Wie geht ein Berufsmusiker mit "ungeliebter" Musik um?

Für Handwerker und Dienstleister aller Art gilt: „Der Köder muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Trifft dies auch für den Künstler zu, oder verrät er damit seine ästhetischen Ideale? Wenn Lessing den Hofmaler Conti sagen läßt: „Kunst geht nach Brot“, so hat das durchaus einen bitteren Unterton.
 
Im Falle des Berufsmusikers kann man leider nicht mehr wirklich von Künstler sprechen. Abgesehen von Solisten wahrscheinlich, falls sie noch unverbogen sind.
 
Im Falle des Berufsmusikers kann man leider nicht mehr wirklich von Künstler sprechen. Abgesehen von Solisten wahrscheinlich, falls sie noch unverbogen sind.
Das ist Unsinn.
Ein Berufsmusiker, der sein Publikum „berührt“ (allein oder mit Band/Orchester) ist ein Künstler. Aus meiner Vergangenheit kann ich sagen, es gibt Stücke, die ich nicht üben und hören mag. Wenn aber das entsprechende Publikum dabei ist, kann es das beste sein (U-Musik). Da muss man sich nicht verbiegen, das kommt von ganz unten.
 
Nö, das ist kein Unsinn. Bevor wir aneinander vorbei reden, muss erst mal klar sein, was ein Künstler ist. Siehst du das (versicherungs-) rechtlich, magst du Recht haben.
Ein Dienst nach Vorschrift ausübender Orchestermusiker muss sich das mangels Eigenanteil der Schaffensphase mMn absprechen lassen. Das soll nicht heißen, dass diese Musiker außerhalb ihres Brotberufes sehr wohl künstlerisch wirken können oder dürfen.
 
Ein Orchestermusiker ist in seiner Tätigkeit im Orchester (liebevoll als „Tutti-Schwein“ bezeichnet) in der Regel ebenso wenig Künstler wie ein Musiklehrer während des Unterrichtens. Deshalb haben ja so viele Orchestermusiker auch ein Interesse daran, Solo- oder Kammermusik zu spielen, um eben selbst künstlerisch zu gestalten und nicht nur die künstlerischen Ideen des Dirigenten als Dienstleistung umzusetzen.
 
Ich habe mich mal bereiterklärt, bei einer Aufführung von "Linie 1" Bass zu spielen. ich mag absolut keine Musicals (Geschmackssache), aber diese Stücke mit einer Band einzuüben hat mir durchaus Spass gemacht.
Ich habe die Fortschritte bei den Proben gesehen, und mich mit und für die anderen darüber gefreut ... immer mit dem Ziel vor Augen, diese Stücke "gut" klingen zu lassen.

Natürlich ging es dabei nicht darum, ob ich künstlerisch tätig werden kann ... wie gesagt, ich bin dann Auftragskiller der seinen Job macht und den auch nicht auf die Reproduktion der passenden Töne zur passenden Zeit reduziert.
Auch wenn mein Job darin besteht, 64 Takte lang Wechselbass auf zwei oder drei wechselnden Harmonien zu spielen, bin ich immer bemüht, das "musikalisch" zu spielen ... das gilt sogar, wenn ich nur einen einzigen Ton rhythmisieren muss ... auch dabei muss am Ende Musik herauskommen ... auch ohne die anderen Instrumente dabei.

Aber ich war auch froh, als das Schuljahr an der Schule vorrüber war, und die Theater-AG ein anderes Stück anging (die hatten den Schlagzeuger und mich für "Linie 1" als "Externe" dazugeholt).
Ich habe mir die Noten zu "Linie 1" danach nie wieder angesehen, vielleicht habe ich mein Exemplar sogar verschenkt.

Natürlich ist es nice, mich auf dem Instrument ein bisschen austoben zu können (ich bin kein Jazzer, also versteht dieses Austoben nicht falsch) und zu zeigen, was ich kann ... darauf liegt der Fokus allerdings nur selten ... gerade im Bandkontext. Da geht es erstmnal nur darum, dass die Musik funktioniert ... egal welche Musik das ist, und was ich von meinem Part darin halte.

Ich habe in meiner Samba-Gruppe jahrelang nur tiefe Trommeln gespielt (meist nur 2 sehr einfach gelagerte Anschläge im Takt). Ich kann auch fast alle anderen Instrumente in dieser Band spielen, und die meisten davon sind weitaus interessanter als die Surdos ... die Surdos bilden aber nunmal das Herz des Samba, den Puls* ... und da braucht man Menschen, die stabil genug sind, um den Rest (der oft aus Laien besteht) zu stabilisieren ... viele von denen halten sich nämlich an den Surdos fest. Mein Job war dann halt, stundenlang "Viertel Note, Viertel Pause" (oder andersrum) zu spielen ... und das bitte mit Spass inne Backen ... auch wenn man nach ~3 Stunden dann Schmerzen im Rücken sowie an Knien und Händen hat.

*) Es klingt sofort nach Samba, wenn man eine hohe Surdo auf 1 und 3 (nicht zwingend notwendig), eine tiefe Surdo auf 2 und 4 sowie einen Schaker in Sechzehntel mit punktierter Viertelbetonung laufen hat (Letztere sind notwendig). Hat man da sichere Musiker dran gesetzt, kann der Rest sich wunderbar dran festhalten (man kann die drei sogar mal alleine lassen).
Hat man da Unsichere dran, wird das eher "wildes Geklapper" als "Samba".
 
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Noch ein Dirigenten-Witz:

Ein Geiger wird vorm Konzert gefragt, was der Maestro denn heute dirigiert.
Antwort: "keine Ahnung ... wir spielen jedenfalls Beethovens Fünfte".
 
Um
Ein Orchestermusiker ist in seiner Tätigkeit im Orchester (liebevoll als „Tutti-Schwein“ bezeichnet) in der Regel ebenso wenig Künstler wie ein Musiklehrer während des Unterrichtens.
Ein Dienst nach Vorschrift ausübender Orchestermusiker muss sich das mangels Eigenanteil der Schaffensphase mMn absprechen lassen. Das soll nicht heißen, dass diese Musiker außerhalb ihres Brotberufes sehr wohl künstlerisch wirken können oder dürfen.
Ein Musiker, der mit seinen Kollegen einen Klangkörper schafft, ist imo ein Künstler. „Dienst nach Vorschrift“ ist natürlich was anderes, das kann aber auch ein Solist.
 
Wenn ein gutes Orchester nur so spielen würde, wie es der Dirigent will, gäbe es keinen Unterschied z.B. zwischen den Wienern, Berlinern und Chicagoern
 
Soll das wieder zum Streit ausarten? Keiner hat vollkommen Recht, aber jeder ein bisschen. Manches ist etwas überspitzt ausgedrückt. Mal drüber reflektieren.
Womit das zu tun hat, dass verschiedene Orchester verschieden klingen, wird an den verschiedenen Zutaten liegen.
 

Wär vielleicht gar nicht so schlecht.
 
Auch Dienstleistungen können qualitativ hochwertig sein.

Davon abgesehen: Eine künstlerische Aussage hat für mich immer etwas mit Kompromisslosigkeit zu tun. Kompromisse können marktökonomische und sonstige Einengungen der künstlerischen Freiheit sein, aber eben auch die schiere Menge der Mitausführenden. Ein Solokünstler kann sich künstlerisch vollkommen frei ausleben, ein Kammermusiker in etwas geringerem Maße, und ein Orchestermusiker nur noch sehr begrenzt.
 
Eine künstlerische Aussage hat für mich immer etwas mit Kompromisslosigkeit zu tun.
Gerade die Notwendigkeit Kompromisse einzugehen (z.b Zensur zu umgehen) hat große Kunst hervorgebracht.
. Ein Solokünstler kann sich künstlerisch vollkommen frei ausleben,
Das glaube ich nicht.
ein Kammermusiker in etwas geringerem Maße, und ein Orchestermusiker nur noch sehr begrenzt.
Als Individuum wohl nicht, aber als Kollektiv hat jedes Mitglied seinen Einfluss. Klar, ist es nur ein Rädchen, aber ohne das Rädchen geht der Motor nicht. Und mit einem anderen Rädchen läuft er anders.
 
Also in meinem Falle, beim Gewachel von Bertrand de Billy Dienst nach Vorschrift wie beim obigen Witz, bei Harnoncourt kompromisslos mitbegeistert. Einmal Dienstleister einmal aktiv mitgestaltender Teil des Kunstwerks, also nach meinem Verständnis, insofern es gelingt, die Interpretation zu verstehen und umzusetzen, auch Künstler.
 
Noch ein Dirigenten-Witz:

Ein Geiger wird vorm Konzert gefragt, was der Maestro denn heute dirigiert.
Antwort: "keine Ahnung ... wir spielen jedenfalls Beethovens Fünfte".
Den hat man sich erzählt, als Karajan noch bei den Berliner Philharmonikern war. Wahrscheinlich stammt er aus der Ära Furtwängler.

Bernstein hat sich mal während eines Konzert-Dirigats von seinem Platz entfernt und sich wie ein Zuschauer an den den Rand gestellt. Nach dem Grund wurde er später befragt und hat ungefähr geantwortet: ''Die sind perfekt. Die brauchen mich nicht mehr.''
 

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