Verhältnismäßig unbekannte Klavierwerke

Lieber Rolf,

ich danke dir für diesen ergänzenden Beitrag! Du hast sicher mit dem Recht was du schreibst. Was mir so an diesem Stück gefällt ist diese deutlich russische, folkloristische Färbung kombiniert mit dem lisztigen Klaviersatz, auf beides steh ich einfach, auch wenn die Sonate sicher wenig Innovatives mit sich bringt. Was hältst du eigentlich von seinen Etüden? Kann man über die ähnlich urteilen, wie über die Sonate?

Viele Grüße!
 
Lieber Rolf,

ich danke dir für diesen ergänzenden Beitrag! Du hast sicher mit dem Recht was du schreibst. Was mir so an diesem Stück gefällt ist diese deutlich russische, folkloristische Färbung kombiniert mit dem lisztigen Klaviersatz, auf beides steh ich einfach, auch wenn die Sonate sicher wenig Innovatives mit sich bringt. Was hältst du eigentlich von seinen Etüden? Kann man über die ähnlich urteilen, wie über die Sonate?

Viele Grüße!

Lieber Troubadix,

vier 1910 aufgezeichnete Welte-Mignon-Rollen bieten uns die Möglichkeit, den Meister als Pianisten in eigener Sache selbst zu erleben, darunter diese hier:
Liapunov plays Liapunov, Transcendental etude no. 12 - YouTube

Mit seiner Bemerkung hat rolf den Nagel auf den Kopf getroffen: Bis in die Titelwahl hinein ist das Vorbild Franz Liszts allgegenwärtig. Man könnte zu Beginn des Stücks denken, dass gleich die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 beginnt. Es ist zwar das musikalische Geschehen gleichsam durch die Brille von Tschaikowsky und Balakirew (dessen "Islamey" er für Orchester bearbeitet hat) gefiltert; dabei handelt es sich um eine Stilistik der Nach-Tschaikowsky-Ära, der auch andere Komponisten wie Glasunow, Arensky, Tanejew u.a. zuzurechnen wäre. Diese ist auf der Schnittstelle zwischen ihren Wurzeln und den progressiver eingestellten russischen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Skrjabin, die russischen "Futuristen", Prokofiew, Strawinsky) im Schatten geblieben, zumal letztere auch international erfolgreicher waren. Sicherlich kam die zunehmend durch die politische Lage gelenkte stilistische Vorgabe der Stalinzeit (Einforderung eines politisch instrumentalisierbaren Gegenwartsschaffens) erschwerend dazu, so dass das kompositorische Schaffen noch aus zaristischen Zeiten vielerorts auf der Strecke blieb. Heute spielen die einstigen politisch motivierten Einflüsse keine Rolle mehr, dafür beträgt die zeitliche Substanz mehr als einhundert Jahre - es ist also vorprogrammiert, dass vieles Epigonale um 1900 in der Versenkung verschwunden ist. Wer allerdings eine Alternative zu Liszt und dem sogenannten "Mächtigen Häuflein" sucht, kann sich in jedem Fall die Sonate gewinnbringend vornehmen, wenn man den erheblichen Aufwand für die Einstudierung nicht scheut. Diesen würde ich für vergleichbar mit einem identischen Werk Liszts einschätzen.

LG von Rheinkultur
 
Bis in die Titelwahl hinein ist das Vorbild Franz Liszts allgegenwärtig. Man könnte zu Beginn des Stücks denken, dass gleich die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 beginnt.

Lieber Rheinkultur,

in diesem Beispiel ist das nicht ganz fair. Ljapunow hat diese Etüden ganz klar Liszt zugedacht und wollte dessen Vorhaben vollenden, 24 solcher Etüden in allen Tonarten (so war es ursprünglich gedacht) zu schreiben. Diese von dir verlinkte 12. Etüde hat sogar den Beinamen "Elegie en memoire de Francois Liszt" von Ljapunow erhalten, da darf sie doch auch nach ihm klingen. Bei der Sonate schaut das sicher anders aus. Deinem restlichen Beitrag stimme ich aber voll und ganz zu.

Viele Grüße!
 
Lieber Rheinkultur,

in diesem Beispiel ist das nicht ganz fair. Ljapunow hat diese Etüden ganz klar Liszt zugedacht und wollte dessen Vorhaben vollenden, 24 solcher Etüden in allen Tonarten (so war es ursprünglich gedacht) zu schreiben. Diese von dir verlinkte 12. Etüde hat sogar den Beinamen "Elegie en memoire de Francois Liszt" von Ljapunow erhalten, da darf sie doch auch nach ihm klingen.
Das ist natürlich richtig. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten für einen Komponisten, einem Vorbild zu huldigen: Entweder von der eigenen Sprache und Stilistik ausgehen oder sich stilistisch am Vorbild auszurichten, um eine eigene Form der Huldigung zu finden. Ab dem 20. Jahrhundert dominiert die erstgenannte Möglichkeit (auch wenn wie bei Berio oder B.A. Zimmermann fast wörtlich zitiert wird), während dieser Gegensatz zur dur-moll-tonalen Zeit noch nicht so ausgeprägt war.

Mag hier der Bezug zum verehrten Vorbild Liszt bewusst gewollt und durch die gewählte Thematik begründet sein, kommen andere Werke auch dann im musikalischen Fahrwasser Liszts daher, wenn eigentlich eher die eigene Sprache Ljapunows gefragt wäre. Diese Vermutung meinerseits dient der Begründung, weshalb sich die exzellent gearbeiteten und abwechslungsreich gestalteten Werke Ljapunows aller Qualität zum Trotz nicht im Musikleben behaupten konnten. Wer aber nach russischem Repertoire nach Tschaikowsky und abseits "futuristischer" Strömungen sucht, kann hier durchaus mit künstlerischem Gewinn fündig werden, da gebe ich Troubadix auf jeden Fall recht.
 
Vielen Dank für die Hinweise auf Liapunov und die Diskussion über seinen Stil. Ich kenne seine Sonate (vom Hören - nicht vom selbst spielen) nun schon länger und höre sie immer wieder gerne. Aber klar, an die Sonate von Liszt kommt sie nicht heran. Aber das muss sie auch gar nicht. Schön ist sie allemal.

Um den Thread fortzuführen hier nun ein selten gespieltes Klavierkonzert:
Das Klavierkonzert von Max Reger
Ich bin auch direkt ehrlich genug zu sagen, dass es mich nicht wundert, warum dieses Konzert so selten gespielt wird. Ich vermute, für das "durchschnittliche" Publikum erschließt sich dieses Werk beim ersten Hören nicht. Anstatt einprägsamer Melodien bleibt aufgrund der sehr komplexen Harmonik und der Klangfülle wohl eher verhältnismäßiger Klangbrei im Gedächtnis. Die Schönheit des Werks zeigt sich wohl erst, wenn man ein paarmal intensiver hineinhört und die Motive und Themen und ihre Verarbeitung "gewohnt" wird. Das ist im Konzertsaal natürlich so nicht möglich.
Und gemessen an dieser vermutlich eher verhaltenen Publikumsrezeption sind dann die manuellen Hürden für den Pianisten wohl einfach zu hoch, um sich gerade für dieses Werk zu entscheiden.

Gerade im ersten Satz (aber teilweise auch im dritten) ist dieses Konzert für den Pianisten ja über sehr lange Passagen mehr oder weniger ein wahnsinnig vollgriffiger Akkordkampf gegen ein Fortissimo-Orchester. Und das in einem Klaviersatz, der schon per se alles andere als einfach zu sein scheint.

Für ungeübte Hörer empfehle ich deshalb zum Einstieg insbesondere erst einmal den etwas "harmloseren" zweiten Satz, wenngleich ich selbst das Konzert in Gänze für ein sehr beeindruckendes Werk halte. Genau deshalb stelle ich es hier nun auch natürlich in Gänze vor (Noten sind in den Videos direkt zum Mitlesen. Aufnahme: Gerhard Oppitz (Klavier) mit den Bamberger Sinfonikern unter Leitung von Horst Stein):

Max Reger - Klavierkonzert - 1. Satz, Teil I (Exposition, Durchführung)
Max Reger - Klavierkonzert - 1. Satz, Teil II (Reprise, Coda)
Max Reger - Klavierkonzert - 2. Satz
Max Reger - Klavierkonzert - 3. Satz

Nachtrag: Für diejenigen, die ohne die Noten klarkommen und sich das Werk rein über das Hören erschließen möchten, empfehle ich folgende Einspielung von Michael Korstick (Klavier) mit dem Münchner Rundfunkorchester, die ich für gelungener halte als die oben verlinkte:
Weitere Aufnahme des Klavierkonzerts von Max Reger
HINWEIS: Bei diesem Youtube-Link sind im Video sehr lange Pausen zwischen den Sätzen. Die Sätze können aber in der Videobeschreibung einzeln angewählt und somit angehört werden.
 
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Ich bin neu hier und habe gerad diesen sehr interessanten Theard gefunden!

Ich bin seit einiger Zeit auch aufmerksam auf eher unbekanntere Werke geworden.
Ein ganz besonders tolles Stück, wie ich finde, ist von Schnitte das Konzert für Klavier vierhändig und Kammerorchester aus dem Jahr 1988. Schnittke war Russe/Deutsch. Einfach mal anhören, wirklich seeehr interessant!
Alfred Schnittke: Concerto per pianoforte a quattro mani e orchestra da camera (1988) - YouTube

Übrigens zum Thema Symanowski: In Polen ist Szymanowski garnicht so unbekannt (Habe eine Hausarbeit über ihn geschrieben). Aus Polen kommen einige sehr hörenswerte Komponisten die anderswo kaum bekannt geworden sind. Zu meinen Favouriten gehören: Grażyna Bacewicz, Henryk Wieniawski (Geige) und Witold Lutoslawski, welcher vielleicht schon eher ein Name ist. Sehr hörenswert finde ich sind seine Variationen über ein Thema von Paganini für zwei Klaviere (spiele ich auch gerade selbst). Das ist mal was anderes als die Variationen von Brahms, Rachmaninoff etc... Argerich and Kissin play Lutoslawski - Paganini variations Audio + Sheet music - YouTube (vielleicht ist es garnicht soo unbekannt?)
 
(vielleicht ist es garnicht soo unbekannt?)
(da hast du völlig recht: in Polen ist Szymanowski sehr bekannt und wird oft genug gespielt, auch seine Oper König Roger, von den Etüden und Sonaten ganz zu schweigen - - - Wienjawskis berühmtes Violinkonzert ist aus der Geigenliteratur nicht wegzudenken, es zählt zu den viel gespielten Virtuosenkonzerten - - - Lutoslawski ist alles andere als unbekannt - - - das Schnittke Konzert kannte ich noch nicht)
 
Übrigens zum Thema Symanowski: In Polen ist Szymanowski garnicht so unbekannt...

Das glaube ich dir sofort! Natürlich gibt es sehr viele regionale Unterschiede, was bekannte und unbekannte Musik betrifft. Medtner z.B. wird in Russland viel öfter gespielt, als bei uns. Das witzige bei Szymanowski ist, dass er zu Lebzeiten in Europa und Amerika sehr viel bekannter war, als in Polen und natürlich auch sehr viel bekannter als heute. Gerade Szymanowskis Klavierwerk ist bei uns leider und zu Unrecht eher unbekannt und durch meinen Einsatz für ihn hoffe ich, dies zumindest ein bisschen ändern zu können. Deswegen werde ich ihn auch weiterhin bei jeder Gelegenheit erwähnen! :)

Viele Grüße!
 
Medtner z.B. wird in Russland viel öfter gespielt, als bei uns.
Wenn schon jetzt gerade eben der Name Medtner fällt, dann dürfte jetzt wohl der richtige Zeitpunkt sein, um das nächste Stück hier in den Thread zu stellen, welches ich sowieso in den nächsten Tagen hier präsentieren wollte:

Die Klaviersonate op. 53, No. 2 von Nikolai Medtner (auch als "Sonata minacciosa" bezeichnet):

Hamelin plays Medtner - Sonata minacciosa, op. 53 No. 2 Audio + Sheet music - YouTube

Medtner hat insgesamt 14 Klaviersonaten komponiert (die übrigens alle durchaus hörenswert sind - die "Sonata minacciosa" halte ich aber für die interessanteste Sonate Medtners).

Es handelt sich um Medtners 13. Sonate. Wenn man diese einsätzige Sonate mit Medtners sonstigem Schaffen vergleicht, fällt die Progressivität der Sonate auf. Tonal lehnt sich Medtner selten weiter aus dem Fenster als hier in dieser Sonate. Bereits in den ersten Takten wird dies ersichtlich.

Der Sonatensatz kommt mit sehr wenig thematischem Material aus, welches aber exzellent verarbeitet wird, sowohl in der Auseinandersetzung und Rekombination der zugrundeliegenden Motive, als auch insgesamt harmonisch sowie rhythmisch. Die Dichte und Ausführlichkeit der thematischen Verarbeitung findet sich wohl in wenigen anderen Werken in solch einer Dimension. Bereits die ersten vier Takte der Sonate präsentieren das rhythmisch prägnante Hauptthema, dessen Grundmotive die gesamte Sonate durchspannen. Auch das Thema in Gänze wird in der Sonate sehr oft aufgegriffen. Am eindrucksvollsten ist hierbei wohl die fugenartige Passage etwa in der Satzmitte.

Laut der englischsprachigen Wikipedia sagte Medtner selbst über diese Sonate, dass sie seine zeitgenössischste Komposition sei, da sie die bedrohende Atmosphäre der gegenwärtigen Ereignisse wiederspiegele. (Wobei man in diesem Kontext beim Wort "gegenwärtig" im Hinterkopf haben muss, dass die Sonate zwischen 1929 und 1931 entstand, also zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise - unnötig zu erwähnen, was in der Geschichte darauf hin folgte...).
 
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Nikolai Medtner in eigener Sache zuhören?

"Wenn schon jetzt gerade eben der Name Medtner fällt..."
...dann wollen wir doch einmal schauen, ob er die Dichte und die Spannungsbögen seiner eigenen Musik auch als Interpret rüberbringen kann. Ich meine, dass sich die Begegnung mit dem Interpreten in eigener Sache lohnt - viel Vergnügen beim (allerdings nicht ganz rauschfreien) Reinhören:
Medtner plays Fairy Tale Op. 20/2 in B minor "Campanella" - YouTube
Medtner plays Fairy Tale Op. 14 No. 2: March of the Paladin - YouTube
Medtner plays Fairy Tale in B flat Op. 20/1 - YouTube
Medtner plays Forgotten Melodies Op. 38: 3. Danza Festiva - YouTube
Medtner plays Fairy Tale Op. 51/1 in D minor - YouTube
Medtner by Medtner - Skazka Op8 n°1 (rec 1931) - YouTube
Medtner by Medtner - Skazka Op20 n1 (rec 1936) - YouTube
Medtner by Medtner - Skazka Op20 n2 ''Campanella'' (rec 1936) - YouTube
Medtner plays Forgotten Melodies Op. 39: 4. Canzona Matinata - YouTube
Medtner plays Forgotten Melodies Op. 39/5 Sonata Tragica - YouTube

Auch als Klavierbegleiter kann Nikolai Medtner mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen aufwarten:
Medtner - The Muse Op.29 No.1 - YouTube

Pianistische Größen wie Sofronitzky oder Gilels haben in der Folgezeit ebenfalls allerhand eingespielt und da weitergemacht, wo Medtner biologisch bedingt anno 1951 aufhören musste. Im Grunde erfolgt da eine stilgerechte Fortsetzung einer wie auch immer gearteten Tschaikowsky-Nachfolge, in der zunächst Namen wie Arensky, Tanejew oder der unlängst genannte Ljapunow auftauchten. Die progressivere Linie mit Skrjabin und den russischen Futuristen hat sich mit ihrer stärkeren "internationalen" Ausrichtung so nachhaltig behauptet, dass offensichtlich für die Weiterführung nachromantischer Stilistiken wenig Beachtung übrig blieb. Die Popularität eines Rachmaninow hat er offensichtlich zu Lebzeiten schon nicht erreicht... - mitunter ist das schade; ist seine Schreibweise bisweilen sperriger und weniger flüssig und organisch strömend?, fragt sich

Rheinkultur
 
Um den Thread fortzuführen hier nun ein selten gespieltes Klavierkonzert:
Das Klavierkonzert von Max Reger
Ich bin auch direkt ehrlich genug zu sagen, dass es mich nicht wundert, warum dieses Konzert so selten gespielt wird. Ich vermute, für das "durchschnittliche" Publikum erschließt sich dieses Werk beim ersten Hören nicht. Anstatt einprägsamer Melodien bleibt aufgrund der sehr komplexen Harmonik und der Klangfülle wohl eher verhältnismäßiger Klangbrei im Gedächtnis. Die Schönheit des Werks zeigt sich wohl erst, wenn man ein paarmal intensiver hineinhört und die Motive und Themen und ihre Verarbeitung "gewohnt" wird. Das ist im Konzertsaal natürlich so nicht möglich.
Und gemessen an dieser vermutlich eher verhaltenen Publikumsrezeption sind dann die manuellen Hürden für den Pianisten wohl einfach zu hoch, um sich gerade für dieses Werk zu entscheiden.
Der folgenden Quelle sind viele aussagekräftige Details zu entnehmen:
Klavierkonzert
Tatsächlich dürfte die Überfrachtung des Klangbildes das zentrale Problem sein, weshalb dieses Konzert so problematisch daherkommt. Eine Überlegung wert wäre folgender Aspekt: Solisten mit einer Affinität zu stark strukturell angelegter Literatur (dodekaphonisch, seriell, postseriell) tendieren dazu, einen möglichst ausgeprägten Grad von Transparenz anzustreben, eine Interpretation eher klassizistisch-strukturell als romantisch-rauschhaft anzulegen. Der Schönberg-Spezialist Eduard Erdmann könnte in dieses Raster passen:
Erdmann Reger Piano Concerto (first mov, part 1) - YouTube
Erdmann Reger Piano Concerto (sec. mov) - YouTube
Erdmann Reger Piano Concerto (third mov) - YouTube

Es gibt Rundfunkmitschnitte mit Aloys Kontarsky, die auf YouTube leider nicht verfügbar sind - diese dürften von einem ähnlichen Ansatz ausgehen. Des öfteren ist zu vernehmen, dass Reger geradezu ein Nachfolgestück zum 2. Brahms-Konzert auf den Weg gebracht hätte. Ein Solist dürfte dann versucht sein, die ausgeweitete Satzdichte ausdrucksmäßig fortzuentwickeln und unfreiwillig den Rezipienten des Stücks im Klangrausch untergehen zu lassen. Offensichtlich führt der umgekehrte Weg eher zum Ziel: Nämlich den Gebrauch der Oktave und Doppeloktave als Klangfarbe (Orgelregister!), nicht aber als Gestaltungsmittel, gigantische Klangmassen von A nach B zu transportieren?
 

Am eindrucksvollsten ist hierbei wohl die fugenartige Passage etwa in der Satzmitte.

Das kann man wohl sagen! Die Passage ist unglaublich! (sie fängt bei Minute 7:19 in DonBos' Video-Verlinkung an)

Ich habe mir genau diese Sonate erst vor 2-3 Tagen nach längerer Zeit mal wieder angehört (auch von Hamelin). Interessant, dass du sie gerade jetzt vorstellst, DonBos. Danke dafür.

Danke auch an Rheinkultur für die ganze Medtner-Links.

Grüße von
Fips
 
Tatsächlich dürfte die Überfrachtung des Klangbildes das zentrale Problem sein, weshalb dieses Konzert so problematisch daherkommt.
...das betrifft allerdings nicht nur das Klavierkonzert, sondern auch die großformatigen Klavierwerke von Reger... wollte man es etwas sarkastisch-ironisch bezeichnen, so wird die Brahmssche Untugend eines "dicken Klaviersatzes" von Reger deutlich gesteigert ;)

(Intermezzo in Klammern: nein, natürlich sind nicht alle Klavierwerke von Brahms und Reger überfrachtet oder überladen - aber einige große sind es in auffallend hohem Maß)

Was das Regerkonzert betrifft, so hat Rudolf Serkin es mehrmals gespielt, aufgenommen und sich immer dafür eingesetzt. Mir fällt eine gewisse Ungeschicklichkeit - oder ist es gar eine Absicht? - auf: selbst dort, wo das Orchester die Führungsrolle übernimmt und das Klavier kaum zu hören ist, ist der Klaviersatz grausam massiv und mit eigentlich nur für den Spieler spürbaren (für den Hörer kaum bis nicht merklichen) Feinheiten und Spezialitäten gespickt.

...ob das Regerkonzert sowas wie das Henseltkonzert des 20. Jhs. ist? Irgendwie wollen beide sich nicht so recht in den Konzertbetrieb integrieren lassen, d.h. sind da eher seltene Gäste - - ganz anders das ebenfalls stark sinfonisch gearbeitete und dito sehr schwere Konzert von de Falla (Nächte in spanischen Gärten)
 
...das betrifft allerdings nicht nur das Klavierkonzert, sondern auch die großformatigen Klavierwerke von Reger... wollte man es etwas sarkastisch-ironisch bezeichnen, so wird die Brahmssche Untugend eines "dicken Klaviersatzes" von Reger deutlich gesteigert ;)

(Intermezzo in Klammern: nein, natürlich sind nicht alle Klavierwerke von Brahms und Reger überfrachtet oder überladen - aber einige große sind es in auffallend hohem Maß)
Dazu würde ich wieder einen ganz elementaren Gedanken ins Spiel bringen: Reger war von Haus aus Organist - der Pianist spreizt die Hände, der Organist zieht den Vierfuß - und fertig ist das Spiel in Oktaven. Bei Doppeloktaven ackert der Pianist und übt sich in der Disziplin der Treffsicherheit; der Organist agiert in behutsamer Zweistimmigkeit - das Ergebnis ist dasselbe. Ich gebe zu: Völlig verkürzt und verkürzend definiert - aber ein Reger'scher Klaviersatz mit Berücksichtigung dieser Besonderheit würde wesentlich schneller auf den Punkt kommen. Dass Aloys Kontarsky gemeinsam mit seinem Bruder Alfons durch die Erdmann'sche Schule in Hamburg gegangen ist, erklärt den ähnlich gearteten Ansatz. Hätte Prof. Aloys Kontarsky seinen Zugriff über das Jahr 1983 durch weitere Aufführungen untermauern können - wer weiß, um wie viel weiter wir heute in der Rezeptionsgeschichte dieses nicht eben bequemen Werks wären.

Was das Regerkonzert betrifft, so hat Rudolf Serkin es mehrmals gespielt, aufgenommen und sich immer dafür eingesetzt. Mir fällt eine gewisse Ungeschicklichkeit - oder ist es gar eine Absicht? - auf: selbst dort, wo das Orchester die Führungsrolle übernimmt und das Klavier kaum zu hören ist, ist der Klaviersatz grausam massiv und mit eigentlich nur für den Spieler spürbaren (für den Hörer kaum bis nicht merklichen) Feinheiten und Spezialitäten gespickt.
Ungeschicklichkeiten würde ein Rudolf Serkin nicht einfach so im Raume stehen lassen - es geht selbst bei massiver Überfrachtung des Satzbildes darum, dass sich das zur musikalisch-thematischen Führung auserkorene Detail durchsetzen kann - auf welche Weise auch immer. Es ergibt sich vor diesem Hintergrund ein beständiger Kampf zwischen dem Individuum (Solist) und dem Kollektivum (Orchester). Je nach interpretatorischer Deutung könnte man sagen: Das strapaziert, das ermüdet, das schreckt schlimmstenfalls sogar von einer weiteren Beschäftigung mit dem vorgegebenen Sujet ab. Oder handelt es sich um eine Vorwegnahme der "New Complexity" eines Brian Ferneyhough, wo durch extreme Überfrachtung des Satzbildes seitens des Interpreten eine extreme Überspannung, gesteigerte Präsenz oder was auch immer provoziert werden soll, fragt sich

Rheinkultur

P.S.: Rolf bringt mit de Fallas "Nächten in spanischen Gärten" den Typus eines sinfonisch angelegten Klavierkonzerts in die Diskussion ein, wo die Grenzen zwischen Solist und Orchester miteinander verschmelzen. Das barocke Concerto grosso lässt sich als Vorstufe dieser Konstellation deuten; auch die Variations Symphoniques von César Franck präsentieren bereits einen Primus inter Pares, Busoni entwickelt diese Konstellation in seinem op. 39 unter Hinzunahme eines Chorsatzes weiter (vielleicht mit Beethovens Neunter im Hinterkopf). Möglicherweise ist dieser Prozess bei Wilhelm Furtwänglers Klavierkonzert in einem endgültig nicht mehr entwicklungsfähigem Stadium angekommen:
Wilhelm Furtwängler "Piano concerto in B minor" (1.Mov.) - YouTube
Wilhelm Furtwängler "Piano concerto in B minor" (2.Mov.) - YouTube
Wilhelm Furtwängler "Piano concerto in B minor" (3.Mov.) - YouTube

Messiaen hat einige Jahre später selbst für diese krisengeschüttelte Gattung geschrieben, ohne sich allzu schnell gängigen Gepflogenheiten kritiklos anzupassen... .
 
Die Klaviersonate op. 53, No. 2 von Nikolai Medtner (auch als "Sonata minacciosa" bezeichnet):

Vielen Dank dafür! Ich muss gestehen, dass ich von Medtner bislang nur sehr wenig kannte. Bislang gefiel mir noch die Sonata Tragica und die Sonate Reminiscenza am besten, was wohl auch mit die bekanntesten Stücke von ihm sein dürften. Die Sonata minacciosa gefällt mir jedenfalls ausgesprochen gut!!!

Viele Grüße!
 
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Leo Ornstein - Sonate Nr.4 SO 360

In den letzten Tagen habe ich mich durch einen Teil des Klavierwerks von Leo Ornstein gehört. Der Name "Ornstein" fällt ja gelegentlich im Forum im Zusammenhang mit seinen "brutalen" Stücken wie "Suicide in an Airplane" oder dem "Danse sauvage". Mir war gar nicht bewusst, dass sein Werk so vielseitig ist, angefangen bei Stücken von beinahe kindlicher Einfachheit wie dem Großteil der Cossack Impressions bis hin zu Clustern. Neben ein paar eher mittelmäßigen Sachen, gibt es doch ein paar Highlights unter seinen Klavierwerken. Eines davon ist seine 4. Sonate.

Ornstein schrieb acht Sonaten, wobei die ersten drei Sonaten nicht aufgeschrieben wurden, die vierte Sonate ist also die erste, die uns erhalten blieb. Zwischen der vierten und der achten Sonate liegen ganze 66 Jahre, was nicht weiter verwundert wenn man bedenkt, dass Ornstein 108 Jahre alt geworden ist. Nett sind die Sonaten alle, wobei für mich die vierte und die achte Sonate herausragend sind. Zur achten Sonate schreibe ich vielleicht später mehr.

Geschrieben wurde die Sonate 1918 im Alten von 24 Jahren. Sie besteht aus vier Sätzen.

Im ersten Satz ist die Hauptsatzform erkennbar. Die Exposition besteht aus drei verschiedenen Motiven. Zunächst wird ein akkordischer Satz von Septolen umspielt.

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Nach einer Abflachung der Spannung in eine eher lyrische Form ("dolce") beginnt ab Takt 31 das zweite, mit "Sostenuto" überschriebene Thema, bei dem die Melodie in den Bass rückt und von einer akkordischen Triolenfigur in der rechten Hand begleitet wird.

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Es schließt sich ein drittes, fast an "Clair de lune" erinnerndes Motiv an.

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Interessant ist zu sehen, dass der Takt zwischen allen drei Motiven wechselt (erst 2/4, dann 4/4, 6/4 und dann 7/4 und 3/4).

Schließlich setzt eine Durchführung ab Takt 45 im 4/4-Takt ein, in der alle drei Motive miteinander verknüpft werden. Ab Takt 70 beginnt die Reprise, in der alle Motive noch einmal in variierter Form nacheinander wiederholt werden, wobei der Satz auch mit dem dritten Thema ausläuft, ohne wirkliche Coda.

Der zweite Satz ist in der ABA-Form geschrieben. Nach einem ruhigen A-Teil folgt überraschend ein rasanter, bitonaler "Con Fuoco"-Abschnitt, der genauso unerwartet endet, wie er begonnen hat. Der ganze Satz ist geprägt von einer hebräischen Melodie unterlegt mit Jazz- und modalen Harmonien.

Der dritte Satz stellt den eigentlichen Ruhepunkt der Sonate dar und ist als einziger durchgängig im langsamen Tempo gehalten. Prägend für den Klang des Satzes sind die vielen kleinen Sekunden.

Es folgt der vierte Satz als virtuoses Highlight der Sonate. Es ist ein Rondo mit dem Schema A B A’ C A’’ B’ D A’’’ B’’ A’’’. Generell erinnert der Klaviersatz stellenweise etwas an den mittleren Skrjabin.

upload_2015-9-29_23-57-31.png

Harmonisch geht der Notentext immer von Standard-Tonarten aus, verändert diese aber modal. Die hebräischen Melodien sind in der gesamten Sonate allgegenwertig, ebenso wie die ständigen Taktwechsel. Sicher ist die Sonate nicht leicht zu spielen.

Und so klingt dieses Tolle Werk.

1. Satz
2. Satz
3. Satz
4. Satz

Viele Grüße!
 
@Troubadix, du solltest du dir unbedingt mal Ornsteins Klavierquintett anhören. Es ist zwar etwas plakativ, aber ich finde es klasse. Die hebräischen Melodien finden sich darin auch zu hauf.

LG, Mick
 
In den letzten Tagen habe ich mich durch einen Teil des Klavierwerks von Leo Ornstein gehört. Der Name "Ornstein" fällt ja gelegentlich im Forum im Zusammenhang mit seinen "brutalen" Stücken wie "Suicide in an Airplane" oder dem "Danse sauvage".
@Troubadix hör dir auf jeden Fall das ebenso charmante wie effektvoll-virtuose Klavierstück a la Chinoise von Ornstein an! Das ist eines der (relativ wenigen) richtigen Highlights seiner Klaviersachen! (mag sein, dass da etliche Cluster-Tremoli, Laufpassagen etc. "moderner" klingen, als sie tatsächlich sind, mag auch sein, dass viele solche Spielelemente weniger seriell elaboriert als einfach schlicht an der Tastenlage orientiert sind - das Stück klingt trotzdem hinreissend spritzig und spielt mit niedlichen Exotismen)
((sehr schwierig ist es allerdings, so etwa auf dem Level wie die Lisztetüden))
 
@Troubadix hör dir auf jeden Fall das ebenso charmante wie effektvoll-virtuose Klavierstück a la Chinoise von Ornstein an! Das ist eines der (relativ wenigen) richtigen Highlights seiner Klaviersachen! (mag sein, dass da etliche Cluster-Tremoli, Laufpassagen etc. "moderner" klingen, als sie tatsächlich sind, mag auch sein, dass viele solche Spielelemente weniger seriell elaboriert als einfach schlicht an der Tastenlage orientiert sind - das Stück klingt trotzdem hinreissend spritzig und spielt mit niedlichen Exotismen)
((sehr schwierig ist es allerdings, so etwa auf dem Level wie die Lisztetüden))
Aufnahme mit Notentext:



Stilistisch empfinde ich das Stück als Fortsetzung von manchem, was man bei den russischen Futuristen vorfindet - eine musikalische Strömung, die es nur wenige Jahre gab und deren Vertreter sich wenige Jahre später meist ganz andersartig orientiert haben.

LG von Rheinkultur
 
Das ist eines der (relativ wenigen) richtigen Highlights seiner Klaviersachen!

Wenn ich mich richtig erinnere, hast du Ornstein mal als Moszkowski des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Das trifft es ganz gut. Unter den Werken ist das Mittelmaß häufig vertreten. An die Größen des 20. Jahrhunderts wie Ravel, Skrjabin, Strawinski usw. kommt er nicht ran. Dennoch finden sich ebenso wie bei Moszkowski ein paar nette Stücke, die man sich durchaus mal anhören kann. Dazu gehören zu dem von dir erwähnten Stück die 4. und 8. Sonate. Ebenfalls finde ich ein paar der Walzer, die Impromptus, ein paar der Poems oder das ganz nette "A Morning in the Woods" ganz interessant. Enttäuschend fand ich zum Beispiel die "Suite Russe". Auch die Cossack Impressions bietet recht wenig Substanz, dafür ist der Großteil daraus auch auf niedrigerem Niveau machbar und sogar in gewisser Weise effektvoll. Ich mag die häufig verwendeten, hebräischen Melodien. Das ist, zumindest ausgehend von meinen Hörgewohnheiten, mal was Neues.

Viele Grüße!
 

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