Ihr Lieben,
Nun unterrichte ich schon seit einigen Jahrhunderten, allerdings überwiegend erwachsenere Schüler oder solche im Teeniealter.
Ganz selten, wie jetzt gerade, läuft ein junges Kind über meinen pädagogischen Weg. Gerade im Verlust der Milchzähne seiend, ist dieses fantasievolle Junge nicht in der Lage, sich länger als zwei Minuten am Klavier zu konzentrieren, wenn ich ihm etwas Neues beibringen möchte. Ich nutze jede Sekunde, die mir bleibt, dann wechseln wir wieder zu spielerischen Dingen, wie Singen, Rhythmusklopfen, Geschichten erzählen - musikalisch.
Interessanterweise ist dieses Junge durchaus fleissig und kann immer seine Hausaufgaben. Ich finde allerdings, dass ich, wegen dieser wirklichen Minispannen der "Arbeitsphasen" sehr mühsam nur vorwärts komme.
Vielleicht ist das ok. Manchmal sitzt das Junge auch am Klavier und sagt, es möchte jetzt nicht Klavier spielen.
Die Atmosphäre im Unterricht ist durchaus positv, das Kind ist zugewandt, erfindet dauernd seine eigene Realität (sagt z.B. dass es Schlagzeugunterricht habe, dass es Blockflöte schon fast fertig gelernt hat...was alles nicht stimmt)
Habt Ihr irgendwelche Ideen, wie man solch jungen Kindern es schmackhaft machen kann, sich etwas länger auf etwas einzulassen?
Letztens hatte ich haribo auf dem Tisch stehen. Da fragte es, ob es eines haben dürfe. Ich sagte ihm: Ok, wir machen diese Aufgabe noch gut zu Ende und dann darfst du gerne eines haben. Das hat funktioniert.
Da dieses Kind sehr spannend ist, und ich mit solchen Menschen noch nicht soo viel Erfahrung gemacht habe, also meine Frage an Euch Wissende.
Liebe Tastatula,
ich unterrichte Vorschulkinder sehr, sehr gerne, mindestens 50 Minuten am Stück. Es ist ein Geschenk für Schüler, Lehrer und Eltern, so früh in professionellen Kontakt mit Musik zu kommen - das hört man später sehr deutlich an der Qualität des Spiels.
Natürlich können sich solche Kinder noch nicht lang konzentrieren, sie lernen im Spiel, über Bewegung, mit allen Sinnen, sie brauchen viel Interaktion, je nach Persönlichkeit viel auch "weg vom Klavier". Es ist sinnvoll, Elemente der Musikalischen Früherziehung in den Unterricht einzubauen.
Bei deiner Beschreibung des Unterrichts frage ich mich allerdings, ob dein Schüler wirklich eine so geringe Aufmerksamkeitsspanne hat oder ob sein Verhalten nicht anders begründet ist.
Dazu ein paar Fragen:
1. Wie alt ist er genau? Milchzähne können auch erst mit 8 Jahren ausfallen.
2. In welche Klasse geht er oder ist er noch im Kindergarten?
3. Wie kommt er in der Schule, ggf. Kindergarten zurecht?
4. Was sagen die Eltern zu seinem Verhalten (provozierende Äußerungen im Unterricht, eigene Realität erfinden ...)? Macht er das auch zu Hause?
5. Hören die Eltern im Unterricht zu?
6. Üben sie mit ihm zu Hause? Wenn ja, wie klappt das? Oder übt er selbstständig? Schreibst du ihm die Hausaufgaben auf, werden sie ihm vorgelesen oder merkt er sich, was du im Unterricht machst?
Antworten auf diese Fragen sind wichtig, um sein Verhalten einordnen zu können.
Es kann nämlich auch sein, dass die Unterrichtssituation in irgendeiner Weise bei ihm Unsicherheit und Unklarheit auslöst. Auf so was reagieren kleine Kinder oft mit Unruhe. Sie versuchen, dann selbst aktiv zu werden und den Unterricht zu bestimmen mit allen möglichen Ideen - so scheint es mir zu sein und so schreibst du auch selbst:
Ich denke, dass es im Unterricht Grenzen sucht und schaut, was so geht mit mir.
Das bedeutet, dass im Unterricht zumindest momentan eine sehr klare und enge Führung herrschen sollte. "Enge Führung" heißt NICHT, dass der Schüler immer nur Anweisungen bekommt, sondern es bedeutet, dass der Schüler immer ganz genau weiß, was jetzt gerade von ihm verlangt wird, was seine Aufgabe ist und worum es gerade geht!
Dieser Punkt ist eine der wichtigsten! Kleine Kinder reagieren auf Unklarheit immer mit Unruhe, umgekehrt geben ihnen Struktur, Rituale und ein "immer das Gleiche", in dem man viele Dinge erforschen und ausprobieren kann Sicherheit und Ruhe!
Die Klarheit fängt schon beim "Setting", bei der Struktur des Unterrichtsraums an., geht über die Wahl der Unterrichtsinhalte und die Strukturierung der Unterrichtsstunde zur Kommunikation mit dem Kind.
1. Setting
Der Unterrichtsraum sollte so strukturiert sein, dass es bestimmte Räume/Raumteile gibt, wo das Kind genau weiß, was es dort machen kann.
a) das Klavier (es wird gespielt, improvisiert, gemeinsam musiziert, Klänge werden erforscht ....)
b) eine Sitzecke (dort werden Geschichten erzählt, Fingerspiele gemacht, mit Orffschen Instrumenten begleitet, gewürfelt ....)
c) am Tisch (dort wird gemalt, geschrieben, geknetet ....)
d) freie Fläche im Raum (Bewegung, rhythmische Spiele, Einführung von Liedern mit Bewegung ....)
Wichtig: auf der freien Fläche werden keine Geschichten erzählt, am Klavier werden keine Fingerspiele gemacht - es muss völlig klar sein für das Kind, was jeder Raum bietet und was nicht (Funktion).
2. Wahl der Unterrichtsinhalte
Was machst du denn mit dem Kind, was sind deine Unterrichtsinhalte? Bauen sie aufeinander auf? Gerade wenn du noch nicht so viel Erfahrung mit so kleinen Kindern hast, kann es Überforderung geben. Ich z.B. fange grundsätzlich ohne Noten an und je nach Schüler kann das auch ein halbes Jahr dauern. Wie du dann die Noten methodisch einführst ist ebenso sehr wichtig und kann den Ausschlag geben zwischen Unruhe des Kindes und begeisterter Aufnahme. Eine sehr wichtige Regel und auch Schwierigkeit in der Musikalischen Früherziehung ist es z.B., Schritte für kleine Kinder wirklich logisch aufzubauen - vergisst man einen Schritt, hat man den Salat, die Kinder verstehen nichts und machen dann, was sie wollen. :D
Wichtig ist auch, nicht zu viele Unterrichtsinhalte in eine Stunde zu packen. Kindgerecht ist, einen Unterrichtsinhalt aus vielen verschiedenen Perspektiven zu erfahren, ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt! Es würde mich sehr interessieren, bei welchen Unterrichtsinhalten dein Schüler nicht bei der Stange bleibt und du das Gefühl von "mühsam" hast! Es wäre toll, da mal ins Konkrete zu gehen und die unterschiedlichen Perspektiven hier im Faden zu erarbeiten!
3. Strukturierung der Unterrichtsstunde
Besonders bei eher unruhigen, sehr aktiven Kindern, im Übrigen auch bei ADHS-Kindern sind Rituale im Unterricht sehr wichtig! Sie können individuell sehr verschieden gewählt werden. Der eine möchte immer das gleiche Begrüßungslied singen, der andere ein Abschiedslied, zwischendurch bei Unruheanfällen gibt's eine Portion Quatschmachen mit entsprechendem Symbol (Karte, Gegenstand), z.B. könnte der Lehrer was Wildes/Verrücktes/Fröhliches/Trauriges improvisieren, der Schüler bewegt sich dazu entsprechend der Musik und kommt mal schön außer Atem; musikalisches Grimassenschneiden ...., der eine legt sich lieber auf Kissen und Decken unter den Flügel und lauscht kleinen Impros des Lehrers, der andere mag Aktionskarten, auf denen er sich jede Stunde eine aussuchen darf, wenn er was anderes machen will ... .
Ein Wechsel von Ruhe und Bewegung, Stille und Klang, viel Abwechslung ist dabei wichtig,
@Stilblüte hat dazu viele gute Ideen aufgeschrieben und du selbst machst das ja auch. Wichtig ist aber, dass dabei sowohl das Setting (welcher Raum welche Funktion) als auch nicht zu viele Unterrichtsinhalte dabei berücksichtigt werden! Es wird sonst unübersichtlich. Struktur ist das Zauberwort!
4. Kommunikation mit dem Kind
Ich weiß, liebe
@Tastatula, dass du eine auch in der Sprache sehr klare Person bist! Du schreibst aber auch, dass du eben noch nicht viel Erfahrung mit dieser Altersgruppe hast und es kann sein, dass dein Schüler eine Unsicherheit merkt.
Besonders fällt mir auf, dass du deinen Schüler als "dieses Junge" bezeichnest. Ich mag deine Ausdrücke oft, aber hier stört es mich. Kein Neutrum, sondern ein Mensch von Angesicht zu Angesicht, von dem ich als Lehrer auch etwas erwarte und einfordere, den ich sehe und ernst nehme.
Mit kleinen Kindern möglichst wenig reden, aber in sehr klaren, einfachen Sätzen! Eine Aufforderung ist eine Aufforderung, eine Bitte, eine Bitte (die dann das Kind auch ablehnen darf), eine Frage ist eine Frage. Führe! Und zwar so, dass deinem Schüler immer klar ist, was er tun soll! Ob er jetzt das machen soll, wozu du ihn aufforderst, ob er gerade viel Freiraum zum Experimentieren bekommt (wo im Raum?), ob er mit dir zusammen ein Lied singt oder am Klavier auf schwarzen Tasten improvisiert.
Es wäre zu überlegen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Unklarheit im Unterrichtsablauf oder der Kommunikation und seinen Äußerungen. Ich weiß auch nicht, ob ich die immer überhören würde.
Fazit: Mir scheint hier eher eine Beschränkung und Strukturierung wichtig zu sein, die für mehr Klarheit und Übersichtlichkeit sorgen. Ich würde versuchen, dem Kind nicht so viel Freiheit zu geben, sondern ihm ein klares methodisches Umfeld vorgeben, wo er sich dann austoben kann. Evtl. ist weniger mehr. Mir ist sehr bewusst, dass alles Geschriebene auf Vermutungen basiert - vielleicht ist das Kind tatsächlich etwas hyperaktiv und braucht einfach Zeit. Dann die Ansprüche runterschrauben. Die besten Voraussetzungen habt ihr jedenfalls, gute Atmosphäre, erfahrene, kreative, reflektierende Lehrerin u.v.a.m..
Viel Freude und Erfolg!
chiarina