So, nun will ich aber mein Versprechen wahr machen, und ein solches eher unbekanntes Werk etwas ausführlicher hier beschreiben. Und zwar habe ich mir hierfür die
Klaviersonate von Paul Dukas ausgesucht. Komponiert wurde sie 1899/1900, erschienen ist sie 1901.
Paul Dukas hat allgemein nur recht wenige Werke veröffentlicht. So wirklich bekannt von ihm ist heutzutage nur ein Orchesterwerk - nämlich "Der Zauberlehrling". Von Dukas liegen insgesamt wohl auch nur vier Klavierwerke vor. Neben zwei kleineren Gelegenheitswerken (ein Prelude zum hundertsten Todesjahr von Haydn, welches hier im Forum schon einmal ausführlicher in einem Workshop behandelt wurde, und ein Prelude zum Tode Claude Debussys) handelt es sich dabei um ein großes Variationswerk über ein Thema von Rameau und eben um die Klaviersonate, um die es in diesem Beitrag hier gehen soll.
Die Sonate steht in es-Moll und steht in einer "klassischen" viersätzigen Form, also Sonatenhauptsatz, langsamer Satz, Scherzo und Finale. Sie ist Saint-Saëns gewidmet und wurde von Edouard Risler am 10. Mai 1901 im Salle Pleyel in Paris uraufgeführt. Gewisse Rückgriffe auf andere große Sonatenkomponisten (insbesondere Liszt und Beethoven) sind nicht von der Hand zu weisen. Aber dennoch empfinde ich diese Sonate als eines der Werke, die im Vergleich zu ihrer Wirkung und ihrem musikalischen Gehalt doch im Konzert- und Tonträgerbetrieb deutlich unterrepräsentiert sind. (Sollte dies nicht so sein und die Sonate gar nicht so unbekannt sein, bitte ich darum, mich zu korrigieren.)
Ich vermute, dass diese Sonate vor allem aber dem selben Problem unterliegt wie auch die in diesem Thread schon erwähnten Bach- oder Telemannvariationen von Reger. Sie ist nämlich vermutlich technisch sehr schwer - für Hobbyspieler jenseits alles irgendwie zufriedenstellend erreichbaren und vermutlich (ich bin kein Pianist, ich kann das nicht einschätzen) auch für Pianisten alles andere als ein Spaziergang. Dazu kommt dann eine Länge von annähernd 45 Minuten, was sowohl beim Pianisten als auch beim Zuhörer ein gewisses Durchhaltevermögen erfordert. Der Zuhörer wird zwar durch einen fulminanten Finalsatz "belohnt", der Pianist hat bis dorthin aber schon einiges zu meistern und bekommt auch im Finalsatz keine Ruhe...
Nun folgt eine (sehr stümperhafte, weil subjektive und ohne tieferes Wissen geschriebene) Erläuterung der Struktur der vier Sätze:
Der
erste Satz in es-moll steht in der Sonatenhauptsatzform. Das recht düstere, mit einer gleichförmigen aufgewühlten Sechzehntelbegleitung unterlegte Hauptthema zeichnet sich dadurch aus, dass die Hauptzählzeiten des Takts gemieden werden und die Melodietöne sich überwiegend auf den „unbetonten“ Zählzeiten 2 und 4 befinden. Wie sich später zeigen wird, sind synkopische Themen für diese Sonate durchaus charakteristisch.
Das zweite Thema ist weniger düster und melodisch umfangreicher als das erste Thema, bildet aber durch die weiterhin durchgehende Sechzehntelbegleitung dennoch keinen allzu starken Kontrast zum Hauptthema. Auch hier treten wiederum typische Synkopierungen auf. Gegen Ende der Exposition setzt die Sechzehntelbegleitung aus und der Satz kommt in einem absteigenden „Schlussgruppenthema“ ein wenig zur Ruhe.
Die Rückkehr des Hauptthemas leitet unmittelbar in die Durchführung der Themen ein, in deren Verlauf sich teils größere akkordische Ausbrüche ergeben. Nachdem auch die Durchführung schließlich immer weiter zur Ruhe zurückfindet, tritt die Reprise herein. An deren Ende wird das ruhige „Schlussgruppenthema“ in die Coda hinein deutlich ausgedehnt, womit der Satz (abgesehen von einer kurzen abschließenden Rückkehr zum Hauptthema) insgesamt sehr ruhig endet.
Hier ein Link zum 1. Satz (ich habe für diese Sonate eine Einspielung gewählt, bei der die Noten direkt mitverfolgt werden können, was ich sehr angenehm finde):
Hamelin plays Dukas - Piano Sonata (1st mvt)
Der
zweite Satz in As-Dur stellt den langsamen Satz der Sonate dar. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich diesen Satz von der Form her noch nicht einmal im Ansatz verstanden habe. Deshalb kann ich erst einmal nur so viel dazu sagen, dass er zwei Themen besitzt. Beide werden zu Beginn des Satzes direkt in Folge in recht ruhigen Viertelnoten vorgestellt. Im weiteren Verlauf des Satzes werden nun beide Themen immer weiter verarbeitet, die Dichte des Satzes nimmt immer weiter zu. Im Endeffekt ließe sich der Satz wohl irgendwie als Variationensatz beschreiben, nur dass keine klar getrennten Variationen vorliegen, sondern alles irgendwie ineinander übergeht. Zumindest ist das meine Empfindung. Und obwohl ich den Satz am wenigsten von allen Sätzen verstehe, ist er für mich persönlich irgendwie der schönste Satz der Sonate. Ich gebe aber zu, dass ich auch die anderen drei Sätze sehr schön finde, sonst würde ich nicht ausgerechnet diese Sonate hier „vorstellen“.
Hier ein Link zum 2. Satz:
Hamelin plays Dukas - Piano Sonata (2nd mvt)
Der
dritte Satz in h-moll ist ein Scherzo mit dem typischen ABA-Aufbau. Der sehr schnelle und drängende A-Teil wird hierbei im wesentlichen durch sehr rasante Sechzehntelnoten gebildet, die quasi martellato im Wechsel auf beide Hände aufgeteilt sind. Um so überraschender ist der extreme Kontrast, den der B-Teil – das Trio – hierzu bildet. Der A-Teil entwickelt sich an seinem Ende in eine langsame, ruhige Passage, die durch einen Wechsel von kurzen Unisono-Motiven mit kurzen akkordischen Motiven gekennzeichnet ist. Das sich anschließende Trio selbst ist dann ein langsames und leises Fugato. Melodisch und harmonisch mutet dieses Fugato deutlich „moderner“ an als der Rest der Sonate – phasenweise nahezu atonal, wenngleich es in sich nach wie vor tonal bleibt. Die Rückkehr in den rasanten A-Teil wird wiederum über eine Passage erreicht, die derjenigen sehr ähnelt, die in das Trio hineingeführt hatte.
Das Ende des dritten Satzes stellt abschließend sowohl gehämmerte Sechzehntel als auch lange, ruhige Töne nebeneinander.
Hier ein Link zum 3. Satz:
Hamelin plays Dukas - Piano Sonata (3rd mvt)
Der
vierte Satz steht nach einer Einleitung im Groben ebenfalls in Sonatenhaupsatzform. Die recht lange Einleitung (Trés lent) lässt die Tonart zunächst im Unklaren. Ein sehr mächtiges, an Tutti-Orgelakkorde erinnerndes Einleitungsmotiv führt zunächst dreimal hintereinander in B-Dur-Akkorde hinein – die Dominante zur Grundtonart es-moll. Jedoch wird keiner dieser B-Dur-Akkorde nach es-moll hin aufgelöst. Nach dem dritten B-Dur-Akkord geht die Einleitung unvermittelt in einen auf heses beginnenden, tonal noch deutlich unbestimmteren „zweiten Abschnitt“ (Librement) über. Allgemein wirkt die gesamte Einleitung sehr improvisatorisch und nicht nur tonal, sondern auch rhythmisch unbestimmt. Das einleitende mächtige Akkordthema wird in anderen Tonarten erneut aufgegriffen und ausgebaut, bis die „freie“ Einleitung schließlich in b-moll endet und plötzlich in einen starren synkopischen Rhythmus einlenkt (Animé).
An dieser Stelle beginnt nun die Exposition, mit deren Hauptthema wird nun endlich die Grundtonart es-moll erreicht. Typischerweise (für diese Sonate) beinhaltet das Hauptthema ein charakteristisches synkopisches Motiv. Ab Beginn der Exposition wird dieser vierte Satz nun zu einem hochvirtuosen Finale, welches in seinem Verlauf sehr rastlos von Thema zu Thema „hetzt“ und kaum zur Ruhe kommt. Das zweite Thema steht in H-Dur. Durch seine verhältnismäßig langen Noten wirkt es deutlich ruhiger als das Hauptthema. Auf mich wirkt das Thema recht ambivalent – zum einen scheint es irgendwie trivial, zum anderen aber auch triumphal. Ein wenig fühle ich mich dabei auch immer an das „Grandioso“-Thema aus der h-moll-Sonate von Liszt erinnert. Fast schon unnötig ist es an dieser Stelle zu erwähnen, dass auch dieses zweite Thema wieder eine charakteristische Synkope enthält. Nachdem auch das zunächst etwas ruhiger wirkende zweite Thema immer stärker an Fahrt aufgenommen hat, stürzt es sich regelrecht in einen mit drängender staccato-Begleitung unterlegten Triumphmarsch hinein, der die Schlussgruppe der Exposition darstellt. Der Marsch klingt aus in unbegleiteten Staccato-Viertelnoten, welche quasi über den gesamten Tonumfang des Klaviers „hüpfen“. Der virtuose Sonatensatz scheint an dieser Stelle ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ehe er jedoch wirklich zur Ruhe kommt, bricht die Durchführung herein, die zunächst hauptsächlich die Synkopen des Hauptthemas in Kombination mit den Oktaven der Schlussgruppe verarbeitet. Die musikalische Dichte und Virtuosität nimmt immer stärker zu, ehe der Satz mit der Rückkehr des mächtigen Akkordmotivs aus der Einleitung (Plus vite) quasi explodiert. Waren die Akkorde allein für sich in der Einleitung schon sehr mächtig, werden sie nun durch wahnsinnig drängende Akkordtremoli und ähnliche Virtuositäten noch deutlich verstärkt. Nachdem diese enorme musikalische Dichte sich wieder ein wenig abgebaut hat, beginnt mit der Rückkehr des Hauptthemas die Reprise.
Im Lauf der Reprise steht nun sowohl das zweite Thema, als auch der Schlussgruppen-Marsch in Es-Dur. Schließlich geht der Satz in die Coda über, in der selbst das Akkordthema der Einleitung nun in Dur anstatt moll erscheint. Auf Basis des „trivialen“ zweiten Themas strebt der fulminante Finalsatz schließlich auf sein Ende zu – nach wie vor in Es-Dur.
Hier ein Link zum 4. Satz:
Hamelin plays Dukas - Piano Sonata (4th mvt)
So, ich hoffe, ich habe nicht zu viel Quark geschrieben und hoffe, dass dem ein oder anderen diese Sonate gefällt. Für mich ist sie wie gesagt eine unterschätzte Perle, die durchaus bekannter sein könnte! Wer irgendetwas zu dieser Sonate sagen kann oder will, der darf (bzw. soll) das gerne tun!