Es hilft, wenn man Kritik an der Sache von Kritik an der Person trennt. Ich muss das als Softwareentwickler jeden Tag bei Codereviews. Der Mensch neigt das gnadenlose Urteil der Machine (Unittest kaputt) wesentlich leichter zu akzeptieren als gandaneloses Urteil vom Menschen (Variable nicht initialisiert, Sicherheitslücke wegen fehelender Überprüfung von externer Information).
Da hast du recht. Was ich auch meine ist diese extreme Diskrepanz. Ich weiß echt nicht, was abgeht, wenn es eine Hörprobe gibt und die einen darin ein "Geräusch", meinetwegen als Pejorativ für Klang im Sinne eines "Unwohlklangs", hören, die anderen aber einen Ton ohne Obertöne. Da haben meine psychischen Abwehrmechanismen schon geächzt und etwas persönliche Kränkung konnte sich manifestieren. C'est la vie aussi.
Übrigens war ich mal längere Zeit in einem Prosaboard unterwegs und da haben wir hart kritisiert und entsprechend unter Kritiken gelitten. Und sowohl gelernt sie nicht zu persönlich zu nehmen, aber auch dass man nicht alles annehmen muss. Es gibt eben konstruktive und weniger konstruktive Kritik, "Schmähkritik" ist in dem Sinne genauso ungern gesehen wie substanzloses Gefälligkeitslob à la "Toll, weiter so, lese gern mehr von dir". Dazwischen ist alles erlaubt, was
begründet wird. Warum hat mir diese oder jene Stelle gefallen, warum nicht?
Die Frage ist also weniger, ob ich ein zu dünnes Fell habe, sondern eher, ob meine Frage "Das ist in meinen Ohren ein Klavierklang, was meint ihr?" das richtige Publikum gefunden hat für die Resonanz, die ich mir erhofft hatte, mit der ich meinem (noch immer geringen) Kenntnisstand entsprechend etwas anfangen kann. Es ist kein Forum, wo für die komparative Klanganalyse eine eigene Rubrik existiert. Das ist ein Pianisten-Board, und da ist "Das ist kein Klavier, das ist (subjektiv abwertende Beschreibung)", wahrscheinlich das beste, weil ehrlichste, was ich kriegen kann. Pianisten kennen Klaviere aller möglichen Qualitäten. Die haben einen viel engeren Maßstab für Klavierklänge, denn darauf sind sie spezialisiert (logisch), als ich, für das Klangspektrum darüber hinaus haben sie keinen Blick, er wird auch nicht gefo/ördert, die Feinmotorik etwa fordert ja schon genug. Dafür kann ich die verschiedenen Marken und Fabrikate nicht voneinander unterscheiden.
Immerhin, da ich nun das vernichtende Klangurteil von Pianisten kenne, hütet mich davor, mir auf anderweitige Kritik "Hey klingt ja wie ein Klavier" zuviel einzubilden. Mitnichten werd ich demjenigen um den Hals fallen und rufen, endlich sage jemand die Wahrheit.
Auch mein Trost: Die besagten anderthalb Jahre habe ich nicht allein auf die Ausbildung des Klavierklangs verwendet. Netto sind das vielleicht ein paar hundert Stunden gewesen bisher.
Musik in Praxis und in Theorie, welche ich mir teils durch experimentelle Synthetik aneignen will, andernteils durch Lektüre, Klavierunterricht und aufmerksamem (nicht beiläufigen) Musikkonsum, besteht aus so vielem mehr.
Neben dem Klangdesign und der Intonation als die akustiknahen Aspekte der Musik gibt es Tempo, Rhythmik/Metrik, Dynamik, Stimmung, Artikulation, Orchestrierung, welche ich als die semantiknahen Aspekte bezeichnen würde.
Es gibt ferner viele nicht musikspezifische Dinge, die jedes Programm seinem Zweck entsprechend umsetzen muss (Benutzerschnittstelle, Fehlerbehandlung, Datenlogistik, etc.).
Und nicht zuletzt auch setze ich konkrete Musikstücke um, sowohl fremde, sofern frei verfügbare, und eigene komponierte und zu komponierende.
Irgendwo muss ich auch die Grenzen ziehen und z.B. festlegen, dass etwa Akkordharmonik vom Benutzer (=mir) intellektuell in einzelne Noten aufgelöst werden muss, auch weil ich die selbst noch nicht verstehe und ergo noch gar nicht irgendwie in Code gießen könnte, selbst wenn ich wollte.
Also, was ich damit sagen will, die Nachbildung des Klavierklangs hat jetzt auch nicht den Alleinanspruch auf meine Freizeit. Auch so ist es bitte zu verstehen, wenn ich mich allseits bedanke und wünsche, dass nicht weiter auf meinen Klang, einmal so stolz vorgezeigt und dann so unsanft auf dem Teppich der Tatsachen eingedämpft, eingehackt wird.
Wohl denn ein Glück, dass wenigstens meine Ohren und die meiner Testhörer im realen Leben so tolerant sind und sich auf den Klang einlassen können, bis ich einst wieder Zeit und Muße habe, und mehr Hörerfahrung, mich mit der weiteren Verfeinerung beschäftigen.
Du mußt jetzt ganz tapfer sein:
Ich kenne Klaviertechniker, die einen einzigen Ton im Stimmen vom Charakter her ändern können, so dass der Flügel komplett anders klingt. Menschen, die sich die Obertöne des jeweiligen Tons so zurechtbiegen, dass die angrenzenden mit in das Stimmen einbezogen werden.
Und dann machst Du das mal mit einem ganzen Flügel, dann hast Du plötzlich ein neues Instrument. Sowas kann man leider nicht synthetisieren.
Ich bin tapfer. Ich war volle vierundzwanzig Stunden nicht hier angemeldet, um mich vorzubereiten auf einen Shitstorm oder so.
"Sowas kann man leider nicht synthetisieren" ... das klingt so nach "Man kann nicht schneller sein als das Licht" ... Mag beides stimmen, aber die Gründe, derer ich habhaft werden können und die ich verstanden habe (Niete in Physik, die ich in der Schule war), konnten mich nicht so überzeugen wie die Binsenweisheit, dass der Mensch schon so manche, dereinst unüberwindbare Grenze gesprengt hat und das auch tun wird, solange bis er mit der Nivellierung einer solchen Grenze seine Existenz gleich mitnivelliert.
Meine These als Kulturpessimist: Die Welt ist voll emulierbar insoweit man die Entitäten darin, die sowas wie Bewusstsein haben, vernebeln kann, damit sie ihre Umgebung als wahr erleben. Siehe Facebook, Smartphones-Apps, Open-World-Games, alles virtuelle Umgebungen mit nachweislich hohem Suchtpotential und welche ich daher meide.
Und was für die Welt gilt, sollte erst recht für einen Flügel gelten. Also ist es insofern auch ein Glück, dass ich mit meinem Synthi an Grenzen stoße mit diesen läppischen zweihundert Stunden gesammelte Erfahrung. Wär ich weiter, wär der Klang von euch sogar nicht mehr unterscheidbar von echten Instrumenten, hätte das auch eine ethische Problematik, und meine Zufriedenheit trotz vernichtender Urteile darüber rational.
Das Problem bei Software/Digis ist und bleibt lediglich die Soundabstrahlung im Raum, alles andere hat man längst im Griff. Lautsprechersysteme, welche einen Resonanzboden ersetzen könnten, wären unökononisch teuer, dafür gibts keinen Markt und man kanns auch deshalb nicht kaufen.
Das geht jetzt schon weit über die Frage "Was ist ein Klavier und was nicht" hinaus. Ich habe heute morgen im Radio, das ist übrigens ein 10-Euro-Radiowecker mit UKW-Empfang, ein sehr schönes Stück gehört. Ferdinand Hérold irgendwas e-moll, hab ich noch in Erinnerung. Und da war ein Klavier mit ausschweifenden, ja dominierenden Soloparts. Warum habe ich ein Klavier erkannt? Sicher nicht wegen irgendeines Resonanzbodens, sicher auch nicht weil in der Anmoderation ein Klavier Erwähnung fand. Ich hätte es auch ohne das erkannt, bin ich überzeugt von, auch ihr.
Und soweit ich hier mit dem Anspruch auftrete, irgendwann einen Klang synthetisieren zu können, der eindeutig als Klavierklang identifiziert wird, auch von Pianisten, so ist dieser Klang in beiden Fällen ein und dasselbe: Eine Kolonne von Zahlen, die in die Sendefrequenz einmoduliert wird, von der Elektronik im Radiowecker in elektrische Signale an die Membrane der Billigstlautsprecher umgewandelt wird, und als Schall an mein Ohr gehen, wo sie sich dann über die verschiedenen neuronalen Zwischenstationen sich in meine Vorstellung zu einer Klaviermusik formen, zu einem Klavier, vor dem ich sitze und seelig spielend die Augen schließe.
Und es sind diese Zahlenkolonnen, da liegt der Clou. Diese Zahlenkolonne enthält keine Information mehr darüber, ob am Anfang des Informationsübertragungskanals ein echtes oder ein "falsches" Instrument spielt. Meine Behauptung ist, und ich glaube, das ist nicht meine, die hat wohl irgendein Mathematiker/Computerwissenschaftler aufgestellt, weiß leider nicht mehr, wer: Jede
endliche, noch so unberechenbar scheinende Zahlenfolge kann sowohl aus einer Messapparatur stammen (Mikrophonaufnahme/Speichermedium/Übertragungsmedium), als auch algorithmisch berechnet worden sein. Ein Algorithmus sei dabei deterministisch, aber beliebig komplex.
Am Ende ist es alles eine bestimmte Abstraktion von Klang, die eine Rolle spielt und über die man sich einig sein muss. Ein "Haus" kann das bekannte "Haus vom Nikolaus" sein, eine Zeichnung mit wenigen Linienstrichen, die Abbildung eines Hauses, ein reales Haus (auch das ist nur eine Abstraktion des wahrnehmenden Geistes, Stichwort Kognition!), vor dem du stehst, das Wort "Haus". Und so kann man auch einen Klavierklang auf verschiedenem Wege abstrahieren, und abhängig davon, was ein Klaviertechniker oder Klavierbauer fabrizieren kann. Auch hier wieder spielt Kognition eine entscheidende Rolle, die Psychoakustik: Was der Resonanzboden in die Luft meißelt und was du hörst sind verschiedene Paar Schuhe.
Die Radiosendung abstrahiert durch elektrische und elektromagnetische Umwandlung, die immer in einem gewissen Grad störanfällig ist.
Ich kann hier dagegen eine Hörprobe hochladen eines synthetisierten Klangs, absolut störfrei (was die Wiedergabeseite daraus macht, steht indes auf einem anderen Blatt), von dem ich meine, er ähnele einem Klavier, und ihr könnt mir zustimmen oder widersprechen oder eine Mischung aus beidem. Ob ihr den Weg der Abstraktion innerlich ablehnt, aus einer Abneigung gegen Synthetisches heraus, die ich übrigens gut verstehen kann, siehe oben, und/oder ob/inwieweit ihr das Synthat aufgrund von handwerklichen Fehlern meinerseits ablehnt, ist für mich leider nicht unterscheidbar.