Damit wir nicht aneinander vorbeireden, sollte man vielleicht besser unterscheiden in
a) wie hat es JSBach gehalten mit der Artikulation bei Tasteninstrumenten
b) wie hat sich die Artikulation von Tasteninstrumenten, insbesondere der Klavierarten, über die Generationen nach Bach hinweg geändert und
c) wie möchte man es persönlich halten mit der Artikulation von Klaviermusik bei Bach
Wegen mir kann jeder Bachfugen in legato auf dem Klavier herunterspielen, das ist mir reichlich egal. Welche Konsequenzen man selber daraus zieht, wie die Musik von den Komponisten mutmaßlich (nach Maßgabe dessen, was herausgefunden wurde) für die eigene Interpretation, ist ja jedem selber überlassen. Aber ich will den Versuch unternehmen, bzgl. a) und b) was gerade zu rücken.
Zum Geraderücken erstmal ein paar Erwiderungen:
Interessant sind die beiden Teile von C.P.E. Bachs "Versuch [...]" ganz ohne jeden Zweifel, allerdings ist dabei zweierlei zu bemerken:
1. entstammt dieses faszinierende Lehrwerk nicht der Lebenszeit von J.S. Bach, sondern ist drei (1.Teil) und zwölf Jahre (2.Teil) nach dessen Tod publiziert; und der Verfasser ist als Musiker mehr dem empfindsamen Stil als dem Spätbarock zuzuordnen.
2. deckt sich sehr vieles aus diesen beiden Texten nicht so ganz mit deiner Darstellung:
Ganz davon abgesehen, dass es einen Konsens in den Ausführungen von CPE Bach zu anderen Primärquellen gibt bzgl. Artikulation, wir also keineswegs darauf angewiesen sind, um uns über die Artikulation der Barockzeit incl. Bach ein Bild zu machen, weiterhin davon abgesehen, dass der Lehrer von CPE Bach sein Vater war, stimme ich dir bei einer Sache zu:
CPE Bach gehörte bereits der Epoche des empfindsamen Stils an. Aber Rolf, du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass sich mit diesem empfindsamen Stil auf einmal eine Abkehr von einer "legato"-Spielweise hinzu einer kräfitg non-legato-Spielweise entwickelt haben soll? Das ist grotesk. Wenn schon, ging es eher in die andere Richtung, und da komme ich zum nächsten Punkt:
...da wird als kein totales non legato propagiert
Habe ich auch nicht behauptet. Es geht um die gesamte Bandbreite der Artikulation, von staccato bis legato und zwar erstmal unabhängig vom Tasteninstrument. Und deren Anwendung in der Musik, Stichworte hierzu:der metrische Akzent, der grammatikalische und der pathetische Akzent.
Wie hat sich nun die Artikulation von Tasteninstrumenten im Laufe der Generationen nach Bach entwickelt?
Nach dem, was wir wissen, hat selbst noch der von seinen Zeitgenossen auch wegen seiner pianistischen Fähigkeiten gerühmte Mozart ein gepflegtes non-legato zelebriert. Beethoven und Schubert waren schon mehr auf der legato-Linie, aber selbst der zu seiner Zeit als Pianist sehr berühmte Mozart-Schüler Hummel hat eher non-legato gespielt (wohlgemerkt, als "Grundspielart", nicht ständig). Aus einem Brief von Brahms, bei dem eine Tochter von Schumann Klavierunterricht nahm, wissen wir, dass Clara Schumann Bach
auch nicht legato gespielt hat. Diese non-legato-Spielart hat sich alson noch weit in das 19. Jhdt hineingezogen.
Interessant ist auch, dass sich das nicht nur auf die unterschiedlichen Bauweisen der dynamischen Tasteninstrumente Clavichord, PianoForte und den Übergang zum heutigen Klavier bezieht, sondern auch auf z.B. das Orgelspiel. Auch hier wurde im Laufe des 19.Jhdt ein Wechsel vom bisher eher non-legato-Spiel der Wechsel auf legato-Spielweise vollzogen.
Erst Ende des 20.Jhdts kam eine Bewegung in Gang, die versucht, anhand historischen Informationen die Spielweise der verschiedenen Epochen und Komponisten zu erforschen. Dem muß man selber nicht folgen, aber mir persönlich gefällt es besser, bei Bach die gesamte Bandbreite der Artikulation von staccato bis legato, und zwar erstmal unabhängig vom Tasteninstrument, zu verwenden.
@ Mick:
Ja, richtig, einige Musikstücke für Tasteninstrumente von Bach sind von der Vokalpolyphonie und Streichinstrumente übertragen. Man sollte nur nicht den Fehler machen, dabei an Wagner-Gesang oder -Streicherklänge zu denken, um es mal zu überspitzen. Man sollte es dann schon vergleichen mit historisch informierten Aufführungen von Streicherstücken oder Sängern, die in barocker Manier musizieren.
Und da fällt ja doch schon auf, dass barocke Kammermusik in HIP-Manier keineswegs im durchgängigen legato schrammelt, sondern im Gegenteil sehr viel Werte auf metrische, grammatikalische usw. Akzente setzt - mit den Mitteln der Artikulation.
Natürlich sollte man versuchen, möglichst sanglich zu spielen. Und wenn man mehrere Töne hintereinander spielt innerhalb einer Phrase, beim Klavier einen Dynamikbogen darüberzulegen. Es ist in dieser Beziehung gut, Sänger und Geiger als Vorbild zu nehmen. Und dafür haben wir ja auch die dynamischen Möglichkeiten der Klangfarbenbeeinflussung bei der Anneinanderreihung meherer Töne. Und, ja, Bach hat viele Legatobögen bein Violinmusik gesetzt.
Aber: Warum hat Bach vergleichsweise wenig Legatobögen bei Tastenmusik gesetzt, auch nicht bei den Stücken, die auf Tastenmusik umgesetzt wurde (wie schon richtig hier gesagt wurde, z.B. bei den Schübler-Chorälen)? Weil eben Tasteninstrumente anders konstruiert sind:
Wenn man mal einen einzigen langgehaltenen Ton nimmt, dann kann ein Sänger oder eine Violine einen Dynamikbogen darüberlegen, den Ton leise beginnen und leise enden lassen. Bei der Orgel bleibt wenigstens der Ton bestehen, aber sowohl beim Cembalo als auch Clavichord und insbesondere auch Klavier verhungert der Ton mit der Zeit, und es ist ganz anders herum: der Ton ist am Anfang am lautesten durch den Anschlag und verklingt dann.
Aufgrund des unterschiedlichen Tonansatzes bei allen Tasteninstrumenten (Clavichord, Cembalo, Klavier: perkussiver Tonansatz) gegenüber Sängern und Streichern, die hierin flexibel sind und z.B. leise beginnen können, resultiert auch ein unterschiedlicher Ansatz der Artikulation bei Tasteninstrumenten, so auch Klavier. Wohlgemerkt nur, wenn man auch auf dem Klavier historisch informiert spielen möchte.
Zum Schluss: Wenn man non-legato spielt, ist ja damit keineswegs gemeint, dass man nicht die gesamte Bandbreite dynamischer Möglichkeiten des Klaviers ausschließen soll. Im Gegenteil. Man kann auch staccato auf dem Klavier flüstern z.B. Und es heißt auch nicht, dass man legato ausschließt. Nur das so häufig anzutreffende mehr oder weniger Dauerlegato, am besten noch mit Pedalgetrete verbunden, sollte man bei Bach überdenken...
Lange Rede, kurzer Sinn: Wer auf dem Klavier gut Bach spielen will, sollte die Violinsonaten und Partiten oder die Cellosuiten studieren und sich von Könnern anhören. Cembalo- oder Orgelmusik ist eher zu meiden!
Lange Rede, kurzer Sinn: Wer auf dem Klavier Bach in der Art spielen möchte, wie er es auf seinen Tasteninstrumenten tat (wobei Clavichord bzgl. Dynamik dem Klavier am nächsten kommt), sollte sich mit der gerade erst in den letzten paar Jahrzehnten aufgekommenen Forschung bzgl. HIP vertraut machen. Die Meinung von Leuten, die noch der romantisierenden Tradition mit legatogeschwängerten Bachfugen hinterherhängen, ist dann eher zu meiden!
Ein rel. neues Buch, welches sich mit dem Thema der Interpretation von Bachwerken für Tasteninstrumente im Allgemeinen und dem Gebrauch der Artikulation im Besonderen ernsthaft auseinandersetzt, wurde ja bereits genannt.