Wütende Stücke, Stücke, die Verärgerung etc. assoziieren für Klavier zu zwei Händen

Die Evolution hat das Musikverständnis in uns angelegt, um unsere sozialen Vernetzungen zu ermöglichen, zu verstärken und zu erleichtern. Bei gemeinsam erlebbaren Emotionen - wie die genannten Freude und Trauer - macht das großen Sinn. Die Gruppen des Homo sapiens sapiens waren so vernetzt, die des Neandertalers nicht. Damit war die Anlage einer potenziellen Entwicklung eines Musikverständnisses ein Selektionsvorteil. Dass Wut und Hass einer Gerichtetheit dieser Entwicklung von Nutzen hätten sein können, vermag ich nicht zu erkennen.
Betrachtet man die Musik der Indigenen, dann kommt man zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Kriegstänze der Indianer beispielsweise, die die Tanzenden in die entsprechende Stimmung versetzen sollten, lassen solche Assoziationen auch nicht zu.
Natürlich ist der Mensch lernfähig. Wenn man ein Thema zu Wutausbrüchen etwa im Film oft genug wiederholen würde, hätte man irgendwann eine bedingte Assoziation geschaffen. Beim Bolero hat das bei @pianochriss66 auch funktioniert. :coolguy:
 
Betrachtet man die Musik der Indigenen, dann kommt man zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Kriegstänze der Indianer beispielsweise, die die Tanzenden in die entsprechende Stimmung versetzen sollten, lassen solche Assoziationen auch nicht zu.
schade, dass wir den in antiken Quellen erwähnten keltischen und germanischen "Baritus" (Schlachtgesang/gebrüll) nicht kennen!
 
Was diese ganze Diskussion um „wütende Musik“ letztlich offenbart, auf welch schwachen Füßen der emotionale Gehalt von Instrumentalmusikstück steht. Eduard Hanslick sprach im 19. Jahrhundert von Instrumentalmusik als „tönend bewegte Form“, die darüber hinaus keine außermusikalischen Inhalte haben kann. Ob Wut oder Liebesverlangen - wie konkret kann Instrumentalmusik sein ohne Zuhilfenahme der Sprache?
Ich finde, es hängt sowohl vom Stück, als auch vom Programm ab, wie eindeutig der Zusammenhang zwischen Musik und Programm ist.
Das Meisterwerk Après une lecture de Dante passt sicher und es ist nachvollziehbar. Wenn man aber das Stück hört und weiß nicht, wie es heißt, wird man es nicht unbedingt mit Dantes Inferno in Verbindung bringen.
Ein anderes Meisterwerk, Une barque sur l'Océan von Ravel, wird dagegen wahrscheinlich so ziemlich jeder irgendwie zumindest mit dem Meer in Verbindung bringen, ohne den Namen zu kennen.
Bei so einem Wasserstück ist es aber auch viel leichter, die Assoziation eindeutig hervorzurufen, als bei einem abstrakteren Thema wie Dantes Inferno. Wertend kann man die beiden Stücke deshalb nur schwer vergleichen, beide gehören meiner Meinung nach auf unterschiedliche Weise zum Besten ihrer Zeit.
Manchmal unsinnig und dennoch interessant finde ich auch, Programme in Stücke zu interpretieren, die nicht explizit programmatisch angelegt sind.
Ich habe beispielsweise die Waldsteinsonate immer grob so interpretiert und finde es, da der Widmungsträger ja die Wienreise gesponsort hat, recht plausibel:
1. Thema: Aufgeregte Vorfreude vor der Wienreise
2. Thema: Mitschwingende Unsicherheit
Vorspiel zum Rondo: Heimweh
Rondo: Erst zaghafte, dann überschwängliche Ankunftsfreude in Wien

Vielleicht waren das ja wirklich Beethovens Gedanken und vielleicht ist es trotz der formalen Anlage beim mindestens ebenso berühmten Schwesterstück in f-Moll ähnlich - da könnte man den Verdacht haben, dass Frauen im Spiel sind und das Ende nicht gut ist, daher die Wut oder aufbrausende Leidenschaft - wie auch immer man das nennen und interpretieren möchte. Auch die kurze, aber meines Erachtens nach geniale Fis-Dur-Sonate steht da zur Appassionata in einem Gesamtkontext.

Bei einer solchen Betrachtung von musikalischem Ausdruck fällt schnell auch auf, dass gefühlsbeschreibende Vokabeln wie die Musik auch nicht unbedingt immer präzise sind.
 
Wie dieses Forum täglich zeigt, gibt es nicht einmal für jeden Leser eindeutige Texte...
sogar nicht einmal die Texte, die (hinterher) nicht eindeutig sein wollen, sind eindeutig nicht eindeutig ;-)

aber wenigstens beim Chopinschen Trauermarsch - selbst bei Luis de Funes - herrscht Eindeutigkeit darüber, dass das keine Jubelhymne ist; ab und zu gibts eindeutig --- stop! Das Ding hat ja einen funebren Titel: das kann keine absolute Musik für Hanslick (Beckmesser) sein.

Genug geblödelt: die eigentliche Fragestellung wird doch peu a peu immer interessanter!
 
Offensichtlich ist es aber im Vorfeld gar nicht so einfach, ein Musikstück zu finden, welches ohne außermusikalischen Bezug für jeden Hörer eindeutig Wut ausdrückt - haben wir schon eines gefunden?
Ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich viele (oder nur ein) wirklich wütendes Stück außerhalb der Oper gibt. Wut assoziiert im Grunde ein negatives Gefühl. Ich weiß nicht, ob man das seinem Stück unbedingt anhaften will. Ersetzt man Wut durch zB aufbrausende Verzweiflung, dann bringe ich damit sofort den 3. Satz der Appassionata in Verbindung. Wie Beethoven das musikalisch umgesetzt ließe sich auch gut beschreiben. Wohl dürften dazu aber nicht bloß eine Handvoll Adjektive genügen.
Enttäuschung findet sich auch zB in Mozarts a-moll Sonate. Da haut er richtig auf den Putz...
 
Ich finde, es hängt sowohl vom Stück, als auch vom Programm ab, wie eindeutig der Zusammenhang zwischen Musik und Programm ist.
Bei so einem Wasserstück ist es aber auch viel leichter, die Assoziation eindeutig hervorzurufen, als bei einem abstrakteren Thema wie Dantes Inferno. Wertend kann man die beiden Stücke deshalb nur schwer vergleichen, beide gehören meiner Meinung nach auf unterschiedliche Weise zum Besten ihrer Zeit.
Es ist ein weitverbreiteter Wunsch von Komponisten, eine Assoziation zu wecken und den Hörer zu führen in seiner Wahrnehmung der Musik - also letztlich auch abzulenken von einem rein abstrakten Nachvollziehen des Gehörten. Die ursprüngliche Frage war aber, wo es eine Assoziation gibt durch die Musik. Trennen lässt sich das nur schwer - denn die Assoziation muss ja irgendwann und irgendwomit begründet worden sein.
 
Naja, wer denkt bei death metal an Musik?
Die Grenze zwischen Geräusch und Musik ist wohl individuell.
 

Ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich viele (oder nur ein) wirklich wütendes Stück außerhalb der Oper gibt. Wut assoziiert im Grunde ein negatives Gefühl. Ich weiß nicht, ob man das seinem Stück unbedingt anhaften will.
Nun, es gibt immerhin von Liszt die Etüde 'ab irato',wo der Zorn explizit titelgebend wirksam wurde.
 
Für 70% der Menschen ist der primäre Kanal der Wahrnehmung der visuelle. Der akustische Kanal ist nachrangig für diese Menschen. Für diesen Typus gilt die Aussage von Paul Valery ''Der Mensch lebt in dem, was er sieht''. Nur für ca. 27% ist der Gehörgang der primäre Kanal. Ich schließe daraus auf die Fragestellung hier bezogen, dass solche bildhaften, außermusikalischen Zuordnungen diesen visuellen Typen den Zugang erleichtern und attraktiver machen. Dass ''Wut'' explizit nicht unbedingt eine attraktive Zuordnung ist, mag der Grund dafür sein, dass sie so selten in der Musik als ''Programm'' herhalten muss. In anderen Kunstgattungen ist gepaart mit Humor das anders. Z.B. die karikierten Wutausbrüche von Wilhelm Busch oder als ''Text'', z. B. Kurt Schwitters ''Die Wut des Niesens'' (Lautgedichte).
 
Dass ''Wut'' explizit nicht unbedingt eine attraktive Zuordnung ist, mag der Grund dafür sein, dass sie so selten in der Musik als ''Programm'' herhalten muss.
Zumindest in klassischer Kunstmusik. Im Metal ist Wut ja häufig vertreten: „Rage Against the Machine“ trägt die Wut ja schon im Namen. Und im Punk auch: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ (Ton, Steine, Scherben).

Interessant, dass in jugendlichen Subkulturen Wut gegen „das System“ sehr offensiv in der Musik thematisiert wird, dass aber in der klassischen Kunstmusik, z.B. sogar bei Beethoven, der sich gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet hat, solche starke Wut nicht im gleichen Maße in die Musik integriert wird. Oder nur subtiler? Intelligenter? Feinsinniger? Differenzierter?
 
sogar bei Beethoven, der sich gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet hat, solche starke Wut nicht im gleichen Maße in die Musik integriert wird. Oder nur subtiler? Intelligenter? Feinsinniger? Differenzierter?
der geriet doch schon wegen eines Groschens in Rage, was er in einem niedlichen Klimperstückchen dann a Capriccio sublimierte - so grimmig der auf Bildern aussieht, richtig abtoben war nicht so seins :-D;-):-D

evtl. op.109 2.Satz wäre sehr kunstvoll-ästhetisch wütig, dabei ohne jeglichen außermusikalischen Bezug (?!)

Villa-Lobos "Rudepoema" will gerne partienweise wild-wütig rüberkommen, aber irgendwie gelingt es nicht so richtig...
 
Interessant, dass in jugendlichen Subkulturen Wut gegen „das System“ sehr offensiv in der Musik thematisiert wird, dass aber in der klassischen Kunstmusik, z.B. sogar bei Beethoven, der sich gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet hat, solche starke Wut nicht im gleichen Maße in die Musik integriert wird. Oder nur subtiler? Intelligenter? Feinsinniger? Differenzierter?
Ich denke, das liegt auch daran, dass Beethoven innerhalb von gewissen stilistischen Grenzen komponiert hat. Wenn seine Musik so simpel wie Punk gewesen wäre, hätte sich das niemand angehört. Vielleicht wäre er auch ins Gefängnis gekommen, wenn ein Konzert einen zu großen Skandal verursacht hätte. Die Uraufführung von Sacre du Printemps war ja 100 Jahre später...

Vielleicht hat er ja auch Punk geschrieben oder zumindest gespielt, aber die Stücke sind nicht erhalten geblieben.

Und die zeitgenössische Klassik - da habe ich keinen Überblick, aber es würde mich wundern, wenn da nicht auch wenigstens stellenweise reine Wut vorkommt.
 

Zurück
Top Bottom