehr zu 9/16 das l´stesso tempo fehlt...
 
Deshalb schrieb ich von einer "vermeintlichen Wirkung". Schließlich nennen wir uns Interpreten.

Ich glaube, für die Mehrheit zu sprechen, wenn ich behaupte, dass die Aussage, die wir heute in einer alten Musik zu spüren glauben, uns oft zwingend genug erscheint. Demnach geht es darum, diese in einen gegenwärtigen Kontext zu versetzen.
oder einfacher gesagt: es geht uns darum, eine (heutige) Interpretation überzeugend darzustellen.
 
Ich habe zwar ehrlich gesagt den Rechenfehler auch nach deinen Erklärungen nicht gefunden, und soweit ich das überblicke haben wir die gleiche Argumentation.
das stimmt, wenn du in deinem Beitrag mit den gefälligst zu punktierenden Sechzehnteln die gemeint hat, die exakt einen halbierten Herzschlag (1/16 + 1/32) dauern -- das ist übrigens das, was Margulis in seinem Essay als "Punktisten" bezeichnet (damit ist gemeint, dass der gut lesbare 6/16 Takt eigentlich 6 punktierte 1/16 in Relation zu Thema und Var.1 meinen soll)
 
das stimmt, wenn du in deinem Beitrag mit den gefälligst zu punktierenden Sechzehnteln die gemeint hat, die exakt einen halbierten Herzschlag (1/16 + 1/32) dauern -- das ist übrigens das, was Margulis in seinem Essay als "Punktisten" bezeichnet (damit ist gemeint, dass der gut lesbare 6/16 Takt eigentlich 6 punktierte 1/16 in Relation zu Thema und Var.1 meinen soll)
Genau diese habe ich gemeint. Aber ich habe mich da nicht klar ausgedrückt, von daher kein Wunder dass das zu Missverständnissen führt. :dizzy::super:
 
Das hier kann ich leider nicht so ganz nachvollziehen? Was meinst du damit, dass das Tempo einer Triole nicht immer genau das 1,5 fache einer Duole sein soll? Bzw. was ist "das natürliche Tempo" im Vergleich mit "dem Tempo"?
@DonBos manchmal können Triolisierungen als leicht verlangsamt aufgefasst werden, aber bei weitem nicht immer (Schuberts beliebtes As-Dur Impromptu mit verlangsamten Achteltriolen wäre Pfusch)
 

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