Eine Umweltkatastrophe vom Ausmaß der Sintflut hat seine Spuren hinterlassen und sich unter den damaligen Völkern verbreitet, zuerst durch mündliche Überlieferungen, dann durch schriftliche.
Der Hintergrund dürfte ja gewesen sein,
Sowas und vielerlei anderes kann man sich natürlich vorstellen, aber dann trägt man auch dafür die Beweislast und das wird schwierig. Unterdessen sollten wir zwei Dinge nicht außer Acht lassen:
1. Mündliche Überlieferung ist trügerisch. Wir können das ja an etlichen Beispielen kontrollieren; mein Lieblingsbeipiel ist der mit Riesen kämpfende Dietrich von Bern, der mit seinem historisches Vorbild Theoderich, das wir ziemlich gut kennen (wir haben sogar Teile seiner Korrespondenz) herzlich wenig zu tun hat. Es ist auch riskant, sie in eine konkrete Chronologie übersetzen zu wollen. Die Annahme etwa
die Katastrophe vor 8000 Jahren
führte angesichts der jüdisch-christlichen Tradition, die Erschaffung der Welt habe im Jahr 5509 oder 5549 vor Christus stattgefunden, zu dem Schluss, dass die Sintflut vor Erschaffung der Welt stattfand.
2. Nicht alle Mythen sind rein narrativ, viele sind aitiologisch, d.h. sie sind konstruiert, um etwas zu erklären. Die Vertreibung aus dem Paradies erklärt, warum die Menschen »im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen« müssen. Und auch bei der biblischen Sintflut hat der Erzähler nicht am Naturereignis ein genuines Interesse, sondern an seiner ethischen Motivation, wie übrigens schon seine mesopotamischen Stoffquellen. Ich zitiere hier mal aus der maßgeblichen, aber leider nicht frei online zugänglichen altertumswiss. Enzyklopädie, dem "Neuen Pauly" (Hervorhebung von mir):
"Die Sintflutsage ist in Mesopotamien in einer sumerischen und einer akkadischen Version erh.; die akkad. ist in Abschriften des 17. Jh. v. Chr. im Atraḫasīs-Mythos (=A.-M.) [3. 612-645] überl. Sie wurde in weiten Teilen wörtlich in die 11. Tafel der ninivitischen Rezension des Gilgamesch-Epos [3. 728-738] übernommen und ist später auch bei Beros(s)os überl. [1. 20 f.]. Das lärmende Verhalten der Menschen wird von den Göttern als Hybris empfunden und veranlaßt sie, die Menschheit durch eine große Flut bis auf einen Gerechten (Atraḫasīs, “Der überaus Weise”, im gleichnamigen Mythos, Utanapištī, “Ich habe mein Leben gefunden”, im Gilgameš-Epos) auszulöschen. Dieser Gerechte wird gewarnt, baut eine “Arche” und wird zusammen mit zahlreichen Tieren gerettet. Die große Flut gilt in der histor. Überl. (u. a. in der Sumerischen Königsliste) als urzeitlicher Epochentrenner [2. 42 f.]. Wesentliche Erzählelemente der biblischen S. in Gn 6-8 (verm. im 6. Jh. v. Chr. entstanden) sind im babylonischen Exil mesopot. Vorbildern entnommen worden. Menschliche Verderbtheit gilt hier als Ursache für das Handeln Gottes. Der A.-M. wie auch Gn 6-8 betten die S. in einen
aitiologischen Kontext ein: Die vor der Flut unbegrenzte Lebenszeit der Menschen wird nach der Flut reduziert [4. 98 f.]. Die ungeminderte Fortpflanzung der Menschen wird u. a. durch eine hohe Kindersterblichkeit, für die die Dämonin Lamaštu (Dämonen) verantwortlich gemacht wird, hervorgerufen; daher wurden Tontafeln mit dem Text des A.-M. auch als Amulett getragen.
Wiederholte Versuche, die Sintflut arch. nachzuweisen, hatten bisher keinen Erfolg, wohl auch deswegen, weil sie den Charakter des zugrunde liegenden Mythos als Aitiologie verkennen."
(Renger, Johannes and Stenger, Jan, “Sintflutsage”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). First published online: 2006 )
In zyklischen Zeitkonzepten ist die Sintflut ein wiederkehrendes Ereignis und wechselt sich mit der sog. Ekpyrosis, der Vernichtung des Lebens durch ein erdweites Feuer ab. Wesentlicher Mittler dieses Konzepts in den Westen ist der o.g. Baal-Priester Berossos. Die griechische Philosophie versucht diesen Mythos auf eine rationale Basis im Rahmen ihres geozentrishen Weltmodells zu stellen, indem sie die aitiologische Frage anders stellt: warum ist die menschliche Kultur nachweisbar so jung? Antwort: Die Sonne, die ja nur über der zentralen und heißen der fünf kanonischen Klimazonen kreist, saugt sich im Laufe der Zeit mit dem Wasser des Zentralozeans (den man beidseits des Äquators annimmt; die Südgrenze Afrikas wird nördlich des Äquators angenommen) voll, so dass das Wasser auf der Erde verschwindet und das Leben (nahezu, s.u.) verschwindet. Irgendwann aber kann sie das Wasser sozusagen nicht mehr halten, sodass es gewaltig zu regnen anfängt, die Erde überschwemmt wird, und alle ersaufen. Fast alle: Teile Ägyptens, wo das Klima immer stabil ist (denkt man), bleiben verschont, weswegen trotz der allgemeinen Weltkatastrophe von dort aus die Kultur wieder neu erstehen kann. Das wiederholt sich ungefähr alle 15000 Jahre (das ist die Spanne eines sog. Weltenjahrs). Interessanterweise wird diesem "rationalen" Konzept im Neuplatonismus dann wieder eine, sachlich völlig unnötige, ethische Grundlage eingezogen, indem erklärt, die Existenz des Weltenjahrs mit seiner finalen Katastrophe sei der Hybris der Menschen geschuldet.
Das ist geistesgeschichtlich alles hochinteressant und zum Teil auch amüsant, aber keine Basis für historische oder naturwissenschaftliche Rekonstruktionen. Für solche Versuche gilt sinngemäß, was schon Eratosthenes über die schon in seiner Zeit im Schwange stehenden Rekonstruktionen der Irrfahrten des Odysseus gesagt hat: sie würden erfolgreich sein, wenn man erst einmal den Fabrikanten des Windschlauchs des Aiolos ausfindig gemacht und interviewt habe.
Ich grüße all meine Mitbürger von Atlantis!