Guten Tag, Clavifilius!
Du schreibst:
Ich möchte beginnen mit Deiner Unterstellung, Christian habe "Zwölftonmusik"
mit "schrecklicher moderner Klassik" gleichgesetzt. Diese Unterstellung ist völlig haltlos
und geht nicht aus dem hervor, was Du zitierst. In Wirklichkeit hat Christian lediglich gesagt,
dass er "Zwölftonmusik" nicht mag und dass er nicht davon ausgeht, daran werde sich in Zukunft etwas ändern.
Ich weiß nicht, was man als Wissenschaftstheoretiker so lernt, aber Exegese
scheint nicht dazuzugehören. Noch einmal Christians Text im Zusammenhang
(Hervorhebungen durch Fettdruck stammen von mir):
Dass mein Geschmack sich hingegen so drastisch ändert,
dass ich mal 12Tonmusik mag, bezweifel ich sehr.
Und ich glaube niemand ist entgangen, dass es vielen Klassikliebhabern
genauso geht. Sei diese Musik in der Theorie noch so anerkannt.
Vielleicht bin ich also ein Vorläufer. Es gab schließlich auch Gothik und Neo-Gothik.
Vielleicht werden mehr Menschen die Nase vollhaben von technisch theoretisch korrekter,
aber seelenloser Musik. Es würde mich nicht wundern, denn Fortschritt und Schönheit
sind nicht identisch.
Seelenlos ist meine Musik jedenfalls nicht - was ihr auch sagt.
Und darum findet sie auch durchaus Gehör. Unter denjenigen, die meine Musik gerne hören,
sind auch einige dabei mit mehr als 50 Jahren Hörerfahrung.
Sie besitzen durchaus hohe Bildung und kritisches Urteilsvermögen.
Sie finden moderne Klassik schrecklich.
Christian eröffnet seinen - naja- Argumentationsstrang mit einem subjektiven Werturteil
über die sogenannte Zwölftonmusik, der er bestenfalls zugesteht, "in der Theorie
anerkannt zu sein" (was immer das heißen mag). Christian denkt und formuliert nicht sehr präzise.
Kohärent sind seine nachfolgenden Äußerungen nur, wenn man die "technisch theoretisch korrekte,
aber seelenlose Musik" rückbezieht auf die Musik, die nur "in der Theorie anerkannt" ist.
Gleichzeitig versucht Christian, sein subjektives Werturteil zu objektivieren, unter Berufung
auf "viele Klassikliebhaber", die sein Empfinden teilen, auf "mehr Menschen", die von solcher Musik
die Nase voll haben, bis hin zu den mit einem kritischen Urteilsempfinden versehenen
hörerfahrenen Hochgebildeten, die "die moderne Klassik schrecklich" finden. Ergebnis:
Er bezieht sich konstant auf die Zwölftonmusik, sofern am Schluß nicht die gesamte Neue Musik
gemeint ist, zu der dann jedenfalls auch die Musik der Wiener Schule gehört.
Weiterhin findet sich in Deinem Beitrag eine musikhistorische Abhandlung
über die Verwendung des Ausdrucks "Zwölftonmusik". Es gibt aber nicht den geringsten Hinweis darauf,
dass Christian diesen Begriff in dem von Dir angeführten Sinne missbräuchlich verwendet,
etwa um einen "jüdisch-bolschewistischen Ursprung" anzuprangern.
Wiederum bist Du exegetisch nicht auf der Höhe: Meinem Text ist dergleichen nicht zu entnehmen.
Du liest das in ihn hinein. Ich habe Christian, der es nicht zu wissen scheint,
vor dem Gebrauch des Wortes als eines historisch belasteten Kampfbegriffs
gewarnt.
Du beklagst, dass dieser Begriff suggeriere, es handle sich um eine "uniforme Musik".
Man fragt sich hier allerdings, wie der Begriff für einen Musikstil oder für Werke,
die unter Verwendung einer ähnlichen Kompositionstechnik entstanden, überhaupt beschaffen sein sollte,
um Deiner Verdächtigung zu entgehen, damit werde eine "Uniformität" suggeriert.
Wie der Begriff dafür beschaffen sein sollte? Überhaupt nicht. Er ist nichtexistent,
weil es - wie schon gesagt - keinen aus dem Gebrauch der Technik erwachsenden "Zwölftonstil" gibt.
Der Hinweis, ein Werk sei unter strikter Observanz klassischer Dodekaphonie-Regeln komponiert,
sagt so viel aus wie eine Lektüreerfahrung, derzufolge mein Text hier aus Worten besteht.
Ein ungeübtes Ohr kann nicht unterscheiden, ob Musik "frei atonal" oder "zwölftönig" ist.
Und die klingenden Ergebnisse in zwölftöniger Musik sind so unterschiedlich wie die Komponisten:
Bergs späte Werke, die "Lyrische Suite", die Oper "Lulu" und das Violinkonzert sind allesamt
am Schönbergschen Modell der Tonhöhenorganisation orientiert, ihr Material ist aus Reihen abgeleitet.
Aber harmonisch ist die Musik über weite Strecken in der erweiterten Dur-/Moll-Tonalität angesiedelt.
Webern dagegen vermeidet tonale Bezüge, bevorzugt große Intervallsprünge und eine ausgesparte
Setzweise. J.M.Hauer verfährt nach ganz anderen Regeln, und in seiner daraus entstehenden Musik
könnte man nach heutigen Begriffen einen Vorläufer der "Minimal Music" erkennen.
Das ist doch ganz allerliebst. Muss man neuerdings selbst komponieren können,
um sagen zu dürfen, welche Musik einem gefällt und welche nicht?
Dazu hat sich Raskolnikow bereits geäußert, dem ich für seine Antwort herzlich danke.
Und wer legt den "handwerklichen Mindeststandard" für solche eigenen Kompositionen fest,
der die von Dir eingeforderte "Mindestvoraussetzung" erfüllt?
Du selbst etwa?
Um - zu Ostern passend - mit einem Bibelwort zu antworten: Christian sucht den Splitter
in seines Bruders Auge und sieht den Balken vor seinem eigenen nicht. Wenn Strawinsky
an Schönberg, an den theoretischen Grundlagen von dessen Musik herumnörgelt
(vor 1951, danach hat er sich selbst der Reihentechnik bedient und Schönbergs Musik
liebengelernt!), geschieht das wenigstens auf "Augenhöhe".
Du scheinst da etwas nicht zu verstehen: Niemand mißgönnt Christian das Komponieren
in historisierenden Tonfällen. Was die Ergebnisse betrifft, sollte er jedoch imstande sein,
wohlwollende Kritik auszuhalten, die ihn sogar noch auf drastische Mängel hinweist.
Das Recht, sich über Musik abfällig zu äußern, macht ihm ebenfalls niemand streitig.
Der polemische Widerspruch entzündet sich am Mißverhätnis zwischen der rudimentären Art und Weise,
wie Christian in Tönen denkt - belegt durch seine Partituren -, und der von ihm weder begrifflich erfaßten
noch hörend nachvollzogenen Materie, über die er sich abfällig äußert.
Gruß, Gomez
P.S.: Ein paar Fragen hast Du ganz unbeantwortet gelassen. Für Deine Behauptung,
daß Christians Person und Werk diskreditiert würde, er selbst von einem wider ihn
verschworenen Kollektiv öffentlich hingerichtet werde und die Lösung aller Probleme
in der Löschung des Fadens bestünde - dafür hätte ich gerne ein paar Belege gesehen.
Auch wüßte ich gerne, bis zu welchem Alter jemand in einer Forumsdiskussion
Narrenfreiheit genießt.
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