Es ist falsch, die Belastbarkeit zu erhöhen, man muss sie senken, damit die Antennen, die einem sagen, dass es zu viel ist, noch funktionieren.
Dieses Wegatmen üben heißt oftmals nur: Ich funktioniere für meinen Arbeitgeber besser, wenn ich in meiner Freizeit auch noch übe, mich möglichst schnell wieder zu erholen. Der größte Teil der "Freizeit" ist ja ohnehin nur Regeneration von der Arbeitszeit, essen, schlafen, aufräumen und einkaufen. Freizeit im Sinn von freier Zeit ist Muße, also Zeit, in der ich meinen Interessen nachgehen kann. Dafür muss ich zunächst mal ausgeruht sein. Klar, da hilft mir, die Tür hinter mir zuzumachen und nicht an beruflichen Ärger zu denken. Das muss man tatsächlich üben. Wenn manche Leute dafür ein Resilienztraining benötigen, ist das wohl so.
Aber bevor ich SCRUM in mein Klavierspiel lasse, gebe ich es lieber auf. Ich brauche meine Notenstapel, mein Durcheinander, mein Üben-worauf-ich-gerade-Lust-habe. Die Messlatte "ich traue mich, das anderen vorzuspielen" ist ok. Für mich ansonsten Freude und Liebe zur Musik.
Für Profis mag das anders sein, natürlich. Das wäre mal interessant zu diskutieren: Was unterscheidet das Berufsleben eines Pianisten von dem eines Immobilienmaklers.
Liebe didabel,
könnte es sein, dass du den Eingangspost falsch verstanden hast? Es ging
@Klein wild Vögelein ja um effektives Üben, das nur möglich ist, wenn man genau weiß, was man jetzt üben will und dieses auch in einer Übeeinheit erreicht. Ein solches Üben verschafft Erfolgserlebnisse, die sehr motivieren. Die Belastbarkeit wird dadurch nicht erhöht, sondern erniedrigt. Bei falschem oder ineffektivem Üben hingegen ist die Belastbarkeit viel höher. Man braucht mehr Zeit, geht viele Irrwege, speichert Fehler ab, muss mehr Frustrationen ertragen und verzettelt sich.
Sinnvolle Ziele zu setzen ist allerdings nicht so einfach und ein Lernprozess. Zunächst gibt es Langzeitziele a la "ich möchte dieses Stück gern spielen, ich möchte an meiner Klangvielfalt feilen, ich möchte besser hören lernen und Gehörbildung machen ...". Aus diesen Langzeitzielen ergeben sich Kurzzeitziele für jede einzelne Übeeinheit. Diese sollten (s. SMART, Eingangspost) realistisch und während dieser Übeeinheit erreichbar sein. Bei der Arbeit an der möglichen Zielsetzung "ich möchte jetzt diese Stelle gleich langsam stimmenweise spielen können" muss die dazu gewählte Übestrategie also SOFORT eine Verbesserung erreichen. Tut sie das spätestens beim zweiten Versuch nicht, ist eine andere Übestrategie zu wählen.
Ein Beispiel für mögliche Übestrategien auf dem Weg zum Ziel, die Melodie einer neue Stelle gleich langsam spielen zu können:
Stelle anschauen (wie könnte sie klingen, wieviel Stimmen gibt es überhaupt, aha, drei Stimmen, Melodie, Bass, begleitende Akkorde).
Melodie anschauen, im Ganzen erfassen, dann versuchen, zu spielen.
Messinstrument Ohr Signal an Hirn "Oh, oh, das wird nix, viel zu viel, Belastungsgrenze überschritten, Alarm, Alarm!"
Hirn, auf effektives Üben bedacht: "O.k., Übestrategie ändern, erstmal ohne Rhythmus, nur die Töne ganz gemütlich spielen und hören."
Motorik und Ohr ächzen erleichtert: "Juchhu, schon viel besser!"
Hirn: "Ja, das kommt, weil ich das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit verwende, also den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit immer nur auf einen Aspekt lenke!"
Ohr: "Hach, wie gut, dass wir dich haben!"
Hirn: "So, jetzt aber mal los! Töne klingen super, jetzt kann der Rhythmus dazu!"
Ohr und Motorik: "Verdammt, das ist zu schwer, ich bin zu blöd, das krieg ich nie hin!"
Hirn: "Jungs, ihr müsst die Überstrategie ändern, alles null problemo! Einfach Töne weglassen und nur den Rhythmus zählen und klatschen. Oder den Puls in Vierteln mit links auf den Oberschenkel und den Rhythmus mit rechts auf den Klavierdeckel klopfen. Oder ... es gibt ganz viele Möglichkeiten, nimm das, was am besten funktioniert."
Motorik: "O.k., klatschen und zählen!"
Ohr: "Juchhu, es funktioniert!!!"
Hirn: "Hach, ich bade gerade in Serotonin und Dopamin - Üben macht Spaß! Jetzt vielleicht Töne und Rhythmus zusammen?"
Motorik: "O.K."
Ohr: "Scheiße, klappt nicht, Buhu!"
Hirn:" Nicht verzagen, Hirni fragen: nimm doch erst mal einen kleinen Teil der Melodie, nicht sofort die ganzen 4 Takte!"
Motorik: "O.k.."
Ohr: Juchhu, es klappt, juchu!"
Hirn:"Siehst, du, niemand ist zu blöd, man muss nur seine Übestrategie an das Wahrgenommene anpassen, dann hat man Erfolg und das macht Spaß! Jetzt noch ein paar Mal wiederholen, damit es abgespeichert wird, später auch mal variieren."
Diese kleine innere Dialog zeigt, wie Üben ablaufen kann, wenn es effektiv sein soll. Effektives Üben ist niemals an der Grenze der Belastung, sondern lässt immer noch Raum für das so wichtige Hören und Fühlen. Und auch das Lustbetonte kommt nicht zu kurz. Was möchte ich heute lernen, worauf habe ich Lust. Ach, da fang ich doch mal mit Improvisationen an, danach mit Repertoire und dann übe ich am Stück. Was will ich daran lernen? Ach, heute möchte ich nichts Neues machen, sondern das bisher Gelernte festigen, vielleicht variieren, transponieren. ....
Das was man tut, sollte Freude machen, sonst ist es nicht effektiv. Gleichzeitig kann es beim Lernen nicht nur Freude geben und dann kommt Kreativität und Klugheit in der Wahl der Übestrategien zum Zug. Dabei wird der Lehrer helfen und im Unterricht immer wieder das Üben thematisieren.
Und ob man die immerwährende Überprüfung durch das Ohr und die Sensomotorik nun Messung oder sonst was nennt, ist mir relativ wurscht. :D Es ist auf jeden Fall eine objektive Verbesserung erreicht.
Liebe Grüße
chiarina