die Reaktion der Öffentlichkeit. Wieso trieft die Öffentlichkeit vor Anteilnahme, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, und bleibt ansonsten so gefühlskalt, wie man es mir gleich nachsagen wird? Ist das traumatisierte männliche Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls weniger wert als eine sexuell bedrängte Frau?
"Sexuell bedrängt", was genau setzt Du damit in Verhältnis zu "bewaffenetem Raubüberfall"? Unter "sexuell bedrängt" könnte ich mir zum Beispiel die alltägliche Grapscherei an bestimmte Körperpartien vorstellen. Die Betroffene trägt natürlich kein Trauma davon, aber sie ärgert sich sehr über so eine männliche Alltags-Machtdemonstration. Sie ist es in gewisser Weise seit Mädchenbeinen gewöhnt: Mit so etwas muss man als Frau immer rechnen.
Neuerdings darf frau sich dagegen strafrechtlich wehren. Theoretisch jedenfalls. Sie müsste erst viel Energie aufbringen, um den Typen im Gedränge zu finden, ihm seine Personalien zu entlocken, die Polizei zu rufen etc. Bis zum Eintreffen der Polizei muss sie ihn an der Flucht hindern (sicher sehr "lustig"). Dann muss sie irgendwie beweisen, dass der Kerl sie willentlich angegrapscht hat (er wird es natürlich leugnen und versuchen, den Spieß herumzudrehen). Gibt sie sich das? Vermutlich nicht. Sie wird sich also den Rest des Tages darüber ärgern, Wut empfinden, am nächsten Tag wird sie sich zwar immer noch ärgern, aber nicht mehr so heftig. Vielleicht denkt sie auch, weil ihr das schon oft genug passiert ist: "Was Männer doch für Scheißkerle sind". Aber sie wird definitiv nicht traumatisiert sein, das stimmt.
Die nächste Eskalationsstufe: Ein Kerl drängt sie gegen die Wand und befummelt sie. Das ist sehr beängstigend. Es wird ihr einige Zeit nachgehen, wahrscheinlich traut sie sich lange nicht mehr in die Gegend, wo es passiert ist, womöglich traut sie sich lange Zeit gar nicht mehr allein irgendwohin. Ist das schon ein hinreichendes Trauma für Dich? Vielleicht nicht.
Was also könntest Du gemeint haben?
Ich habe es mit Bedacht gewählt. Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir wurde in seinem früheren Job (Tankstelle) Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls. Er mußte sich hinter dem Tresen bäuchlings auf den Boden legen. Über ihm stand einer der Typen mit entsicherter durchgeladener Knarre. Mein Ex-Kollege kann seitdem nicht mehr schlafen - nur noch mit Hilfe starker Narkotika.
So in etwa darfst Du dir eine handelsübliche "schwere Vergewaltigung" vorstellen. Das Setting ist ganz ähnlich: Opfer wird bedroht, hat Todesangst. Passiert ziemlich häufig. Die Täter sind in > 99% solcher Fälle Männer. Die Opfer meistens Frauen.
Im Gegensatz zu Deinem Kollegen findet bei einer bewaffneten Vergewaltigung noch ein bisschen mehr statt, weißt Du sicher. Also, worauf genau willst Du hinaus?
Jeder Lügner weiß, daß er lügt, und jede weitere, immer dreistere Lüge verändert ihn. Jeder Grapscher und Vergewaltiger weiß, daß er Körperkontakt erzwingt.
Du gehst von einem "normal tickenden" Täter aus. Täter ticken aber nicht normal, sonst wären sie keine. Solche Täter sind extrem ichbezogen und empathielos. Denen ist es völlig egal, was sie jemandem antun. Sie halten das für ihr gutes Recht, ihre Impulse auszuagieren, wenn sie die Stärkeren sind. Mitunter gelingt es, in jahrzehntelangen Bemühungen der forensischen Psychiatrie, ihnen wenigstens eine theoretische Kenntnis von den Empfindungen "Anderer" anzutherapieren.
das männliche Begehren steht jetzt unter Generalverdacht: Jeder Blick kann als zudringlich, jedes Streicheln durchs Haar, jede Annäherung, wie für einen schüchternen Kuß erforderlich, als unzulässige Grenzüberschreitung denunziert werden.
Du bist doch sensibel und empathiefähig. Versuch, Dich mal wirklich in die Situation des weiblichen Gegenübers hineinzuversetzen. Aus zwischenmenschlicher Nettigkeit lässt sie eine gewisse Nähe zu, signalisiert aber körpersprachlich, dass es näher bitteschön nicht sein soll. Es ist erwiesen, dass Männer körpersprachliche Signale von Frauen nicht richtig deuten können, weder in die eine noch in die andere Richtung. Die Betroffene sitzt vielleicht mit übergeschlagenen Knien und verschränkten Armen da, ist immer noch dabei, nett zu lächeln, wie es ihr andressiert wurde (sie will ja auch keine Peinlichkeit provozieren und hofft immer noch, dass der Mann endlich kapiert, dass sie sich nur unterhalten will). Er versteht aber ihre Signale nicht und nähert sich weiter an. Je nach Gesamtsituation kann sie das als bedrohlich empfinden.
Ich finde es GUT, dass der Gesetzgeber der mangelnden Empathie mancher Menschen mit dem Strafgesetzbuch auf die Sprünge hilft.
Seit über zehn Jahren betreibst Du auf Clavio nur noch feierabendliche Dampfplauderei, wie Du es nennst.
Ich bitte Rolf ausdrücklich, mit seiner Dampfplauderei fortzufahren. Aufmerksam Lesende profitieren enorm von seinen dampfplauderischen Ratschlägen, Tipps und seinem Wissen.