Sexuelle Belästigung bei Bewerbung

Die eine Seite übertreibt, die andere Seite untertreibt.
Ich glaub kein Stück an 160.000 Vergewaltigungen im Jahr. Ich glaub aber auch nicht an 8000.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und ist schlimm genug.

Lieber Andre73,

man kann sich diese Statistiken anschauen:

1)
Statistik Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Deutschland.PNG
Statistik 2 Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Deutschland.PNG

Die Dunkelziffer wird da nicht genannt.

2) https://www.frauenrechte.de/images/downloads/hgewalt/Sexuelle-Gewalt-in-Deutschland.pdf, basierend auf der "Kurzfassung der Untersuchung von Schröttle und Müller (2004), herausgegeben von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 9-10. Die Studie bietet ein umfassendes und repräsentatives Bild von Ausmaß, Hintergrund und Folgen von Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Dazu wurden insgesamt 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren in Interviews befragt. 2 Schröttle und Müller (2004), S. 19."

3) https://www.unric.org/de/pressemitteilungen/4860

Bei diesen Statistiken wird das Verhältnis der Geschlechter in Bezug auf Vergewaltigungen etc. doch sehr deutlich. Deswegen hat mich es ja so gestört, dass @hasenbein so schnell und ausführlich eine angebliche Beteiligung oder Verantwortung der Frauen für diese Straftaten benannt hat.

Ich engagiere mich in diesem Faden, weil ich Frauen kenne, die Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung erleiden mussten, damals kein Gehör fanden und vor Gericht wegen des damals noch gültigen veränderten Gesetzes scheiterten (ein "Nein" oder Weinen reichte nicht aus als Zeichen für Sexualkontakt gegen ihren Willen). Ich bin sehr froh und dankbar, dass hier viele von ihren Erfahrungen berichten!

Was den "tango" angeht:

bei diesen Straftaten sind zwar zwei Menschen beteiligt, aber doch in ganz anderer Form als bei einem Tango. Im ersteren Fall wird Macht und Gewalt gegen den Willen eines Menschen ausgeübt (Straftat), im zweiten Fall geben beide ihr Einverständnis (keine Straftat).

Mich hat dieser Vergleich sehr erschüttert und ich frage mich, ob bei einem Raubüberfall auch von einem "tango" gesprochen wird. Deshalb habe ich @hasenbein gefragt, wie er das meinte, und bin immer noch an einer Antwort interessiert.

Liebe Grüße

chiarina
 
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2) https://www.frauenrechte.de/images/downloads/hgewalt/Sexuelle-Gewalt-in-Deutschland.pdf, basierend auf der "Kurzfassung der Untersuchung von Schröttle und Müller (2004), herausgegeben von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 9-10. Die Studie bietet ein umfassendes und repräsentatives Bild von Ausmaß, Hintergrund und Folgen von Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Dazu wurden insgesamt 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren in Interviews befragt. 2 Schröttle und Müller (2004), S. 19."

Ich weiß aber auch wie solche soziologischen Statistiken / Umfragen entstehen.
Man setzt sich ein persönlich vorgestempeltes Untersuchungsergebnis - und das kommt dann auch genau so raus, beliebig gestaltbar durch die Formung der Fragen, Peergruppen etc.
Aus dem Link: "13% der in Deutschland lebenden Frauen haben seit dem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt. Das heißt Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder unterschiedliche Formen von sexueller Nötigung"

Bei sexueller Nötigung wird es eben schon ziemlich unscharf - gilt Popo-Grapschen und ähnliches auch als Solches? Zählt das zu diesen unfassbar hohen Zahlen? Wenn ja - ich hab lange genug in Großraumdiskos gearbeitet - "sexuelle Nötigung" in dieser Form habe ich auch erfahren - dort herrscht wohl längst Gleichberechtigung und mitunter verschwimmen die Grenzen zwischen Flirten, Anmachen und Begrabschen. Der eine fühlt sich sexuell genötigt, der andere Begrabschte winkt es als harmlos und situationsbedingt ab. Wenn man so etwas dazu zählt verharmlost man ggf. damit die wirklichen Problemfälle - abzugrenzen ist es nochmals viel schwerer. Wenn nicht, dann kommen mir die im Thread genannten 160.000 einfach irre viel vor.

Es seien nur unter 3% Falschanschuldigungen. Sagt wer? Die 10000 befragten Frauen?
Und selbst wenn, man verurteilt also mal lieber ein paar zu viel als ein paar zu wenig? Es ist und bleibt schwierig bei Aussagen gegen Aussagen.

Viel schlimmer sind die Fälle, wo es schon alle Spatzen von den Dächern pfiffen (Weinstein etc.) und diese Leute jahrelang weiter agieren konnten.

Ich glaube wirklich, dass sich noch einiges tun muss und das Frauen viel mehr auszustehen haben - aber es gibt halt auch kein Patentrezept - eben weil Aussage gegen Aussage, und oftmals ist nicht mal klar ob es eine strafbare Handlung gab oder nicht (Hat er geklaut? -> ja oder nein - ist jedenfalls deutlich klarer greifbar).
 
Bei sexueller Nötigung wird es eben schon ziemlich unscharf - gilt Popo-Grapschen und ähnliches auch als Solches? Zählt das zu diesen unfassbar hohen Zahlen?

Natürlich nicht. Sonst wären es 100%.

Ich finde den Umgang mit solchen Straftaten auch schwierig. Die Beweislage ist meistens schlecht. Aufwand und Ärger bei einer Anzeige sind riesengroß, die Chancen der Bestrafung minimal. Vgl. eine dieser sich häufenden Gruppenvergewaltigungen – erst dieser Tage fand jener "Richterspruch" statt, der mit den barbarischen Burschen, die im Rudel über eine Frau herfielen ganz im Sinne des Täterschutzes umging.

Wer so etwas in den Medien mitbekommt, überlegt sich SEHR gründlich, ob sie es sich antun will, von den feixenden kaugummikauenden Dreckskerlen im Gerichtssaal noch einmal verhöhnt zu werden, ehe das Pack seine Bewährungs"strafe" bekommt und im Triumph den Gerichtssaal verlässt.

So läuft es bei nachgewiesener Vergewaltigung. Grapschereien? Pillepalle. Das ist Alltag. Wenn die Mädchen jedesmal Anzeige erstatten wollten, ginge die ganze Freizeit drauf. Also werden Alltagsgrapschereien nicht angezeigt. Ein konkreter Schaden ist ja nicht entstanden.

Die Mädchen legen sich, wenn sie klug sind, ein bestimmtes Verhaltensrepertoire zu. Sie meiden Gedränge und bestimmte (= ziemlich viele) Situationen. Tolle Freiheit! Wer sich verteidigt, hat danach eine Anzeige wegen (versuchter oder tatsächlicher) Körperverletzung an der Backe oder wird von dem Angreifer erst recht geschlagen. Alles nicht so einfach.
 
Ich habe einmal eine interessante Demonstration der Schockstarre mit einer (für mich) einleuchtenden Erklärung gesehen. Es war ein Video mit versteckter Kamera, bei dem jemand auf der Straße eine Glasscheibe trug und auf einen zufällig vorbeikommenden Passanten zuging: "Könnten Sie mir einen Gefallen tun und die Scheibe bitte mal kurz halten?" Die meisten Passanten (überwiegend Männer) haben ihm die Scheibe abgenommen. Daraufhin nahm er ihnen das Portemonnaie aus der Tasche (meistens die Gesäßtasche oder eine Jackentasche) und ging seelenruhig weg. Fast keiner (!) hat die Glasscheibe abgestellt, um ihm nachzurennen. Das kann man sich so gemütlich zu Hause gar nicht vorstellen.

Der Schock durch einen völlig unerwarteten und krassen Regelbruch wirkt lähmend. Wie oben schon geschrieben, handelt der Angreifer entgegen aller sozialen und gesetzlichen Regeln, völlig gegen die im sonstigen Leben gemachten Erfahrungen und Erwartungen. Bei Sexualdelikten wird es noch dadurch verschlimmert, dass derjenige in den Intimbereich eindringt und in den meisten Fällen (Männer gegenüber Frauen oder Kindern) größer und kräftiger ist. Der Ratschlag, man solle sich wehren, klingt erstmal gut, ist aber nicht so leicht umzusetzen. Manchmal kann man das sogar in viel geringfügigeren Fällen an sich beobachten - ich denke, viele Menschen haben sich schon mal nach einem Gespräch gedacht, sie hätten auf einen überraschend kommenden, verletzenden Kommentar besser anders reagiert (oder überhaupt reagiert, anstelle das Thema zu wechseln oder zu tun, als hätte man es überhört).
 
Ich schreibe aus Das beherrschte Geschlecht von Sandra Konrad ab. Das Buch habe ich kürzlich gelesen und kann es sehr empfehlen. Sie schreibt zu dem Thema u.a.

[indirektes Zitat: [...]...müssen sich unangenehmen Fragen stellen...[...]

Hi beo,

wenn diese "unangenehmen Fragen" nicht wären, könnte Hinza und Kunza jeden beliebigen ( bzw. gehassten ) Mann vor Gericht zerren, und der wäre geliefert.

Außerdem muss sich jeder ZEUGE ( leider, heutzutage ) , und jeder Angeklagte ( ob zu Recht oder zu Unrecht... ) "unangenehmen Fragen" stellen.

Es muss schon geschildert werden, was genau geschah, sonst ist Willkür Tür und Tor geöffnet.

Man kann nicht jemanden anzeigen wegen nichts - und glaub mir, manche Personen, auch "Damen", würden es tun, wäre ein solcher Deckmantel gegeben.

Klingt doof, aber...ich glaube, vor Gericht gilt: Man muss genau ansagen, was genau geschehen ist, sonst fällt die Anzeige / Verfahren / usw. flach.

Unser Rechtssystem.

LG, Olli
 
wenn diese "unangenehmen Fragen" nicht wären, könnte Hinza und Kunza jeden beliebigen ( bzw. gehassten ) Mann vor Gericht zerren, und der wäre geliefert.

Und was bitte haben die sexuellen Vorlieben einer Frau mit dem Sachverhalt zu tun. Es gibt keinerlei Neigung die anderen das Recht gibt Grenzen zu missachten!

Die Sauerrei ist dass immer noch die Frage gestellt wird ob es eine "anständige" Frau ist, der da Gewalt angetan wurde.
 

"Anstand" ist ein relativer Begriff, abhängig von der Sichtweise eines Einzelnen, einer Religion oder einer Gesellschaft. In Austria gibt es den Begriff der https://de.wikipedia.org/wiki/Anstandsverletzung


Von Medien wurden 2009 und 2016 Fälle aus Wien und Graz aufgegriffen, in denen junge Männer in Gegenwart von Polizisten laut rülpsten, bzw. furzten und dafür zu Geldstrafen in Höhe von 70 respektive 50 Euro verurteilt wurden.

Respekt! Von felix Austria lernen heißt "sich benehmen" lernen ... oder so. :005:
 
... impliziert das, dass es Frauen gibt, die "selbst schuld" sind bzw. nicht "anständig" genug, um ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu haben.
So ganz kann man diesen Aspekt nicht wegwischen. Dennoch rechtfertigt es keine Anwendung von Gewalt und schon gar kein Eindringen ohne Zustimmung. Das Problem besteht wohl darin, dass ein Mann sich diese Zustimmung genau genommen schriftlich bestätigen lassen müsste.

Kompliziert wird es, wenn Abhängigkeiten (Bewerbung, Benotung, Unterstellungsverhältnis, Ehe, Lebensgemeinschaft) vorhanden sind.
 
Da kann man - wie so oft - verschiedener Meinung sein.

Beim konkreten Vorgang einer Bewerbung muss man einfach sicher stellen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, am besten zu Dritt zusammensetzen.
 
Moin!

Die erfolgreiche Stichwortsuche hat mich davon abgehalten, einen neuen Thread zu diesem Thema aufzumachen. Das Thema beschäftigt mich seit langem, weit über den (tiefen) Fall hinaus. Zu Siegfried Mauser: Das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig. An seiner Schuld gibt es juristisch nichts zu deuteln. Der Pianist hat seinen zweiten Paß wiederentdeckt, sich der deutschen Justiz durch Flucht entzogen und vertraut jetzt auf die österreichische Schlamperei.

An dem Fall interessiert mich herzloserweise nicht die Vorgeschichte (sie ist für alle Beteiligten schrecklich, auch für den Täter, der ohne Not sein Leben zerstört hat), sondern die Reaktion der Öffentlichkeit. Wieso trieft die Öffentlichkeit vor Anteilnahme, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, und bleibt ansonsten so gefühlskalt, wie man es mir gleich nachsagen wird? Ist das traumatisierte männliche Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls weniger wert als eine sexuell bedrängte Frau?

Was ist das für ein Mechanismus, der die vollständige soziale Ächtung eines potentiellen oder wirklichen Täters verlangt, schon vor jeder rechtskräftigen Verurteilung und weit über die Zeit seiner Buße, sogar über seinen Tod hinaus? Radiosender diskutieren darüber, Michael-Jackson-Songs aus dem Programm zu nehmen. Jackson wurde nie rechtskräftig verurteilt. Verlage weigern sich, Woody Allens Memoiren zu veröffentlichen – aus Angst vor dem Volkszorn. Woody Allen wurde bisher in allen Gerichtsverfahren freigesprochen. Kevin Spacey wurde aus einem Hollywood-Film komplett herausgeschnitten und durch ein Double ersetzt. Solche Praktiken habe ich bisher mit dem Stalinismus assoziiert.

Im Falle Siegfried Mausers entzündet sich der Streit an einer Festschrift zu dessen 65. Geburtstag. Darf man das Lebenswerk einen Pianisten, der sich in der Realisation diverser Notensätze als guter Musiker erwiesen hat, nicht ehren, nur weil er andere Menschen unter seinen Kontrollverlusten leiden läßt? Ich weiß, daß das "nur" im vorigen Satz ein langes Wort ist. Aber sind seine Schönberg- oder Hindemith-Einspielungen schlechter geworden, nachdem Mauser enttarnt wurde? Spielt er irgendwo c statt cis?

Der Hypermoralismus unserer Zeit duldet keine Trennung von Leben und Werk, mit dem Argument, die Anerkennung einer künstlerischen (oder sonstigen) Leistung würde die Straftat verharmlosen und ihre Opfer verhöhnen. Das ist – mit Mr. Spock zu sprechen – nicht logisch, und die naive Gleichsetzung von edlem Menschen und gutem Werk ist kindisch. Sie ist auch nicht konsequent: Werden alle Häuser niedergerissen, deren Architekt sich als pädokriminell erwiesen hat? Ist dessen Gabe, die Statik eines Hauses zu berechnen, vom Nicht-Ausleben devianter Neigungen abhängig? Das sind rhetorische Fragen. Loos-Häuser stehen unter Denkmalschutz. Gesualdo-Madrigale werden aufgeführt. Céline gehört in Frankreich zum nationalen Kulturerbe.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Kreativität und kriminelle Neigung hängen zusammen wie ein Schoppen Rotz. Das eine ist ohne das andere nicht haben, bei Mann und Frau – eine Feststellung, die weder gute noch schlechte Taten rechtfertigt.

Zu Selbsterhöhungszwecken auf Gefallene herabzublicken, wie es der neuzeitliche Mob verlangt, ist nach wie vor ein niederer Impuls. Mir kann man nur vorwerfen, daß ich auch diesem Impuls folge – mit Blick auf diesen Mob.

Sorry und hG,

Gomez
 
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