Was haltet ihr von den Thesen von Wim Winters (AuthenticSound auf YT) zu Tempo-Angaben ?

Wenn man bedenkt, dass die Instrumentenentwicklung damals rasante Fortschritte gemacht hat, könnte man das sehr gut als Indiz auch dafür sehen, dass es Beethoven nicht sonderlich interessiert hat, ob man die Sonate auf den gerade verfügbaren Instrumenten gut spielen konnte. Es war Zukunftsmusik im wahrsten Sinne des Wortes.
Leider ist diese angebliche Zukunftsmusik nie für den Tonumfang der heutigen Flügel (88 oder mehr Tasten) komponiert worden. Da wäre doch viel mehr möglich gewesen, wäre der Komponist nicht eng den Möglichkeiten der damals konstruierten Instrumente gefolgt.
 
Leider ist diese angebliche Zukunftsmusik nie für den Tonumfang der heutigen Flügel (88 oder mehr Tasten) komponiert worden. Da wäre doch viel mehr möglich gewesen, wäre der Komponist nicht eng den Möglichkeiten der damals konstruierten Instrumente gefolgt.
So so, dann wirst du uns sicher auch die Stellen in op. 106 nennen, an denen Beethoven hinsichtlich des Tonumfangs Kompromisse eingehen musste. ;-)

Davon mal abgesehen, hat Beethoven in seinen späten Sonaten Töne verwendet, die auf den meisten Instrumenten der Zeit noch nicht vorhanden waren.
 
Naja, zumindest die eine Passage in der Fuge, wo das weggelassene Subkontra-B wegen des damaligen Tonumfangs einfach nur offenhörlich blöd klingt, fällt mir da ein.
Genau - das sind die beiden Subkontra-Bs in der b-Moll-Episode. Für mich eher ein Beleg dafür, dass Beethoven die Grenzen der damaligen Instrumente eben nicht akzeptiert hat und keine Kompromisse eingegangen ist. Er legt den Mangel einfach offen! Hätte er für die damaligen Instrumente geschrieben, hätte er die Stelle ganz anders komponiert und sich nicht mit der unbefriedigenden Krücke des einfachen Weglassens dieses Tones zufrieden gegeben.
 
Heißt das letztlich, daß Beethoven angesichts des grassierenden historischen Instrumentenhypes im Grab rotiert?

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit!
Was für eine Einstellung Beethoven zu modernen Flügeln haben würde können wir nicht wissen! Aber, dass er mit den Instrumenten seiner Zeit nicht besonders glücklich war ist ganz gut belegt!
"Wann wird man endlich ein Klavier von einer Harfe unterscheiden können. " (Sinngemäß zitiert)
 
Zuletzt bearbeitet:
Selbst während meiner kurzen Lebensspanne konnte ich problemlos beobachten, wie sich Detailwissen über Computertechnik der Frühzeit über ein paar Jahrzehnte nach Stille-Post-Methode mehr oder weniger stark verändert hat, um dann schließlich irgendwann bei Wikipedia anzukommen.

Sicherlich! Aber hier geht es nicht um Wissen oder technische Innovation, sondern darum, was Menschen als schnell und langsam empfinden und welche Geschwindigkeiten möglich und musikalisch sinnvoll sind!
Wenn es also von Beethoven heißt, er habe dies oder das in den allerschnellsten Tempi gespielt (Auch Mendelssohn war wohl eher ein zügiger Pianist) dann kann das rein physiologisch nicht ein halbes Tempo im Vergleich zu heute sein.
Um ein Beispiel aus dem Sport zu bemühen: der Weltrekord über 100 m ist in den letzten 80 - 90 Jahren mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln erheblich gesteigert worden, aber er hat sich nicht halbiert!
Die Reflexgeschwindigkeit der Menschen (aktiv wie passiv) dürfte sich in den letzten 10 000 Jahren nicht um den Faktor 2 verändert haben.
 
Das Tempoempfinden z.B. für den Begriff "schnell" in musikalischer Hinsicht ist nicht so objektivierbar wie beim Laufen. Ich halte es für durchaus möglich, dass z.B. die Chopin-Etüde Op.25/8 (parallele Sexten), die ich mir nach langer Zeit wieder vorgenommen und in verschiedenen Tempi probiert habe, sowohl mit der "modernen" Lesart Halbe=69 als auch mit dem Tempo Viertel=69 Schläge als "lebhaltes" Alla-Breve-Tempo ("Vivace") zu empfinden ist, mit 69 Vierteln pro Minute ist natürlich das artistische Moment, an das wir uns seit langer Zeit gewöhnt haben, nicht mehr im Vordergrund, "lebhaft" ist das Stück immer noch.
 
Das Tempoempfinden z.B. für den Begriff "schnell" in musikalischer Hinsicht ist nicht so objektivierbar wie beim Laufen.
Tempo-Wahrnehmung ist nur nicht unterschiedlich zwischen verschiedenen Menschen, sondern sogar unterschiedlich für die gleiche Person, abhängig von Alter, Tagesform, Hormonstatus (und ggf. Berauschungszustand).

Selbst unter der (in der Menschheitsgeschichte einzigartigen) Voraussetzung, daß ein Wim Winters und ein Virtuose des 19. Jahrhundert die gleiche Lesart verwenden, kann der eine ein Tempo als "Warp-Speed" empfinden, während es dem Komponisten einfach nicht schnell genug gehen kann.

Das ändert sich nicht dadurch, daß man die Sekunde atomzeitgenau messen und damit absolute Angaben über die Gesamtdauer einer Performance machen kann. Jeder weiß, wie lang fünf Minuten dauern können und wie schnell eine Stunde herum sein kann.

Das Metronom wurde ja genau deshalb eingeführt, um die Musik vom subjektiven Tempo-Empfinden abzukoppeln. Die zu klärende Frage ist, wie nützlich solch eine absolute Messung ist und wen sie glücklich macht. Denn Musik wird ja immer noch für den Menschen gemacht, nicht für die Maschine.
 
...hier geht aber einiges durcheinander und am Thema vorbei...

Es geht hier einzig um die absurde These, dass man Beethoven und Chopin exakt doppelt so schnell spielt, wie sie angeblich gespielt werden müssten - das absurde daran ist, dass das angeblich zu schnelle (doppelt so schnelle) Tempo genau dann produziert wird, wenn man die authentischen Metromomangaben von Beethoven und Chopin realisiert...

Es geht nicht um irgendein diffuses Tempoempfinden irgendwelcher Epochen.

Zur bescheuerten Tempohalbierungs"theorie" ist alles nötige im Faden schon aufgezählt worden.
 
Das Metronom wurde ja genau deshalb eingeführt, um die Musik vom subjektiven Tempo-Empfinden abzukoppeln. Die zu klärende Frage ist, wie nützlich solch eine absolute Messung ist und wen sie glücklich macht. Denn Musik wird ja immer noch für den Menschen gemacht, nicht für die Maschine.

Aber genau dafür ist das doch gut. Wir benutzen eine Maschine, die uns bei etwas hilft, was sie besser kann als wir. Wir haben dann die Möglichkeit, diese Erkenntnis zu nutzen oder auch nicht und damit sinnvoll umzugehen.

Nur, weil ich eine Uhr habe, heißt das noch lange nicht, dass ich jetzt alle Stunden als gleich lang zu empfinden habe, oder?

Grüße
Häretiker
 

Es geht hier einzig um die absurde These, dass man Beethoven und Chopin exakt doppelt so schnell spielt, wie sie angeblich gespielt werden müssten
Dir geht es vielleicht darum, aber mir stellt sich zunächst mal die Frage: "Was ist eigentlich ein Allegro?" Die Streiterei um den Doppelschlag lenkt eigentlich nur vom Thema ab.

Es geht nicht um irgendein diffuses Tempoempfinden irgendwelcher Epochen.
Zeitempfinden ist nicht an Epochen gebunden, sondern immer noch höchst individuell an den Menschen.

Für mich ist es kein Problem, daß ein Klaviervirtuose des 19. Jahrhunderts deutlich eiliger unterwegs ist und ein Winters auf gemütlicheren Seite und sie beide am Ende für sich selbst das gleiche hören. Da braucht es keine exakte Tempohalbierung mit seltsamen Erklärungen, die Bandbreite kann auch völlig anders liegen.

Aber genau dafür ist das doch gut. Wir benutzen eine Maschine, die uns bei etwas hilft, was sie besser kann als wir.
Was kann sie denn besser? Musik machen? Ein Metronom ist eine mechanische Uhr.

Wenn zwei Menschen mit einem sehr unterschiedlichen Zeitempfinden aufeinandertreffen, das können sie diesen Unterschied mit dem Metronom messen. Der Rest ist Streiterei darum, wessen Empfinden jetzt "korrekt" ist. In alten Zeiten entschied das in der Regel ein mächtiger Monarch. Dessen Fuß, Elle oder Pfund war dann für alle bindend. :-D
 
Was kann sie denn besser? Musik machen? Ein Metronom ist eine mechanische Uhr.

Eben.

Damit kann ich:
- meine Vorstellung von Tempo als Arrangeur, Komponiste, wasweissich objektiv vermitteln, ohne, dass einer mich persönlich und meiner Lbenesumstände kennt.
- als Kontrolle ein Metronom nutzen, um zu merken, wo mein Puls langsamer oder schneller wird; es soll ja Leute geben, die mit anderen spuielen. Wenn mein puls schneller wird und die anderen beibhalten, laufe ich denen davon

Besser Musik sicher nicht. genau so, wie die Uhr keine Zeit empfindet, erst recht nicht eine 'schöne zeit'.


Izh habe schon mehrfach(!) erlebt, wie Solisten bei bestimmten Stellen abhauten, als zu lang empfundende Pausen abkürzten und, und, und. Der zuhörer merkte es, aber nicht der Solist selbst.

Was half: Die Stellen mal mit Metronom spielen. Um zu merken, wie die eigene Wahrnehmung einen Streich spielen kann. Das Ziel ist ja, zusammen 'schöne'musik zu machen und wenn einer davonläuft, dann hilft das nicht.

Das meinte ich mit 'nutzen' und 'sinnvoll umgehen'.

Bei Blasinstrumemten ist es auch oft die nicht so gute Atemfürung, die einen schneller spielen lässt wg. Luftvorrat.


Grüße
Häretiker
 
meine Vorstellung von Tempo als Arrangeur, Komponiste, wasweissich objektiv vermitteln, ohne, dass einer mich persönlich und meiner Lbenesumstände kennt.
Damit kann ich als Herausgeber also vermitteln, daß meine Vorstellung von "Allegro Moderato" Viertel = 152 entspricht. Und jetzt?

als Kontrolle ein Metronom nutzen, um zu merken, wo mein Puls langsamer oder schneller wird; es soll ja Leute geben, die mit anderen spuielen.
Genau und dann muß man sich halt einigen.

Wenn jetzt bspw. ein Monarch festlegt, daß ab sofort alles in halben Tempo gespielt wird, weil es seinem Tempo-Empfinden entspricht, dann halten sich die Musiker daran, oder sie werden - ggf. lethal - sanktioniert.

Das nennt man Konvention. Diese Konventionen werden heutzutage natürlich auf andere Weise ermittelt.
 
...bislang hat kein Monarch die Metronomangaben in Chopins Manuskripte gekrakelt, aber vielleicht kommen da noch erschütternde Erkenntnisse, auf die man gespannt sein darf.
 
Dir geht es vielleicht darum, aber mir stellt sich zunächst mal die Frage: "Was ist eigentlich ein Allegro?" Die Streiterei um den Doppelschlag lenkt eigentlich nur vom Thema ab.
1. Überschrift lesen: es geht um die absonderliche "These" vom angeblich authentischen halben Tempo (sie ist Unsinn)
2. schön, dass dich die Frage umtreibt, was Allegro ist - bedauerlicherweise ist sie nicht Gegenstand in diesem Faden (...Überschrift lesen...)
 
1. Überschrift lesen: es geht um die absonderliche "These" vom angeblich authentischen halben Tempo (sie ist Unsinn)
2. schön, dass dich die Frage umtreibt, was Allegro ist - bedauerlicherweise ist sie nicht Gegenstand in diesem Faden (...Überschrift lesen...)
Dir geht es ausschließlich darum, das hast du ja schon erwähnt.

Für mich hingegen passen meine Beiträge in diesen Thread perfekt unter die Überschrift, denn ich habe ich mit Winters Arbeit schon etwas detaillierter auseinandergesetzt, was die Perspektive dann eben nicht total auf den "Doppelschlag" einengt.

Was übrigens auch nicht bedeutet, daß ich seinen Thesen zustimme oder sie gar selbst vertrete. Ich bevorzuge es aber, mir eigene Meinung zu bilden.
 
Warum versucht man seine eigenen Unzulänglichkeiten gerade zu rücken, nur um sich dann in seiner Meinung wohl zu fühlen. Was bringt dieser Selbstbetrug.....
 
Auf wen ist das bezogen?
 
In Wellen kommt seit Talsma und Wehmeyer der fatale Unsinn vom halben Tempo wieder hoch!
Wer glaubt Beethoven habe 16tel bei Viertel gleich 80 (moderne Metronomverwendung ) als virtuos und schnell (Allegro von brio ) empfunden soll's halt glauben.
 

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